Interview mit Mathilde Schwabeneder-Hain
Mutige Frauen im Kampf gegen die Mafia

Mathilde Schwabeneder-Hain: "Frauen haben oft ein anderes Sensorium und geben auch andere Dinge preis, mitunter schonungsloser." | Foto: Harald Eisenberger, Styria Verlag
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  • Mathilde Schwabeneder-Hain: "Frauen haben oft ein anderes Sensorium und geben auch andere Dinge preis, mitunter schonungsloser."
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Bis zu ihrer Pensionierung im Sommer 2020 leitete Mathilde Schwabeneder-Hain die ORF-Außenstelle in Rom und berichtete aus Italien, Malta und dem Vatikan.
Im Interview mit dem SONNTAG spricht die bekannte Journalistin und Autorin über Papst Franziskus und über ihr neues Buch „Sie packen aus. Frauen im Kampf gegen die Mafia“. Es zeigt: Frauen sind Hoffnungsträgerinnen bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens.

Schlank, mit Jeans, bunter Seidenbluse und verspiegelten Sonnenbrillen betritt eine dunkelhaarige Dame den Klosterhof des Deutschen Ordens in der Wiener City. Es ist Mitte September und sie ist keine der wenigen Touristinnen in diesen Tagen: Es ist Mathilde Schwabeneder-Hain, langjährige ORF-Korrespondentin in Rom, die wir hier zum Gespräch treffen.

Ihr Gesicht ist vielen von uns durch ihre Fernseh-Berichte aus Italien vertraut, ihre Stimme untrennbar mit Live-Übertragungen von „Urbi et Orbi“ vom Petersplatz in Rom verbunden.

  • Als Vatikan-Korrespondentin des ORF begleitete sie drei Päpste – was hat sich aus Mathilde Schwabeneder-Hains Beobachtung durch Papst Franziskus verändert?

Mathilde Schwabeneder-Hain: „Was sich durch Papst Franziskus verändert hat, das ist die generelle Akzeptanz der Katholischen Kirche in der Öffentlichkeit. Franziskus hat etwas bewirkt, das auch nötig war: Er hat Mauern eingerissen, er hat diese Distanz reduziert, die sehr oft zwischen Würdenträgern und den Menschen vorhanden war. Das ist ihm sehr gut gelungen. Ich habe auf vielen Papstreisen gesehen, wie er mit den Menschen umgeht. Papst Franziskus – das ist meine Beobachtung – bekommt auch mehr Applaus von Menschen, die eher kirchenfern sind. Hard-core-Katholiken kritisieren ihn öfter, wie wir wissen.

  • Gibt es eine Begegnung mit Papst Franziskus, die Ihnen in besonderer Erinnerung ist?

Ich habe immer zu Weihnachten und zu Ostern die Übertragungen aus Rom kommentiert. Papst Franziskus hat uns Journalisten, die die Übertragung gemacht haben, nach Urbi et Orbi eingeladen. Hinter der Loggia des Petersdoms gibt es ein eigenes kleines Studio. Er hat sich bedankt und wir haben uns frohe Weihnachten und Ostern gewünscht. Das ist schon etwas sehr Nettes und sehr Besonderes – das hat es vorher in dieser Form nicht gegeben. Das zeigt auch die Wertschätzung, die Papst Franziskus für die Arbeit hat, die wir Journalistinnen und Journalisten machen.

  • Sie haben vor kurzem Ihr zweites Buch zum Thema Mafia geschrieben. Kommt man um das Thema Mafia in Italien nicht herum?

Man kommt um dieses Thema in Italien sicher nicht herum. Die Mafias sind ein Teil der italienischen Realität – das ist leider so bei all meiner Liebe zu diesem Land. Aber man kann die negativen Dinge nicht ausblenden.

  • Wie kam es zum Thema „Mafia und Frauen“?

Mir ist, als ich 2007 als Korrespondentin nach Italien zurückgegangen bin, aufgefallen, dass bei vielen Razzien und Verhaftungen immer wieder Frauen dabei waren. Man spricht immer davon, dass die Mafia ein Männerbündnis sei, zugleich heißt es aber immer ‚la familia‘, also die Familie. Wo sind da die Frauen und wie sind da die Frauen dabei? So bin ich auf die weiblichen Bosse gekommen – das war mein Buch vor sechs Jahren. Das war keine einfache Recherche, aber sehr interessant auch für mich selbst, weil man da erfährt, wie Frauen aufwachsen, wie Frauen ticken, wie sie sich verhalten müssen. Das war für mich, obwohl ich Italien ganz gut kenne, schon wahnsinnig verblüffend.

Jetzt betrachte ich die andere Seite der Medaille: Frauen, die die Mafia bekämpfen. Das sind nicht mehr nur Männer. Man kennt sehr viele berühmte Männer, die mitunter auch ihr Leben verloren haben in diesem Kampf. Aber es gibt auch jede Menge Frauen seit etlichen Jahren in diesem Kampf und die wollte ich mir einmal näher ansehen.

  • Warum sind Frauen im Kampf gegen die Mafia auch Hoffnungsträgerinnen?

Einerseits aus dem Inneren der Mafia heraus: Ermittler hoffen, dass Frauen sich entschließen mit ihrem Umfeld zu brechen und aus dem organisierten Verbrechen auszuscheiden, d.h. dass sie Aussteigerinnen werden – Justiz-Kollaborateurinnen, Kronzeuginnen usw. Frauen haben oft ein anderes Sensorium und geben auch andere Dinge preis, mitunter schonungsloser – auch weil sie sich in vielen Fällen um ihre Kinder sorgen. Kinder sind oft ein ganz wichtiges Motiv, auszusteigen und einfach einen Schnitt zu setzen, der kompliziert und schmerzhaft ist. Insofern sind sie Hoffnungsträgerinnen. Andererseits ist es so, dass emanzipierte Frauen auch einen anderen Blick auf die Gesellschaft haben. D. h. dass unter diesem Aspekt mehr Aufklärungsarbeit gemacht werden kann und mehr Sensibilität geschaffen wird - und die braucht es.

  • Gibt es ein Frauenschicksal, dass Sie beim Schreiben dieses Buches besonders bewegt hat?

Jede Frau hat eine ganz besondere Geschichte. Was mir bei diesem Buch besonders am Herzen lag: In der letzten Geschichte geht es um zwei Frauen, die ein bisschen aus diesem Schema herausfallen, weil es Nigerianerinnen sind. Aber sie haben mit Italien zu tun, weil die nigerianische Mafia in Italien sehr stark ist. Das sind sehr junge Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden. Das betrifft dann nicht nur Italien. Diese Frauen werden in die Prostitution geschickt – eine ist in Österreich gestrandet. Das sind sehr berührende Schicksale, die viel zu wenig bekannt sind.

Darüber hinaus ist die junge Journalistin Alessia Candito, die ich porträtiere, eine sehr beeindruckende Persönlichkeit. Sie lebt und arbeitet in ihrer Heimatregion Kalabrien. Sie hat auch in Lateinamerika und im Nahen Osten gearbeitet. Sie ist überzeugt, dass der gefährlichste Ort ihre Heimat ist, weil der Druck in Kalabrien sehr hoch ist. D. h. nicht, dass immer gleich gemordet wird – da hat sich einiges verändert. Aber Menschen, die sich nicht einfügen in diesen grausamen und oft tödlichen Mechanismus, werden isoliert.

  • Wie kann es sein, dass sich viele Mafia-Clans als katholisch bezeichnen?

Viele der Mafia-Familien in Sizilien und Kalabrien stellen sich wirklich als religiös, als katholisch dar. Das ist natürlich ein totaler Missbrauch des Glaubens, denn wie kann ich bedrohen, rauben, morden, stehlen und unterdrücken und sagen: Ich bin katholisch? Das ist nicht vereinbar.

Auch Papst Franziskus hat bei seinem berühmten Auftritt in Sizilien gegen die Bosse gewettert, wenn er sagt: Ein Mafioso ist automatisch exkommuniziert, das ist einfach unvereinbar. Schwieriger ist die Frage, wie sich der lokale Klerus verhält. Derzeit läuft wieder ein großer Prozess, in dem auch ein Priester mitangeklagt ist. Da ist es oft so, dass Priester ihre Funktion nicht ausüben. Sie sind dann Teil der Familie - das heißt nicht, dass sie rauben oder morden, aber sie wissen, sie decken, sie halten zu ihnen.

In den vergangenen Jahren waren auch immer wieder die Marienprozessionen in Kalabrien in der Presse. Diese großen Prozessionen sind wichtig für die Bevölkerung und immer wieder kommt es vor, dass Männer eine große Marienstatue tragen und diese sich dann vor dem Haus eines Bosses verneigt. Da gab es riesige Diskussionen, weil das einfach inakzeptabel ist. Vor Ort wird das nicht so gesehen. Ich habe aber auch Priester getroffen, die ihren Dienst in Kalabrien unter Lebensgefahr versehen haben und unter Morddrohungen. Der Großteil, würde ich sagen, ist auf dieser Linie, aber es gibt auch die schwarzen Schafe.

  • Hatten Sie nie Angst bei Ihren Recherchen?

Natürlich gibt es Momente, da denkt man: Das könnte gefährlich werden. Aber prinzipiell bin ich vorsichtig und habe mich immer an Akten gehalten. Aber ein bisschen ist es ja auch Teil unseres Berufes, das man nicht immer an Gefahren denkt, weil dann könnte man Vieles überhaupt nicht machen. Aber man muss natürlich auch vorsichtig sein für sich selbst und auch für die Personen, die einen umgeben und die Personen, mit denen man zu tun hat, denn die werden ja auch exponiert, wenn man zu Ihnen recherchiert.

  • Sie sind mittlerweile in Pension und wohnen in Rom, Wien und St. Florian in Ober­österreich. Wie bringt man das alles unter?

Für manche ist das vielleicht eine große logistische Herausforderung. Mein Mann und ich haben das sehr gut geschafft – Ich habe 2011 wieder geheiratet und wir sind hin- und hergependelt. Man bekommt mit der Zeit eine gewisse Routine und für unsereins ist es ganz normal, dass man immer auf Achse ist. Mir fällt es eher schwerer, mich – wie jetzt in der Corona-Zeit – weniger bewegen zu können.

  • Was sind Ihre Kraftquellen?

Kraftquellen sind für mich Menschen, die mir nahe stehen – auch Heimat sind für mich Menschen. Eine Kraftquelle für mich – das hat sich im Laufe des Lebens entwickelt – ist für mich auch Schönheit. Die Ästhetik von schönen Dingen hat eine unglaubliche Kraft. Das kann in der Kunst sein, in der Kultur sein, ganz normal im Alltag – das kann sehr Vieles sein. Das ist etwas, das Kraft und Harmonie gibt.

Autor:

Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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