Moraltheologe Michael Rosenberger
„Wir können gut essen – auch ohne Fleisch“

Michael Rosenberger: „Solange das Schnitzelfleisch nur 1,20 Euro pro 100 Gramm kostet, wird natürlich jeder sehr viel davon kaufen.“ | Foto: Markus A. Langer
  • Michael Rosenberger: „Solange das Schnitzelfleisch nur 1,20 Euro pro 100 Gramm kostet, wird natürlich jeder sehr viel davon kaufen.“
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Der Theologieprofessor Michael Rosenberger befasst sich nicht nur theoretisch mit dem Thema Umweltschutz, sondern lebt seine Erkenntnisse auch praktisch Tag für Tag. Er tritt dafür ein, dass aus Gründen des Klimaschutzes und der Gesundheit die Österreicher weniger Fleisch essen. Er selbst isst extrem wenig Fleisch, wie er sagt.

Nicht nur davon reden, sondern tun, ist auch unser Motto. Für das Interview mit dem Theologen und Umweltsprecher der Diözese Linz, Michael Rosenberger, fahren wir natürlich umweltfreundlich mit der Bahn von Wien nach Linz. Wir fragen bei Michael Rosenberger nach, ob seine Liebe zur Natur schon in der Kindheit und Jugend begonnen hat. „Mein Vater war Lehrer für Biologie. Er hat meinen Geschwistern und mir vieles von der Natur vermittelt“, erzählt Michael Rosenberger. „Wir waren im Urlaub viel wandern, schon früh auch im Hochgebirge. Da habe ich die Pflanzen- und Tierwelt entdeckt und dazu eine Beziehung aufgebaut. Ich habe damals die Natur sehr lieben gelernt und tue es bis heute.“

Sowohl Gesellschaft als auch Politik sind zurzeit besonders empfänglich für das Thema Umweltschutz. Was läuft in Österreich schief und in welche Richtung muss es eigentlich gehen?
Wie schon gesagt, sind wir in den Industrieländern vom Wissen nicht wirklich zum Handeln gekommen. Warum? Wir haben ein bequemes Leben, der Wohlstand wächst von Jahr zu Jahr ein bisschen mehr. Das wollen wir nicht aufgeben. Eine umweltverträgliche Lebensweise erfordert am Anfang große Mühen und Anstrengungen. Denn wir müssen in dem Bewusstsein uns auf dem Weg machen, dass sich die Gewinne erst zeitversetzt einstellen werden und sie uns gedanklich sozusagen schon vorstellen, obwohl sie noch nicht spürbar sind. Ein Beispiel: Angenommen der Autoverkehr würde um 80 bis 90 Prozent zugunsten der öffentlichen Verkehrsmittel zurückgehen, dann würde das einen enormen Rückgang der Lärmbelästigung bedeuten. 70 Prozent der Menschen bei uns klagen über Lärm und leiden unter Lärm. Das wäre ein Riesengewinn von Lebensqualität.

Derzeit wird in Österreich über die Einführung einer Fleischsteuer diskutiert, weil die Produktion von tierischen Landwirtschaftsprodukten einen Beitrag zur Treibhausemission leistet. Wie sehen Sie das?
Wir werden um einen Preismechanismus nicht herumkommen. Es muss das mit Geld bestraft werden, was umweltschädlich ist, ob das die Klimagase, die Massentierhaltung oder die Zerstörung der Artenvielfalt betrifft. Am Preis richten wir einen großen Teil unseres Verhaltens aus. Solange das Schnitzelfleisch nur 1,20 Euro pro 100 Gramm kostet, wird natürlich jeder sehr viel davon kaufen, weil es so günstig ist. Das ist genau der Punkt, wo wir gegensteuern müssen. Die Frage ist, mit welchem Mittel wir Fleisch teurer machen. Die Niederländer beispielsweise besteuern die Gülle. Das Fleisch wird teuer, weil natürlich der Bauer die Steuer auf die Fleischpreise umlegen muss. Aber gleichzeitig gibt es eine engere Begründung, warum man diese Steuer einhebt, weil nämlich die Gülle klimaschädlich ist. Die Schweizer haben im Jahr 2000 eine Volksabstimmung abgehalten, bei der sie für eine bessere Tierhaltung votiert haben und bereit waren, dafür auch einen höheren Preis zu zahlen. Die Preise für Fleisch in der Schweiz sind in der Folge deutlich nach oben gegangen. Die Schweizer haben das dadurch ausgeglichen, dass sie heute zehn bis 15 Kilogramm weniger Fleisch essen als damals und damit nicht mehr Geld für das Fleisch ausgeben als vorher.

Wie viel Fleisch ist für den durchschnittlichen Menschen in der Industriegesellschaft genug?
Ungefähr 15 bis 20 Kilogramm pro Person und Jahr. Zum Vergleich, in Österreich essen wir momentan 65 Kilogramm pro Person und Jahr und müssen also von massiv unseren Fleischverbrauch reduzieren. Das muss die Fleischbauern gar nicht bedrohen. Wenn eine deutliche Preiserhöhung des Fleisches mit einer besseren Haltungsbedingung des Tieres verbunden wird, könnte der Bauer also durchaus mit ähnlich hohen Einnahmen rechnen wie jetzt, bräuchte aber nur noch ein Drittel oder ein Viertel der Tiere auf die Weide stellen. Und das würde natürlich auch bedeuten: Die Tiere haben mehr Platz und Auslauf.

Provokant gefragt: Braucht es überhaupt eine Nutztierhaltung?
Ja. Auf Weidetiere kann man nicht verzichten. Die Landwirtschaft ist einerseits durch Spritz- und Düngemittel und durch den häufigen Schnitt auf den Wiesen ein Zerstörer von Biodiversität. Aber sie ist auf der anderen Seite dort, wo sie extensive Weidehaltung betreibt, ein großer Förderer von Biodiversität. Ohne die Landwirtschaft auf unseren Almen würden große Schätze an Artenvielfalt verloren gehen. Wir könnten natürlich jetzt sagen, wir verzichten auf eine Nutzung der Tiere. Aber wer will dafür zahlen, dass Hunderttausende Kühe und Schafe auf den Almen stehen, die uns keinen Nutzen bringen? Da denke ich muss man schon realistisch sein. Irgendwie muss sich das auch finanzieren können. Die Tiere haben dort ein supergutes Leben, fressen die beste Kräuter, dann können wir von der lieben Kuh auch eine Gegenleistung erwarten.

Welche Bedeutung können fleischfreie Wochentage oder Zeiten haben?
Es braucht einen Kulturwandel, der uns wieder deutlich macht, dass Fleisch eben nicht die alltägliche Speise ist, sondern etwas Besonderes. Da kann die alte kirchliche Tradition hervorragend einspringen, wenn wir bestimmte Tage der Woche gezielt als fleischfreie Tage definieren. Wenn wir auch eine bestimmte Jahreszeit, zu einer fleischfreien Zeit machen, wie das über die längste Zeit des Christentums der Fall war, wo man 40 Tage kein bisschen Fleisch gegessen hat, dann bekomme ich ein neues Bewusstsein für die Wertigkeit des Fleisches. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass ich auch gut essen kann ohne Fleisch. Wir haben in unserer Kultur und Tradition durch die Fastenvorschriften der Kirche bedingt ein reiches Speisenangebot, auch an vegetarischen Speisen, die wir an den Freitagen, mittwochs und in der Fastenzeit aufgetischt bekommen.
Ich habe neulich erlebt, dass ein Brautpaar bei der Hochzeit ein fleischfreies Menü angeboten hat. Das führte schon zu einem Rumoren unter den Anwesenden. Aber die Leute haben erlebt, es kann ein tolles Fest ohne Fleisch sein.

Wie sieht Ihr ökologischer Fußabdruck aus?
Ich liege sicherlich ein ganzes Stück unter dem österreichischen Durchschnitt, aber noch nicht dort, wohin wir eigentlich müssten. Wenn man das einmal in CO2 rechnet: 1,5 bis 2 Tonnen pro Jahr und Person. Das hat auch damit zu tun, dass man vielfach die Alternativen noch nicht zur Verfügung hat, die man bräuchte, um auf diesen Zielwert zu kommen. Als Beispiel: Ich habe derzeit noch ein umweltverträgliches E-Auto, aber ich hätte lieber gar kein Auto. Nur ich komme zurzeit zu bestimmten Orten, in denen ich Vorträge halte, nicht ohne Auto hin. Mit dem Flugzeug bin ich überhaupt nicht unterwegs. Wenn es irgendwie geht, fahre ich mit der Bahn. Ich esse extrem wenig Fleisch, da liege ich relativ gut, was die Ernährung angeht.

Der Artikel erschien erstmals in der Printausgabe des SONNTAG vom 22. September 2019.

Autor:

Markus Albert Langer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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