Prinzip Schöpfungsverantwortung
Das Ziel: Globale Nachhaltigkeit
Die neue Vorsitzende des Katholischen Akademiker/innen-Verbandes Wien, Ille C. Gebeshuber, über Naturwissenschaft und Glaube. Und wie die Zukunft aussehen wird, kann und soll. Gebeshuber spricht am 6. Oktober bei den Theologischen Kursen.
Zuerst geht es darum, die gute Arbeit des Katholischen Akademiker/innen-Verbandes Wien fortzusetzen. Der KAV trifft als Forum Zeit und Glaube auf sehr großes Interesse“, sagt Ille Gebeshuber, Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien und seit Juni Vorsitzende des KAV Wien, im Gespräch mit dem SONNTAG: „In Zukunft wird es aber eine große Herausforderung sein, die Präsenz-Veranstaltungen jetzt nach der Corona-Krise wieder hochzufahren.“
Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?
Eine sehr große, denn er bildet mein Fundament und meine Basis. Ich bin katholisch erzogen worden. Meine Mama ist evangelisch, mein Papa ist katholisch. Ich habe schon von klein auf dieses Urvertrauen, dieses Gottvertrauen, mitbekommen und bin da hineingewachsen. Im Laufe der Zeit ist es dann vielleicht ein bisschen weniger geworden. Als ich aber in Malaysia, einem muslimischen Land, sieben Jahre lang eine Professur innehatte, wurde dieses Gottvertrauen wieder aktiviert. Da habe ich mich an meine christlichen Wurzeln sehr stark erinnert und diese Pflanze meines christlichen Seins auch sehr bewusst und sehr aktiv wachsen lassen. Ich habe später ignatianische Exerzitien besucht und viele Veranstaltungen im Wiener Kardinal König Haus.
Sie lehren Bionik. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Bionik ist eine Kombination aus den Worten Biologie und Technik. Es geht darum, von der Natur für bessere Technologien zu lernen. Warum lernt man von der belebten Natur? Da gibt es viele Millionen Jahre an Entwicklung, die Lebewesen, Organismen, aber auch Ökosysteme hinter sich haben. Es ist immer wieder erstaunlich und ein Grund zur Freude, welche Lösungen man in der belebten Natur findet. Generell ist diesen Lösungen sehr oft eines gemeinsam: Sie arbeiten mit lokalen Materialien, sie arbeiten mit geringem Energieaufwand. Viele dieser Lösungen können Vorbilder sein für Innovationen in der Technik. Vereinfacht gesagt geht es um die Überführung von Lösungen der Natur in menschliche Innovationen.
Sie haben Ihren Vornamen ändern lassen. Warum?
Ich bin technische Physikerin, Diplom-Ingenieurin. Als ich begonnen habe zu publizieren, war das zu einer Zeit, als das Geschlecht von Autoren und Autorinnen noch relevant war für den Erfolg von Publikationen. Der Name Ille, der sich von Ilse herleitet, bei dem ich das “S” durch ein “L” ersetzt habe, war geschlechtsneutral und hat seinen Dienst geleistet. Heute ist natürlich die Zeit eine andere. Das Geschlecht oder der Vorname machen keinen Unterschied mehr in der Wissenschaft. Aber damals war es eine gute Strategie, um Fuß zu fassen.
Warum muss sich die Art und Weise, wie wir unseren Lebensstandard praktizieren, ändern?
In vielen Bereichen verbrauchen wir mehr Ressourcen als der Planet Erde zur Verfügung stellt. Und früher oder später wird es dazu kommen müssen, dass wir alle diese Art des Lebens nicht mehr fortführen können. Wenn wir es allerdings schaffen, unsere Lebensweise klug zu verändern, können wir diese ultimative Versorgungskrise vermeiden oder zumindest abschwächen. Es wäre gut, wenn das eher früher als später passiert. Das Ziel ist globale Nachhaltigkeit, also weltweit nicht mehr Rohstoffe zu verbrauchen als die Welt bereitstellen kann. Und durch unsere Arbeitsweise, durch unsere Lebensweise, durch unsere Art der Produktion nicht zukünftigen Generationen die Möglichkeit zu verbauen, auch ein gutes Leben führen zu können. Da schließe ich natürlich alle mit ein. Wir können nicht beispielsweise auf dem Rücken eines globalen Artensterben der Menschheit eine gute Zukunft bauen. Das ist verantwortungslos und natürlich auch entgegen jeder Schöpfungs-Verantwortung.
Da sind wohl gute und langfristige Lösungen vonnöten...
Ja. Die Herausforderung besteht darin: Wir müssen eine maximale Veränderung unserer Lebensweise erreichen und gleichzeitig eine minimale Veränderung unserer Lebensqualität. Wir wollen nicht zurückkehren in die Steinzeit oder in Jute-Säcken durch die Gegend laufen. Eine maximale Veränderung der Lebensweise für alle, weil Umweltschutz durch Verarmung zwar möglich, aber nicht erstrebenswert ist. Das wird seine Zeit brauchen.
Wie können denn aus Ihrer Sicht neue Wege des Zusammenlebens und der Kooperation zwischen Mensch, Technik und Natur gefunden werden?
Meiner Meinung nach ist die Antwort auf diese Frage Achtsamkeit. Wenn wir den Blick heben und die Dinge als das wahrnehmen lernen, was sie sind, dann ist der erste Schritt getan. Wenn wir uns einen Baum anschauen, ein Baum ist nicht nur Holz. Wenn wir ein Tier anschauen, ein Tier ist nicht nur Fleisch. Und wir Menschen definieren uns nicht nur durch Geld oder Macht. Sobald man das erkennt, wird es auch möglich sein, positive Beziehungen zur Technik und vor allem zu den Mitmenschen und zur Natur aufzubauen. Ich gehe beispielsweise gerne bei Kinder-Universitäten mit Kindern in den Wald und wir schauen uns an, was es im Wald Schönes zu sammeln gibt. Schneckenhäuser, Holzstücke, und gehen dann zurück und schauen uns das im Mikroskop an. Wir leben aber heute in einer lauten Zeit und in einer Zeit der absoluten Über-Kommerzialisierung. Da ist es einfach schwer, genau hinzuschauen und zu staunen und sich zu freuen. Die Geschichte allerdings zeigt uns, dass die Menschen rechtzeitig ihre Scheuklappen abwerfen können. Und ich denke, das wird wieder einmal in nicht allzu langer Zeit der Fall sein.
Warum brauchen wir intelligente Veränderungen und nicht nur pures Wachstum?
Wenn wir so weiter wachsen wie bisher, wo stehen wir dann in tausend Jahren? Verbrauchen dann 100 Milliarden Menschen tausendmal mehr Güter? Das ist einfach rechnerisch nicht möglich und es wird früher oder später, wenn es in der Zwischenzeit nicht zur Katastrophe kommt, zu einem realistischen Gleichgewicht kommen müssen. Da geht's eben nicht darum, was einige wenige wollen, sondern es geht darum, was wir alle wollen. Und das reduziert sich dann auf einen ganz einfachen Faktor, nämlich auf die Zufriedenheit aller. Ich denke, wenn alle genug haben und nicht wenige mehr und mehr, dann haben wir das vernünftige Maß erreicht. Und damit meine ich im christlichen Sinn nicht kollektive Armut, die wir auf unserer Welt statistisch gesehen derzeit real erleben, sondern geistigen Reichtum.
In Zukunft werden immer größere Mengen an Nahrung und Rohstoffen benötigt werden. Kann das gelingen, ohne dass dabei die Natur zugrundegeht?
Das ist die klassische Vorstellung von einer industriellen Welt. In den Köpfen der Menschen ist derzeit fix verankert, dass nur Wachstum Fortschritt bringt. Aber wir sehen immer mehr, dass die Verfügbarkeit vieler Rohstoffe begrenzt ist. Wir werden immer hungriger werden nach Ressourcen, aber wir werden nicht satt werden. Um dieser Wachstums-Falle zu entkommen, das sagt auch Papst Franziskus in seiner wunderbaren Enzyklika Laudato si, werden wir das Konzept der Wegwerfgesellschaft hinterfragen müssen. Es wird darum gehen, Rohstoffe besser zu nutzen, z.B. durch Recycling oder die hergestellten Produkte länger zu nutzen, indem sie eben eine hohe Qualität aufweisen. Das muss aber jetzt alles nicht unbedingt einen Nachteil für die Wirtschaft bedeuten, weil die wenigen, aber sehr guten Produkte dürfen natürlich ihren Preis haben und müssen nicht unbedingt von weit her importiert werden. Ich denke, mit diesen Veränderungen können wir der Natur eine Atempause verschaffen, bis der natürliche Rückgang der weltweiten Bevölkerung den Rückbau vieler Flächen in Grünland erlauben wird.
Sie schreiben, dass wir uns künftig vom Fleisch verabschieden und uns vegetarisch ernähren werden...
Für vegetarische Ernährung sprechen drei Gründe. Zum ersten: Wenn wir so viele Milliarden von Menschen gut und ausreichend ernähren wollen, dann geht das nur durch eine bessere Ausnutzung der verfügbaren Nahrungsmittel. Für jede tierische Kalorie muss man mindestens vier pflanzliche Kalorien aufwenden. Es ist schon rein rechnerisch logisch, dass wir uns daher der pflanzlichen Nahrung zuwenden. Ein zweiter Grund ist: Viele Menschen sind nicht mehr gewillt, billiges Fleisch mit dem Leid der Tiere zu erkaufen. Und drittens spielen hier auch Umweltschutz-Aspekte eine Rolle, Methan-Ausstoß durch Kühe, Klimawandel und auch die Problematik der Entsorgung des Tierkots.
Es gibt viele schöne Sätze in Ihrem Buch. Einer lautet: “Es kommt nicht darauf an, ob wir die kommende Krise überstehen, sondern wie wir sie überstehen.” Was meinen Sie damit konkret?
Wenn wir uns die heutige Gesellschaft anschauen, dann haben wir viele Kontroversen, viele verschiedene ideologische Standpunkte. Aber es gibt doch einen gemeinsamen Nenner: Dass wir uns alle eine Zukunft wünschen, in der alle Menschen in Wohlstand und ohne elementare Sorge leben können. Idealerweise wird es so eine Zukunft geben, in der die Menschheit ihr Wissen und ihre Ideen dazu einsetzt, dieses Ziel zu erreichen. Es kann aber auch ganz anders ausgehen und unsere Gesellschaft bricht zusammen. In diesem Fall werden sich dann Inseln der Zivilisation bilden, deren Zukunftsaussichten eher schlecht sind, weil sie einfach ihr entwicklungstechnisches Niveau nicht erhalten können.
Sie haben in Ihrem Buch auch zehn Regeln für den Einzelnen definiert. Warum brauchen wir diese?
Ich glaube, dass die die notwendige Veränderung Schritt für Schritt kommen muss. Das geht am besten durch neue Regeln, denen man leicht und ohne Risiko folgen kann. Wenn Viele bewusst pragmatische, soziale und wirtschaftliche Entscheidungen treffen, dann beginnt sich langsam alles zu verändern. Es ist eine Art stille Demokratie, die in der Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.
Warum wird es notwendig sein, die christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung in die vielen Welten der Zukunft einzubringen?
Glaube, Liebe und Hoffnung sind das, was uns zu Menschen macht. Wir dürfen uns in diesem ganzen Fortschrittswahn nicht in beliebige Einheitswesen verwandeln oder verwandeln lassen. Das Menschsein an sich ist wertvoll. Wir sind einfach mehr als eine Ansammlung von Atomen oder Sozialversicherungsnummern. Ich denke, das Christentum ist deshalb so stark, weil es ohne einen autoritären Gottesbezug, ohne die Angst vor einer göttlichen Bestrafung auskommt. Glaube, Liebe und Hoffnung sind die Leit-Sterne, nach denen wir uns richten. Darum predigt Jesus Christus auch von einem liebenden Gott. Ich bin zuversichtlich, dass die kommenden Generationen das besser verstehen werden als wir heute.
Autor:Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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