Das Jahr 2020
Anno Domini, Anno Salutis
Das Jahr 2020, rot durchgestrichen. Das war Mitte Dezember das Titelbild des TIME Magazine. Darunter klein gedruckt „the worst year ever“. 2020 ein Jahr zum Vergessen?
Noch bis ins 18. Jahrhundert formulierte man bei Jahreszahlen Anno Salutis, im Jahr des Heiles oder öfter Anno Domini, abgekürzt AD, im Jahr des Herrn.
Was also war dieses 2020: the worst year ever, oder ein Jahr des Herrn, ein Jahr des Heiles?
Wenn letzteres stimmt, wo war dann dieses Heil im gerade zu Ende gegangenen Jahr? Was war bei allen Schwierigkeiten dieser Zeit heilsam? In dieser Perspektive kommen mir auch nach dem Jahreswechsel einige Fragen zu den vergangenen 366 Tagen. Und gerade die Perspektive des A.D., des Jahres des Heils, macht diese Fragen sinnvoll.
▶ Ist es heilsam, dass uns die Coronakrise spürbar an unsere Grenzen gebracht hat, und vielleicht noch deutlicher als die Klimaerwärmung aufzeigt, dass wir ökologisch an unsere Grenzen gestoßen sind, diese eigentlich schon überschritten haben und wir damit deutlich vor Augen geführt bekommen, wie zerbrechlich unsere Ressourcen sind?
▶ Ist es heilsam, dass uns die Coronakrise „heruntergebremst“ hat, uns mehrfach für Wochen an unseren Wohnort gebunden hat - uns fast eine Art benediktinische Stabilitas Loci aufgezwungen hat und wir so vielleicht auch die Schönheit unserer Umgebung neu wahrgenommen haben?
▶ Ist es heilsam, dass uns die Coronakrise mehr gesellschaftliche Solidarität aufgezwungen hat, als wir üblicherweise gewohnt sind zu leben?
▶ Ist es heilsam, dass wir in dieser Zeit durch die Isolation entdeckt haben, wie wertvoll uns Familie, Verwandte und Freunde sind, und dass wir in unserer Kommunikation mit ihnen behutsamer und einfühlsamer geworden sind?
Und wenn all das vielleicht auch nur ein wenig heilsam ist, dann war dieses worst year ever 2020 auch ein Annus Domini, ein Jahr des Herrn. Jedenfalls kein Jahr zum Vergessen, sondern zumindest ein Jahr zum Lernen. Dann kann aber der Wunsch für 2021 nicht nur sein, dass alles so wird wie früher, als es Corona noch nicht gab.
Herzlichst Ihr
Nikolaus Krasa
Generalvikarder Erzdiözese Wien
Autor:Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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