Meine Rache an Hitler
Erika Freeman: "Wunder geschehen, man weiß nur nicht wann"

Die Psychoanalytikerin Erika Freeman wohnt derzeit vorübergehend im Hotel Imperial. 
Ihre Geburtsstadt Wien hatte sie einst als Kind alleine verlassen müssen. | Foto: privat
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  • Die Psychoanalytikerin Erika Freeman wohnt derzeit vorübergehend im Hotel Imperial.
    Ihre Geburtsstadt Wien hatte sie einst als Kind alleine verlassen müssen.
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Eigentlich ist sie in New York zu Hause. Seit letztem Jahr aber schon wohnt sie in Wien, vorübergehend im Hotel Imperial. „Das ist meine Rache an Hitler“, sagt Erika Freeman. Die Erholung von einer Operation und die Corona-Pandemie halten die Psychoanalytikerin länger in ihrer Geburtsstadt als ursprünglich gedacht.

Zur Welt kam die heute 93-Jährige 1927 in Wien als Erika Polesciuk, als zwölfjähriges jüdisches Mädchen floh sie alleine in die USA. Ihre Mutter kam bei einem Bombenangriff auf Wien im März 1945 zu Tode. Der Vater war zuvor ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden.

Erika Freeman machte in den USA Karriere als Psychoanalytikerin, pflegte Freundschaften mit Hollywoodstars wie Marlon Brando und Marilyn Monroe und soll so mancher Prominenz auch psychoanalytisch zur Seite gestanden sein. Beratend tätig war sie jedenfalls für Persönlichkeiten wie Hilary Clinton, Golda Meir – oder auch Kardinal König. Sie war mit dem Künstler und Bildhauer Paul Freeman verheiratet.

Erika Freeman - Passionswege

PASSIONSWEGE - radioklassik.at/erika-freeman/ HEUTE 19:00 - Zur Welt kam die heute 93-Jährige 1927 in Wien als Erika Polesciuk, als zwölfjähriges jüdisches Mädchen floh sie alleine in die USA. Ihre Mutter kam bei einem Bombenangriff auf Wien im März 1945 zu Tode. Der Vater war zuvor ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden. Erika Freeman machte in den USA Karriere als Psychoanalytikerin, pflegte Freundschaften mit Hollywoodstars wie Marlon Brando und Marilyn Monroe und soll so mancher Prominenz auch psychoanalytisch zur Seite gestanden sein. Beratend tätig war sie jedenfalls für Persönlichkeiten wie Hilary Clinton, Golda Meir – oder auch Kardinal König. Wiederholung: MI, 10. MÄRZ 2021, 19:00 #Passionswege #ErikaFreemann #HotelImperial

Gepostet von Radio Klassik Stephansdom am Samstag, 6. März 2021

Mit dem Freud-Schüler Theodor Reik veröffentlichte Erika Freeman Reflexionen zur Psychoanalyse. Und sie praktiziert bis heute, auch jetzt hier in Wien: „Warum sollte ich aufhören? Wirft man etwa ein da Vinci-Gemälde weg, weil es nicht mehr neu ist?“ Drei Mal 31 Jahre alt sei sie, lacht Erika Freeman. Und mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung für ihre Patientinnen und Patienten hilfreicher als je zuvor.

  • „Angst macht dumm“, das ist eines der vielen einprägsamen Zitate, die von Ihnen stammen. Sie haben ein solch bewegtes Leben hinter sich.
  • Haben Sie nie Angst?

Erika Freeman: Ich glaube, ich bin zu dumm, um Angst zu haben (lacht). Alles, das einem Angst machen kann, alles, das todgefährlich ist, habe ich bereits als Kind durchgemacht. Ich habe Hitler erlebt, ich bin alleine in die USA geflohen. Angst zu haben verhindert, dass man Ideen entwickeln und Dinge erschaffen kann. In dem Moment, in dem man Angst hat, geht einem die Hälfte des eigenen Gehirns verloren. Darum: Hol dich selbst heraus aus der Dunkelheit. Mach das Licht an!

  • Wie kann das gelingen?

Ich war 1934, mitten im österreichischen Bürgerkrieg, mit meiner Mutter spazieren. Hand in Hand sind wir an einer Kaserne vorbeigegangen. Ein Soldat lief einem anderen mit einem Bajonett hinterher. ‚Siehst du, das ist ein Kriegsspiel‘, hat meine Mutter ganz ruhig zu mir gesagt. Aha, sagte ich. So war meine Mutter. Jedes Gefühl ist ansteckend. Du kannst jemandem beibringen, Angst zu haben. Genauso kannst du jemandem lernen, mutig zu sein.

  • Sie haben in Wien gelebt, bis Sie im Alter von zwölf Jahren mithilfe eines sogenannten Affidavits in die USA fliehen konnten.
  • Welche Erinnerungen haben Sie an Wien unter Hitler?

Ich kann mich an die Reichskristallnacht erinnern, daran, wie meine Mutter auch damals mit mir durch die Straßen ging, mitten in dem fürchterlichen Krawall. Eine Zeitlang wohnten wir zu acht in der Engerthstraße in einer Wohnung. Meine Mutter und ich teilten uns ein Bett, meine Tanten lagen im anderen. Es gab keine Elektrizität. So lange ich noch in die Schule gehen durfte, lernte ich mit einer Öllampe. Zu essen gab es kaum. Ich machte Einbrennsuppe mit einem kleinen bisschen Mehl und gekochtem Wasser.

  • Sie stammen aus einer jüdischen Familie. Ihre Mutter, eine Hebräisch-Lehrerin, lebte in Wien als sogenanntes U-Boot, bevor sie 1945 bei einem Bombenangriff ums Leben kam.
  • Ihr Vater, ein Arzt und aktiver Sozialdemokrat war schon zuvor ins KZ Theresienstadt deportiert worden. Jahrelang dachten Sie, er sei tot – bis Sie ihm in New York begegneten.

Am Festtag Jom Kippur traf mein Onkel mütterlicherseits, der wie ich in den USA war, mitten am Broadway auf meinen Vater. ‚Ich dachte, du bist tot!“, rief er meinem Vater zu. „Nein, ich bin am Leben, aber Erika ist tot“, sagte mein Vater. „Erika lebt!“, rief mein Onkel. Also bin ich meinem Vater 1946 wieder begegnet! So nett ist der liebe Herrgott, wenn du Geduld mit ihm hast!

  • Das klingt nach einem Wunder!

Wunder geschehen, man weiß nur nicht wann. Es gibt keinen Termin. Aber man kann sich darauf verlassen.

  • Sie waren mit vielen Hollywood-Stars befreundet, sind nicht nur ihnen, sondern auch politischen Größen wie Hilary Clinton oder Golda Meir immer wieder mental zur Seite gestanden.
  • Wie kamen Sie zur Psychoanalyse?

Zuerst studierte ich Internationale Beziehungen, mit dem Ziel, die Welt zu retten. Dann erkannte ich: Als Psychoanalytikerin kann ich einzelne Menschen retten – und so verhindern, dass sie die Welt zerstören.

  • Sie praktizieren nach wie vor. Sie sind jetzt 93 Jahre alt. Denken Sie gar nicht ans Aufhören?

Nein! Ein Mensch muss sich nützlich fühlen. Ich wäre auch gerne Schauspielerin geworden. Doch dann hieße es jetzt bereits: Sie war einmal eine berühmte Schauspielerin. So kann ich heute sagen: Ich bin noch immer eine nützliche Psychoanalytikerin. Ist doch gut so!

Autor:

Marlene Groihofer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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