Allerheiligen und Allerseelen
Rituale schenken Freiheit
Viele werden zu Allerheiligen oder Allerseelen wieder auf den Friedhof gehen, am Grab eine Kerze anzünden, ein Gebet sprechen und sich gemeinsam mit Familie und Freunden an die Verstorbenen erinnern. Ein Ritual, das gut tut. Ein Ritual, das viele nicht missen wollen. Aber warum ist das so? Der SONNTAG hat mit P. Zacharias Heyes, Benediktinermönch in der Abtei Münsterschwarzach, über die heilsame Wirkung von Ritualen gesprochen.
Es ist ein lautes, ein fröhliches Fest, dazu einer der höchsten und beliebtesten Feiertage in Mexiko: der „Dios de los muertos“, der Tag der Toten. Wer ihn schon miterlebt hat, zeigt sich meist beeindruckt vom Ablauf. Nach alten Überlieferungen kommen am 2. November die Toten zu Besuch, um gemeinsam mit den Lebenden bei Tanz, Musik, gutem Essen und Trinken zu feiern und Spaß zu haben. In Straßen und Geschäften werden dazu bereits ab Mitte Oktober Skelette aus Pappe platziert. Am Tag selbst gehen Menschen als Skelette geschminkt und verkleidet durch die Dörfer und Städte. Sie singen, tanzen, lachen. 2003 wurde das Brauchtum rund um den „Dios de los Muertos“ von der UNESCO zum Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit ernannt. Es ist ein Gedenken an die Verstorbenen und ein Feiern des Lebens hier auf Erden. Ein Ritual, das kaum ein Mexikaner missen möchte.
Unfassbares fassbar machen
Benediktiner in der Abtei Münsterschwarzach
In Österreich geht es zu Allerheiligen und Allerseelen vergleichsweise ruhig und beschaulich zu. Ein typisches Ritual gibt es aber auch hier: Der Gang auf den Friedhof – um eine Andacht zu besuchen oder Kerzen am Grab der Verstorbenen anzuzünden und sich an sie zu erinnern. Das gehört für die meisten Familien selbstverständlich dazu. Es ist eine langgepflegte Tradition, ein wichtiges Ritual, auf das man nicht verzichten möchte. Und das übrigens oft ganz unabhängig davon, ob man sich als gläubiger Mensch bezeichnen würde oder nicht. Aber warum ist das so? Warum pflegen die Menschen Rituale? Und warum scheinen sie sich besonders gerne in schweren Zeiten oder im Zusammenhang mit schwierigen Themen daran zu erinnern?
„Wir haben Orte wie den Friedhof und Rituale wie den Gang auf den Friedhof, weil sie uns helfen, Unfassbares fassbarer zu machen“, sagt dazu P. Zacharias Heyes, Benediktiner in der Abtei Münsterschwarzach in Deutschland. „Friedhöfe sind Orte, an denen sich sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit treffen, wo ich spüren kann – so paradox das klingt – dass das Leben weitergeht. Der verstorbene Mensch und ich, wir sind in einen Kreislauf eingebunden, in ein immerwährendes Werden und Vergehen. Auf den Friedhof zu gehen, zu spüren, eine Kerze anzuzünden – das sind Rituale, die wertvoll sind und der Seele guttun.“
Bei sich selbst ankommen
In diesem Herbst hat P. Zacharias zum Thema Rituale im Vier-Türme-Verlag ein Buch veröffentlicht. „Selbst verständlich. Wie Rituale helfen, wieder bei sich anzukommen“, heißt es und der Benediktiner zeigt darin auf, welch hilfreiche und heilsame Wirkung Rituale auf uns Menschen haben. „Generell sind Rituale dazu da, uns aus dem Alltag herauszunehmen, inne zu halten, sagt P. Zacharias im Gespräch mit dem SONNTAG, vielleicht neue Lebenskraft zu entdecken, Situationen – auch schwere – neu zu strukturieren, im besten Fall zu spüren, dass wir nicht alleine sind. Und sich dann bewusster und fokussierter wieder auf den Weg zu machen.“
Eine heilsame, beruhigende Wirkung
Rituale spielen in seinem Leben als Benediktiner eine große Rolle, sagt P. Zacharias und er erlebt diese heilsame, beruhigende Wirkung jeden einzelnen Tag seines Lebens. Nicht nur als Notfallseelsorger, wenn er versucht für Menschen in Ausnahmesituationen da zu sein. Vor allem zu Hause, im Kloster sind Rituale allgegenwärtig. Immer wieder sei er mit Aussagen konfrontiert wie „So könnte ich nicht leben“. Zu starr, zu unbeweglich erscheint den Menschen offensichtlich oft das Leben im Kloster. Dabei ist gerade das Gegenteil der Fall, sagt P. Zacharias. Die Rituale, die er täglich lebt, würden ihm eine große Freiheit ermöglichen. „Die benediktinischen Regeln bestehen seit vielen Jahrhunderten. Sie wollen das Herz weiten für die Größe des Lebens“, sagt er, „für die Wunder der Schöpfung und die Gegenwart Gottes. Und genau das tun sie auch“.
Das war schon immer so
Aber eine Regel befolgen, ein Ritual machen – nur weil es seit Jahrhunderten schon so ist, weil man das immer schon so gemacht hat? Macht das Sinn? Sollten wir unsere Rituale nicht kritischer hinterfragen? „Das Argument ,Ich mache das, weil es schon immer so war‘ ist kein prinzipielles Argument gegen ein Ritual“, sagt P. Zacharias: „Indem wir Rituale immer wieder und wieder machen, merken wir unter Umständen ja erst, wie sie uns tragen.“ Manchmal täte es einfach gut, etwas deswegen zu machen „weil es schon immer so war“, weil ein geregelter Ablauf manche Situation ungeheuer erleichtere. Er erinnere sich an den Tod eines jungen Mitbruders vor einigen Jahren – seine Gemeinschaft sei davon tief betroffen, tief getroffen gewesen. „Da war es gut, nicht nachdenken zu müssen, sondern einfach ,Schema F‘ durchspielen zu können.“
Tut es mir gut, oder tut es mir nicht gut
Manchmal würde er sich aber schon wünschen, dass Rituale dann und wann hinterfragt und neu verinnerlicht werden. „Ich denke, im Grunde ist es wichtig zu verstehen, was man tut. Und ich bin mir nicht sicher, ob das immer der Fall ist, ob wir Rituale wirklich immer verinnerlicht haben.“
Der Gradmesser für ein Ritual sei am Ende aber wohl immer, zu erkennen, ob es mir gut tut, oder ob es mir eben nicht gut tut. „Und gut tun, heißt nicht immer, dass ich etwas mit Freude machen muss“, gibt P. Zacharias zu bedenken: „Manche Dinge, die mir gut tun, brauchen trotzdem eiserne Disziplin.“ In jedem Fall lohne es sich aber, Rituale zu finden, die einem gut tun. „Rituale bringen den Menschen immer mit sich selbst in Berührung und mit seinem ganzen Menschsein.“
Autor:Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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