Missbrauch und Tsunami überlebt
Die Himmelmutter hat euch überleben lassen
Josef Haslingers Kindheit ist von harten Lebensumständen im Waldviertel geprägt. Er muss täglich am Hof mitanpacken. Später kommt er als Zögling ins Zisterzienserstift Zwettl. Dort wiederfährt ihm durch Patres vier Jahre lang sexuellen Missbrauch. Mit seiner Familie überlebt Haslinger 2004 den Tsunami auf Thailand.
In den „Passionswegen“ im SONNTAG berichtet der erfolgreiche Buchautor über das Erlebte.
In der Pandemie fährt er lieber Auto. Die Reise ist eine lange. Als Professor für ästhetische Literatur macht sich Josef Haslinger immer wieder sechs Stunden auf den Weg ins ostdeutsche Leipzig. „Mir ist das in Corona-Zeiten sicherer, als mit dem Zug unterwegs zu sein“, erläutert er. In Leipzig ist Haslinger Direktor des Deutschen Literaturinstituts. Heuer werden es aber die letzten Fahrten sein, denn seine Pensionierung naht. Der 65-Jährige zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern Österreichs. Sein bekanntester Roman „Opernball“ erschien 1995.
Tausende Tote in Fiktion und Realität
„Opernball“ handelt von einem Anschlag auf den Wiener Opernball, der von einer Gruppe, die mit Neonazis sympathisiert, verübt wird, und bei dem tausende Menschen ihr Leben verlieren. Über diese Katastrophe, die Zeit davor sowie die Zeit danach, erzählt der Autor abwechselnd aus der Perspektive von hauptsächlich drei Personen. Der Roman wurde auch verfilmt.
Am 26. Dezember 2004 löste ein Seebeben vor der Küste der indonesischen Insel Sumatra eine Flutwelle aus. Der Tsunami tötete und verletzte Hunderttausende, machte unzählige heimatlos, zerstörte ganze Landstriche. Auch die wenige Kilometer vor der Westküste Thailands gelegene Insel Koh Phi Phi wurde von der verheerenden Naturkatastrophe schwer getroffen. Josef Haslinger und seine Familie verbrachten hier ihren Weihnachtsurlaub. „Wir haben mit Müh und knapper Not überlebt“, schildert er.
Aus den Erlebnissen entstand ein Roman. Darin beschreibt er eine eigentümliche Begebenheit: „Meine Mutter hat mir als Kind eine sogenannte ‚Wundertätige Medaille‘ um den Hals gehängt, und später wollte ich diese Medaille nicht mehr um den Hals tragen. Ich habe aber meiner Mutter versprochen, dass ich sie in die Geldbörse gebe.“
Monate nach dem Unglück erhalten Haslinger und seine Familie ein Paket aus Thailand zugestellt, denn Inhalte des Hoteltresors wurden in den Trümmern nach dem Tsunami gefunden. „Aufgrund unserer Pässe, die drinnen waren, konnten sie den Inhalt identifizieren“, schildert Haslinger. „Wir bekamen eine Mitteilung des zentralen Meldeamts in Wien, dass Sachen von uns eingetroffen sind. Und das war dann eine Schachtel mit völlig vermoderten Dingen, einem kaputten Fotoapparat und einer vermoderten Geldbörse. Als Haslinger mit dem Durchgehen der Sachen fertig war, schüttelt er den Karton noch einmal: „Da fällt diese Wundertätige Medaille raus.“ Haslinger schildert das seinem Freund, dem Theologen Adolf Holl. Der sagt zu ihm: „Die Himmelmutter hat euch überleben lassen.“
Buch über Missbrauchserfahrungen
Josef Haslinger hat die Kirche als Mitglied verlassen, auch wenn einige seiner fünf Geschwister als Religionslehrer tätig sind. Das hat mit seinem persönlich Erlebten zu tun. Als Zehnjähriger wird der aus Groß Meinharts im Waldviertel stammende Bauernbub Josef Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl.
Er ist religiös und möchte auch Priester werden. „Meine Mutter hat das mit unserem Pfarrer besprochen, der hat mich im Stift empfohlen“, erinnert Haslinger. Der Bub wird aufgenommen. Aber Haslinger wird vier Jahre lang Opfer sexuellen Missbrauchs von Patres des Stifts. In seinem Buch „Mein Fall“, das im Frühjahr vergangenen Jahres erschien, beschreibt er die Vorgänge. Gegenüber dem SONNTAG schildert er: „Es war sehr schrecklich, weil es mein Religionslehrer war, die für mich damals höchste Autorität.“
Späte persönliche Aufarbeitung
Später wechselt Josef Haslinger ins Gymnasium nach Horn. Nach der Matura 1973 absolviert er an der Universität Wien ein Studium der Philosophie, Theaterwissenschaften und Germanistik, welches er 1980 mit der Promotion abschließt. Er heiratet, spricht seine Missbrauchserfahrungen aber nur einmal gegenüber seiner Frau an.
Erst Ende 2018 wendet er sich an die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft für Betroffene von Gewalt und Missbrauch in der katholischen Kirche. Haslinger sagt: „Es ist wichtig, dass es sie gibt, wenn es die nicht gäbe, gäbe es gar nichts.“ Er kritisiert aber, dass die Kommission „nur für die Opfer zuständig ist und nicht für die Täter, auch nicht für den Umgang mit Tätern und ihren Taten“.
Haslinger unterstreicht: „In gewisser Weise ist die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft auch ein Ersatz für etwas, das eigentlich geleistet werden müsste, nämlich wirklich diese Geschichte des Missbrauchs in der katholischen Kirche aufzuarbeiten.“
Zivilgesellschaftliches Engagement
In den 1990er Jahren ist Josef Haslinger Mitbegründer zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Ausländerfeindlichkeit. Unter anderem mit dem populären Musiker Willi Resetarits gründet er SOS Mitmensch. Aus dieser Zeit stammt auch seine Freundschaft zum ehemaligen Generalvikar der Erzdiözese Wien und nunmehrigen Pfarrer von Probstdorf und Universitätsseelsorger, Helmut Schüller.
Haslinger appelliert an die Politik, dass geflüchtete Menschen und besonders Kindern, die in griechischen Flüchtlingslagern leben, in Österreich Aufnahme finden: „Wir haben das Glück unserer Geburt hier, wofür wir nichts können. Ich glaube aber, es ist auch unsere Aufgabe, denen, die dieses Glück nicht haben, zu Hilfe zu kommen.“
Autor:Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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