Meinung
Woher kommen Sie?
Ingeborg Schödl (86) war Redakteurin der Wiener Kirchenzeitung und langjähriges ORF-Gremiumsmitglied. Sie ist Autorin mehrerer Bücher. (z.B. über Hildegard Burjan)
Unlängst befiel mich in einem öffentlichen Verkehrsmittel plötzlich das Gefühl Außenseiterin zu sein. Nicht ganz auf der Höhe der Zeit, altmodisch usf.. Um mich herum saßen nämlich gezählte acht Personen und alle starrten auf ihr Handy. Auch die drei Buben im Volksschulalter blödelten nicht miteinander, sondern jeder war für sich allein mit irgendeinem Spiel beschäftigt. Ich war die Einzige, die einfach in die Gegend schaute.
Was, fragte ich mich, fasziniert alle so, dass sie ihr Umfeld, ihr Nebenan oder Gegenüber gar nicht wahrnehmen wollen?
Bei der Rückfahrt verständigten sich wieder einige Mitfahrende in extremer Lautstärke medial mit einem Wesen irgendwo auf der Welt. Daher mussten sie auch so schreien. Ich wurde Ohrenzeugin von Details aus ihrem (Intim-)Leben, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte.
Eine Tante von mir wusste für fast alles, was das menschliche Zusammenleben betraf, einen Spruch. Gerne sagte sie: „Mit dem Reden kommen die Leut’ zam.“ Miteinander reden erleichtert vieles im Leben. Ein gutes Gespräch führen bedeutet auf den anderen einzugehen, auch auf die ungesagten Zwischentöne zu hören. Das scheint man heute fast verlernt zu haben. Redselig gibt man sich zwar via soziale Medien, aber die Menschen bringt das kaum „zam“.
Unlängst las ich von einer Forderung, wonach man nicht mehr die Frage stellen sollte: Woher kommen sie? Damit würde man nämlich sein Gegenüber als gesellschaftlichen Außenseiter einstufen. Also ich stelle diese Frage öfters, vor allem wenn ich merke, dass jemand nicht aus meinem heimatlichen Umfeld kommt. Es ergeben sich da oft sehr interessante Gespräche. Bis jetzt hat sich niemand von meiner Frage diskriminiert gefühlt. Jeder Mensch freut sich doch über das Interesse an seinem Woher. Vor kurzem erzählte mir ein Taxifahrer, dass er aus Bulgarien komme. Als ich sagte, dass ich schon in Sofia war und das wunderbare Rila-Kloster kenne, wäre er vor Begeisterung darüber fast an meinem Zielort vorbeigefahren.
Ich habe daher beschlossen, weiter meine Frage zu stellen. Meine Tante hat nämlich recht, wie sonst kommen die Leute „zam“ ?
Autor:Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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