Simulationsforscher
Das Leben ist eine einzige Unschärfe
Niki Popper hat gemeinsam mit seinem Team ein Programm entwickelt, das dynamische Prozesse wie zum Beispiel die Ausbreitung des Corona-Virus unter diesen oder jenen Voraussetzungen simulieren kann. Gegenüber dem SONNTAG erläutert er, wie jeder und jede dazu beitragen kann, damit Maßnahmen auch wirken.
Derzeit hat er alle Hände voll zu tun. Der Simulationsforscher Niki Popper erstellt an der Technischen Universität Wien Modelle zum Verlauf der Covid-19-Pandemie in Österreich und zu Maßnahmen. Wir treffen den Forscher in der „Drahtwarenhandlung“ in Wien- Neubau, in der er neben seiner Tätigkeit an der Technischen Universität Wien Simulationen erstellt.
- Früher blickte man in die Glaskugel und befragte Orakel. Heute gibt es Simulationsmodelle für Berechnungen von Entwicklungen?
Viele Menschen glauben, dass Modelle einzig und allein dazu da sind, für gewisse Bereiche, wie zum Beispiel beim Wetterbericht, die Zukunft vorherzusagen. Das ist aber der falsche Ansatz, denn wir können jetzt in der Covid-Krise nicht vorhersagen, was über einen längeren Zeitraum sein wird.
- Warum geht das nicht?
Das hängt nicht nur von Zufällen ab, sondern auch von Maßnahmen, die wir setzen, und von Dingen, die wir nicht abschätzen können. Das heißt, hier muss man sehr vorsichtig sein.
Was wir mit unserem Modell sehen, mit dem wir die kausalen Mechanismen versuchen abzubilden, ist, wie die verschiedenen Ebenen miteinander interagieren. Das sieht man ja mittlerweile bei den Maßnahmen: Impfen, Testen, Tracen und Isolieren. Wir versuchen Aussagen in der Art treffen zu können: Wenn ihr das macht und wenn man das im Zusammenhang mit dem sieht, dann wird das passieren.
- Ein Beispiel ist wohl das Testen?
Ich war jetzt kein riesiger Freund von den Massentests im Dezember. Aber dann haben wir es uns genau angeschaut. Wir haben vorher simuliert und kamen dann im Grunde auf die Ergebnisse, die dann auch eingetreten sind. Denn die Teilnahmerate war niedriger als erhofft und es war auch ein einmaliger Anlass. Den Effekt konnten wir sehr gut vorhersagen.
- Entwickeln sich Berechnungsmodelle weiter?
Heute müssen Modelle, Prognosen und alle Aussagen validierbar sein. Man muss sich einem wissenschaftlichen Diskurs und dann noch der Realität stellen, ob das Sinn macht, was man tut. Das machen wir seit 15 Jahren, weil wir uns nicht nur mit Modellen, sondern mit der Auswirkung von vielen Interventionen im Gesundheitssystem beschäftigen.
- Ist da ein Prozentwert festlegbar, der beschreibt, dass Maßnahmen wirken?
Die Herausforderung bei Covid ist, dass unser Modell schon sehr viele Ebenen umfasst. Das heißt, wir haben eine sehr hohe Zahl von Parametern. Dazu kommt, dass die Dynamik immer schwieriger wird. Unsere Publikationen im wissenschaftlichen Sinn fokussieren sich immer auf ein Teilgebiet.
- Derzeit stehen die Mutationen und das Impfen im Fokus?
Es gibt weitere Effekte, die wir sehen müssen: Hoffentlich hilft uns die Saisonalität. Wenn im Frühling die Viren weniger aktiv werden, arbeitet das gegen die Mutation. Und wir müssen jetzt testen, tracen, isolieren und screenen. Wenn das Impfen jetzt nicht so funktioniert wie geplant, müssen wir die Ressourcen dafür einsetzen. Wir sehen im Modell, dass das auch sehr gut hilft. Das ist unser Job.
- Können Sie in Ihren Berechnungen modulieren, wann wir durch die Covid-Schutzimpfung die Herdenimmunität erreichen?
Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das über die John Hopkins University aus Baltimore in den USA finanziert wurde, haben wir uns angeschaut, welche Priorisierung beim Impfen Sinn macht.
Wir können derzeit aber nicht ausrechnen, wann die Herdenimmunität erreicht ist, unter anderem weil wir nicht wissen, welche Dosen wann geliefert werden und ob sie auch die Ausbreitung reduzieren oder nur den Krankheitsverlauf. Das heißt, hier haben wir zu viele Parameter. Zur Herdenimmunität ist es ein weiter Weg, weil die einen sehr hohen Anteil an Geimpften voraussetzt.
Aber die gute Nachricht ist, dass die Impfungen zumindest im Moment für die aktuellen Virenstämme eben die Krankheitsverläufe sehr stark reduzieren. Das heißt, der Anteil der Hospitalisierungen wird schon sehr bald sinken und damit halten wir auch mehr Erkrankte aus, weil schwere Krankheitsverläufe weniger werden. Das ist jetzt das wichtige Ziel.
- Kann man mit Simulationen alle Eventualitäten im Leben berechnen?
Das Leben ist eine einzige Unschärfe. Und das ist ja das Schöne für mich, dass die Mathematik so eine exakte Wissenschaft ist, und wie man die Mathematik für dieses unscharfe Leben einsetzt. Genau das macht mir Spaß. Die Daten sind schon unscharf, auch das Leben ist unscharf und die Prozesse sind unscharf. Die Modelle können natürlich nicht besser sein, aber sie müssen versuchen das abzubilden.
- Haben Sie das Leben nach Corona schon in Ihre Berechnungen miteinbezogen?
Das Leben nach Covid ist eigentlich das Wichtigste, weil wir hoffen, dass wir das Thema dann in den Griff bekommen. Das wird nicht so linear verlaufen, wie es sich mancher wünscht, und das ist ja ein bisschen wie im Leben. Man stellt sich als Jugendlicher das Leben so linear vor, da geht nie etwas schief und es wird alles super. Und irgendwann stellt man fest, da geht manchmal etwas schief.
Wenn wir dann Covid halbwegs wieder im Griff haben, dann geht‘s wirklich darum: Wie gehen wir mit den Schäden abseits von Todesfällen und wirtschaftlichen Problemen um? Wir haben Probleme mit der Schulbildung von Kindern, die jetzt sehr viel versäumen, mit sozial Benachteiligten. Das müssen wir uns gemeinsam als Gemeinschaft anschauen.
- Neben Covid gibt es nach wie vor die Herausforderung durch den Klimawandel?
Ich glaube, damit müssen wir uns auseinandersetzen. Wie gehen wir damit in Zukunft um, wenn wirklich Energieprobleme entstehen, wenn die Verteilungsprobleme nicht gelöst werden? Ich glaube, das ist ein Weckruf. Wir glauben, dass wir mit unseren Modellen genauso wie viele andere Forschungsgruppen und Forscherinnen mithelfen können, um Dinge klarer zu machen, um gerechtere Lösungen zu finden.
- Wie gehen Sie mit Ihrer Bekanntheit um? Sprechen Menschen Sie auf der Straße an?
Es ist ja schön, nicht unangenehm, solange man nicht beschimpft wird. Ich glaube aber auf gut Wienerisch: Man darf auch nicht angerührt sein.
Autor:Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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