Weihbischof Helmut Krätzl
Die „Sprache“ der sieben Päpste

Weihbischof Helmut Krätzl: „Benedikt XVI. ist der große Papst-Philosoph, der mit den intellektuellen Kreisen ins Gespräch gekommen ist.“
 | Foto: Stefan Kronthaler
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Im Jahr 1954 wurde Weihbischof Helmut Krätzl zum Priester geweiht, noch unter Papst Pius XII. Jetzt 2020, erlebt Krätzl mit Papst Franziskus einen Bischof von Rom, mit dem nicht nur er die Hoffnung auf einen neuen Frühling für die Kirche verbindet. Krätzl sieht im Gespräch mit dem SONNTAG „einen großen Bogen zwischen meinen Lieblings-Päpsten Johannes XXIII. und Franziskus“. Krätzl: „Beide stehen für einen Aufbruch der Kirche in Freude und Hoffnung gegen alle Unheils-Propheten, die nur das Negative suchen. Ich wünsche mir, dass Franziskus dabei immer mehr Unterstützung von den Bischöfen aus aller Welt erfährt.“ Papst Franziskus habe auch am Beginn seine Pontifikats gesagt, dass das Konzil noch längst nicht durchgeführt sei, und er hat dabei als Hauptpunkt an die Synodalität erinnert. Krätzl: „Es geht dabei um eine Dezentralisierung, die mehr auf die Stimmen der Weltkirche hört.“ Im SONNTAG-Gespräch erläutert der Weihbischof die „Sprache“ der sieben Päpste, die er bewusst erlebt hat.

Was zeichnete die „Sprache“ und den Stil von Papst Pius XII. (1939 bis 1958) aus?
Es herrschte damals eine sehr autoritäre Sprache. Pius XII. stand am Ende der „Pianischen Ära“, diese Pius-Päpste (angefangen von Papst Pius IX. bis Pius XII.) haben sich immer gegen den Modernismus gewehrt. Pius IX. hatte das Erste Vatikanische Konzil (1869 bis 1870) einberufen, das zu einer Verfestigung der Lehrautorität des Papstes mit der Definition der Jurisdiktions-Primats geführt hat. Leider kam es nicht mehr zum notwendigen zweiten Teil, nämlich zur Frage der Mitwirkung der Bischöfe. Pius XII. hat 1950 als einziger Papst nach dem Ersten Vatikanum diese Lehrautorität wahrgenommen, mit der Dogmatisierung der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. In der Enzyklika „Humani generis“ (1950) hat Pius XII. dann abgerechnet mit den fortschrittlichen französischen Theologen, ohne sie zu nennen. Der junge Joseph Ratzinger sagte damals, dass diese Enzyklika das letzte Wetterleuchten des Antimodernismus gewesen sei.

Johannes XXIII. (1958 bis 1963) sprach dann in seiner Enzyklika „Pacem in terris“ bereits „alle Menschen guten Willens“ an. Was hat sich da verändert?
Die Sprache von Papst Johannes XXIII. muss man anhand seiner Eröffnungs-Rede zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) studieren. Ich war damals 1962 selbst als ausgebildeter Konzils-Stenograph dabei bei dieser Bischofversammlung von 2.500 Bischöfen. Diese Rede begann mit den Worten: „Gaudet mater ecclesia“ – „Es freut sich die Mutter Kirche“. Dieses Wort von der Freude war das wichtigste Wort von Johannes XXIII. In der italienischen Fassung dieser Rede kommt der berühmte Satz vor: „Die Kirche soll einen Sprung vorwärts machen.“ Diese Rede hatte Johannes XXIII. von Anfang an wörtlich selbst auf Italienisch formuliert. Im Petersdom musste er sie dann lateinisch lesen, und die Latinisten in der Kurie haben das schon abgeschwächt. Da kommt das Bild vom „Sprung vorwärts“ nicht mehr vor, sondern nur mehr, dass man die Erneuerung der Kirche mit großem Eifer betreiben soll. Von diesem Bild aus wollte ich später in einem Buch nachweisen, dass die Kirche in diesem Sprung, zu dem Johannes XXIII. angesetzt hat, gehemmt war. Bei Johannes XXIII. kommt auch schon das Wort „Barmherzigkeit“ oft vor.

Wofür steht dann die „Sprache“ von Papst Paul VI. (1963 bis 1978)?

Paul VI. haben wir zu verdanken, dass das Zweite Vatikanische Konzil nach dem Tod von Johannes XXIII. im Jahr 1963 weitergeführt worden ist. Seine Antritts-Enyzklika „Ecclesiam suam“ (1964) war eine Enzyklika über den Dialog. Damit wollte er gewisse Schwierigkeiten, die beim Konzil im Dialog entstanden waren, glätten und zu einer größeren Einheit führen. Leider war er dann auch der Papst, der den Dialog im Konzil gestört hat. Er hatte Probleme mit der Definition der Religionsfreiheit. Und er hat vor allem die „Nota explicativa praevia“, also „erklärende Noten“, an den Schluss des Kapitels über die hierarchische Verfassung der Kirche in der Konstitution „Lumen gentium“ dazugesetzt. Die sind nicht diskutiert worden und damit ist die Frage der Synodalität abgeschnitten worden. Beim Konzil hat er auch die Themen Zölibat und verantwortete Elternschaft herausgenommen und nicht diskutieren lassen. Die Enzyklika „Humanae vitae“ (1968) brachte die Kirche dann in einen großen moraltheologischen Notstand. Positiv an Paul VI. war, dass er 1965 den Kirchenbann mit der Orthodoxen Kirche 1965 aufgehoben. Und er wagte sich auf die internationale Bühne. So sprach er 1965 bei der UNO-Vollversammlung und hat damit die Kirche hineingebracht in dieses weltpolitische Entscheidungsgremium. Außerdem hat er das Gespräch mit den Nicht-Glaubenden gesucht und dazu Kardinal Franz König zum Präsidenten des Sekretariats für die Nicht-Glaubenden ernannt.

Johannes Paul I. (1978) bleibt als „lächelnder“ 33-Tage-Papst in Erinnerung...

Er war schwer herzkrank, er hätte im Konklave wohl nicht die Wahl annehmen dürfen. Man weiß nicht, was er genau als Papst gemacht hätte, etwa im Hinblick auf den Zölibat.

Wie hat sich Johannes Paul II. mit Kirche und Welt verständigt?
Zunächst war es seine große Begabung, mit der Welt zu kommunizieren, er hat die Massen begeistert, das haben wir 1983 bei seinem Besuch in Wien erlebt. Und politisch war er der Papst, der mitgeholfen hat, den Kommunismus zu Fall zu bringen. Was er allerdings aus dem Kampf gegen den Kommunismus mitgenommen hat, war eine sehr autoritäre Haltung. Johannes Paul II. hat auch gleich nach seinem Amtsantritt Hans Küng ein Redeverbot erteilt, und lag auch mit Befreiungstheologen im Clinch. Johannes Paul II. predigte die Barmherzigkeit und benannte auch den „Weißen Sonntag“ in „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“ um. Kritisch gesagt: Er hat die Barmherzigkeit gepredigt, sie selber aber innerhalb der Kirche vielfach nicht geübt. Vieles, was das Konzil angestoßen hat, wurde dann unter ihm gebremst. Er hat die Synodalität und die Rechte der Bischofskonferenzen eingeengt und damit die Dezentralisierung der Kirche gehemmt. Im Gespräch mit dem Judentum war Johannes Paul II. der Papst, der 1986 beim Besuch der Synagoge in Rom die Juden „unsere älteren Brüder“ genannt hat. Das war hervorragend.

Wodurch zeichnete sich die „Sprache“ von Benedikt XVI. aus?
Er wird in die Geschichte eingehen als der große Papst-Philosoph, dem es gelungen ist, mit den intellektuellen Kreisen ins Gespräch zu kommen, Glaube und Wissenschaft miteinander ins Gespräch zu bringen. Benedikt XVI. ist der Papst, den ich am allerlängsten gekannt habe, weil ich während des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom im selben Haus gewohnt habe. Wir junge Theologen waren damals begeistert von der fortschrittlichen Theologie des jungen Professor Joseph Ratzinger. Als Präfekt der Glaubenskongregation hat er sich schon verändert, und dann als Papst nochmals. Dabei haben Kardinal Frings und er die Linie des Konzils sehr positiv und sehr fortschrittlich festgelegt.

Papst Franziskus (seit 2013) stellt die „Freude“ in den Mittelpunkt. Was ist neu an diesem Stil?

Allein schon seine Enzykliken und päpstlichen Schreiben verraten viel: „Evangelii gaudium“ (Das Evangelium muss Freude machen) und „Amoris laetitia“ (bei der Lehre von der Ehe ist die Liebe entscheidend und nicht die Gesetzestreue). Auch Franziskus stellt das Wort der „Barmherzigkeit“ in den Mittelpunkt. Er redet nicht nur davon, sondern in allen päpstlichen Schreiben und im kirchlichen Eherecht will er die „Barmherzigkeit“ stärker zur Geltung bringen.

Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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