Zum 100. Geburtstag der Widerstandskämpferin
Die Kraftquellen der Sophie Scholl

Sophie Scholl liebte die Literatur. Im Frühjahr 1941, während sie ihren Reichsarbeitsdienst ableistete, vertiefte sie sich in die Schriften des heiligen Augustinus. | Foto: GEDENKSTAETTE DEUTSCHER WIDERSTAND / AFP / picturedesk.com
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  • Sophie Scholl liebte die Literatur. Im Frühjahr 1941, während sie ihren Reichsarbeitsdienst ableistete, vertiefte sie sich in die Schriften des heiligen Augustinus.
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Am 9. Mai jährt sich der Geburtstag von Sophie Scholl zum 100. Mal. Die Studentin und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus wurde am 22. Februar 1943 gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst wegen ihres Einsatzes in der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Wir sprechen mit Buchautorin Simone Frieling, darüber was diese junge Frau in ihrer Entwicklung so stark und widerständig gemacht hat.

Sophie Scholl ist eine Ikone der deutschen Geschichte. Gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und anderen Mitstreitern der Weißen Rose rief sie im Februar 1943 in Flugblättern zum Widerstand gegen das Hitler-Regime auf. Ihren mutigen Einsatz bezahlte sie mit dem Leben.

Wer war diese erst 21-jährige Frau, die nicht zögerte, für Frieden und Freiheit alles zu riskieren?

Simone Frieling
Simone Frieling
ist Buchautorin und Malerin.
Geboren in Wuppertal, lebt sie nach Stationen in Zürich und München seit 1994 mit ihrer Familie in Mainz.
Sie veröffentlichte Erzählungen, Romane, Essays und Anthologien.
Infos unter: simonefrieling.de

Wir sprechen mit der Malerin und Schriftstellerin Simone Frieling. Sie hat soeben ein Buch über Sophie Scholl veröffentlicht, in dem sie zentral der Frage nach geht, welche moralisch-geistige Entwicklung der Widerstands-Kraft der jungen Scholl-Geschwister vorausging.

Was macht eine junge Frau so stark?
Die Autorin hat sich in der Recherche für ihr neues Buch intensiv mit Texten von und über Sophie Scholl beschäftigt. "Für mich als Mutter von zwei Kindern – sie sind jetzt schon über dreißig – war ganz wichtig zu fragen: Was macht einen jungen Menschen so stark, so widerständig? Was kann man davon lernen, auch für die Pädagogik von heute oder überhaupt für die moralische und ethische Entwicklung eines Menschen?", erklärt Simone Frieling im Gespräch mit dem SONNTAG ihre Herangehensweise an Sophie Scholl.

Eine entscheidende Rolle für das spätere Handeln der Scholl-Kinder habe das Elternhaus gespielt, stellt Simone Frieling fest. "Die Eltern haben die Kinder begleitet, zugleich aber auch sehr viel an Freiheiten toleriert. Sie hatten eine ganz klare Einstellung zur christlichen Ethik. Die Mutter war eine sehr gläubige Frau: Ohne eben nur in die Kirche zu rennen, hat sie ihren Glauben in ihr Verhalten übertragen."

Magdalena Scholl (1881–1958) war in ihrer Jugend evangelische Diakonisse und vermittelte ihren vier Kindern – eine Tochter verstarb im ersten Lebensjahr – den Wert der Nächstenliebe bis hin zur Feindesliebe. "So haben diese Kinder; als sie erwachsen wurden, nie in diesem Schematismus gedacht, der ihnen aufgepresst wurde: Der Russe ist unser Feind usw.", erläutert Simone Frieling.

Sophies Vater Robert Scholl (1891-1973) lehnte das NS-Regime von Anfang an ab. Für seine Aussagen "Die Nazis sind eine Rotte von Verbrechern. Hitler ist eine Geißel Gottes" ging er vier Monate ins Gefängnis. "So waren die Scholl-Eltern jahrelang unglücklich, weil ihre Kinder der Ideologie der Nationalsozialisten zunächst auf den Leim gingen", erklärt Simone Frieling. In der Tat waren die Geschwister Scholl in den ersten Jahren der Machtergreifung begeisterte Hitler-Anhänger.

Geliebt, geachtet und gefördert
"Sophie Scholl war eine sehr geliebte und geachtete Tochter", betont Simone Frieling. Das galt für alle drei Mädchen in der Familie. "Der Vater, der selbst aus bäuerlichen Verhältnissen mit zehn Geschwistern stammte, zog sogar um, damit seine Töchter aufs Gymnasium gehen konnten." Robert Scholl, Wirtschaftsprüfer und Bürgermeister, setzte sich stark dafür ein, dass seine Töchter den höheren Bildungsweg gehen konnten und sprach dafür persönlich bei den Schulleitern vor.

Literatur, Musik und Kunst
Sophie Scholl war eine vielseitig begabte junge Frau, die sehr viel las, hervorragend zeichnete und Klavier spielte. "Das ist etwas Einzigartiges. Sie war einfach sehr begabt und eine reiche Persönlichkeit. Ich würde sagen, dass sie eine Künstlerpersönlichkeit war. Auch das hat sie stark gemacht", schildert Buchautorin Simone Frieling.

Durch die vielen Facetten in ihrer Persönlichkeit sei sie eigenständiger, stärker und auch widerständiger gewesen, meint die Schriftstellerin. Ungewöhnlich für die damalige Zeit ist, dass die Begabungen der Mädchen von den Eltern sehr gefördert wurden. "Sie ging als Schülerin am Nachmittag noch auf eine Kunstwerksschule. Das hätten andere Familien mit mittlerem Einkommen und vielen Kindern nicht gemacht. Sie lernte Klavier und ging sehr in Bach-Stücken auf, was bedeutet, dass sie da schon sehr weit gekommen war." Sophie Scholls Kinderporträts aus der Zeit ihres Kriegshilfsdienstes in einem Kinderhort in Blumberg lassen sie als ausgezeichnete Porträtistin erkennen.

Heinrich Heine schied die Geister
Sophie und Hans Scholl waren zu Beginn vom Nationalsozialismus mitgerissen gewesen und schlossen sich der Hilter-Jugend (HJ) und dem Bund deutscher Mädel (BDM) an. "Sophie wollte im BDM Heinrich Heinelesen. Sie sagte, wer Heine nicht kennt, der kennt die deutsche Dichtung nicht. Weil Heine Jude war, durfte er nicht gelesen werden. Das waren Punkte, wo die Kinder angefangen haben, selbst zu denken, Abstand zu nehmen und Widerspruch zu empfinden. Aus diesem Widerspruch ist dann der Widerstand geworden", führt Simone Frieling aus.

Anbetendes Verhältnis zur Natur
Im Sommer 1940 schreibt Sophie ihrem Bruder Hans, der am Frankreichfeldzug teilnimmt: "Heute Mittag waren Inge und ich mit dem Rad weg, wir wollten in den Illerwald. Dann gefiel uns das Radfahren so gut, es ging ein bisschen Wind. Wir kamen uns vor wie höhere Beamte des lieben Gottes, die ausgeschickt waren, um zu prüfen, ob die Erde noch gut sei: Und wir fanden sie sehr gut!"

Die junge Biologie- und Philosophie-Studentin Sophie Scholl fühlte sich in der Natur Gott ganz besonders nahe. "Sophie Scholl hatte ein geradezu anbetendes Verhältnis zur Natur, aus dem sie sehr viel Kraft schöpfte. Das war eine Art Natur-Mystik. Sie sah in der Natur die Schöpfung verwirklicht und sah, dass sie gut geworden ist. Sie hatte ein ganz nahes Verhältnis zum Schöpfergott, der sie trägt in schwierigster Zeit – während der Verhöre und dem Gefängnisaufenthalt", führt Simone Frieling aus. Sie sei frühreif und intellektuell gewesen, aber fast kindlich in ihrem Gottvertrauen.

Selbsterziehung und Selbstbefragung
Ihre moralisch-ethische Entwicklung und die ihr daraus erwachsende Kraft hat Sophie Scholl nicht nur ihrem Elternhaus und ihren Begabungen zu verdanken, sondern auch sich selbst.

Simone Frieling: "Die Selbsterziehung spielt bei Sophie Scholl eine ganz große Rolle und das hat mit ihrer Religiosität zu tun. Sie geht mit Gott in ein Gespräch hinein und prüft sich, ob die Dinge, die sie tut, auch richtig sind."

Im Frühjahr 1941, während sie ihren Reichsarbeitsdienst ableistete, las Sophie Scholl Augustinusund fand darin Orientierung. "Diese Selbstprüfung und dieses Selbstgespräch sind bei ihr etwas ganz Zentrales und werden für sie unterstützt aus der Lektüre und Auseinandersetzung mit Augustinus, bei dem es besonders um diese Umkehr im Leben geht", erklärt Simone Frieling. "Bei Augustinus ist das rein religiös – diese Umkehr aus der Sekte zum Christentum – bei Sophie Scholl geht das weiter auch in das Gesellschaftliche hinein. Sie fragt sich: Was darf ich tun, damit mein Gott mit mir einverstanden ist?"

Autor:

Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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