Im Gedenken an den Politiker Erhard Busek
„Aktion Leben für alle“

Der ehemalige Vizekanzler und ÖVP-Chef Erhard Busek ist am Sonntag, 13. März 2022, im 81. Lebensjahr gestorben. Vor 40 Jahren – am 14. März 1982 – erschien in der Wiener Kirchenzeitung ein Interview mit dem christlichen Politiker.

KIRCHENZEITUNG: Herr Dr. Busek, das rechte Gefühl für Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit, für die Verantwortlichkeit gegenüber etwas Höherem als dem Versorger-Vater Staat ist vielen Menschen abhandengekommen. Karl Marx, rosarot und mit Zuckerguss. Als Christ möchte man beinahe meinen, die Menschen in unserem Land müssen neu missioniert werden. Was ist Ihre persönliche Meinung als engagierter Christ?

Sein Leben selbst gestalten nach der Frohbotschaft

BUSEK: Christen sind heute in Österreich eine Minderheit. Das ist uns ganz sicher zu wenig bewusst, und genauso wenig ist das, was Christen durch das Evangelium aufgetragen ist, bekannt: nämlich ihr Leben selber zu gestalten – zu versuchen, es zu gestalten nach der christlichen Frohbotschaft.

Genau aber diese Frohbotschaft beinhaltet, dass wir den Weg zu Gott vom Ausgang der Schöpfung bis zur Erlösung aus eigener Verantwortung zu gestalten haben. Dass uns zwar Hilfe, Richtschnur gegeben ist, etwa die Zehn Gebote – dass aber die Entscheidung für Gott, die Entscheidung für diese Gebote unsere eigene Angelegenheit ist. Und daraus muss sich für einen Christen ganz selbstverständlich ergeben, dass er Eigeninitiative und Eigengestaltung entwickelt – denn ihm ist ja diese Welt anvertraut, und seine Aufgabe ist es, daraus das Beste zu machen.

Raub an den kommenden Generationen

KIRCHENZEITUNG: Es fängt doch schon in der Schule an: Die Tendenz geht dahin, den jungen Menschen nur mehr beizubringen, wie man Geld verdient. Wofür, ist Nebensache. Frei nach Travnicek: Humanistische Fächer – wos brauch i des?

BUSEK: Nach Bürgerkrieg, Arbeitslosigkeit, nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs haben die Menschen das Gefühl gehabt, sie wollen einmal etwas vom Leben haben. Daraus ist eine rein materielle Ausrichtung, eine reine Konsumorientierung entstanden. Das, was aber das Leben ausmacht, was der Inhalt, der Sinn des Lebens ist – davon hat man nicht mehr geredet. Es ist der Konsum und die materielle Einstellung an die Stelle dieser Sinngestaltung – wozu man lebt – getreten.

Die Konsequenz daraus ist, dass man für Dinge, die nicht dem Materiellen dienen – wie etwa humanistische Fächer, die ja dem Menschen helfen sollen, nach Qualitätsgesichtspunkten sein Leben zu gestalten – gar keine Antenne hat. Ich sehe aber Hoffnung – etwa durch das, was die Grünen, was Alternativbewegungen symbolisieren und alte Bewegungen, die ins Emotionale, ja Mystische gehen. Das ist eine Gegenströmung zu dieser rein praktischen und allzu rationalen Welt, die ja den Menschen nicht befriedigt.

Wertmaßstäbe wieder gefragt

KIRCHENZEITUNG: Wir leben gewissermaßen in einem riesigen Selbstbedienungsladen mit Kaufzwang. Was wir dafür an der Kassa bezahlen, übersteigt unsere finanzielle und moralische Leistungsfähigkeit. Ist es nicht höchste Zeit für eine Neuorientierung?

BUSEK:
Das Problem der Verschuldung ist nicht nur ein Problem des Staates, der Länder oder der Gemeinden – sondern wir alle sind verschuldet. Wir haben von unserer Zukunft mehr verbraucht als uns zusteht. Das ist ein Raub an den kommenden Generationen. Mir fällt des Öfteren auf die Seele, dass wir darüber zu wenig geredet haben, sozusagen nicht gut in unserer Welt gehaust haben und den heranwachsenden Jungen etwas übergeben, was schon stark geplündert ist – weil wir uns genommen haben, was uns nicht oder noch nicht zugestanden hat. Ich glaube, dass hier gerade von den Jungen die Initiative ausgeht, sich neu zu orientieren und zu überlegen, was man wirklich zum Leben braucht – zu erkennen, wie man das Leben gestalten kann nicht nach rein materiellen Gesichtspunkten, und das richtige Maß wiederzufinden.

Auch wir in der Politik haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Welt wieder lebbar und für den Einzelnen leistbar ist. Die in der Öffentlichkeit gegenwärtig in Diskussion stehenden hohen Selbstmordziffern sind ein Zeichen dafür, dass es sehr viele einfach nicht mehr schaffen. Aber es gibt nicht nur das Tragische des Selbstmordes, sondern auch das Aussteigen. Und wenn man es genau nimmt: Wir alle sind in irgendeiner Form Aussteiger – Aussteiger aus der Stadt am Wochenende, Aussteiger aus Verantwortungen, Aussteiger, indem wir dem Staat Aufgaben übertragen, die nur wir selbst erfüllen können. Also Flucht vor dem, was unsere eigentliche Verantwortung ist.

Gerade dieses Aussteigen zeigt uns, dass wir eigentlich in einem hohlen Gebäude leben. Es sollte uns jetzt nicht darum gehen, die Mauern dieses Gebäudes zu unterfangen, sondern nachzudenken, wie das Gebäude unserer Welt auszusehen hat. Und das verlangt Neuorientierung – denn wenn ich etwas bauen will, muss ich mich fragen, nach welchem Plan. Und da muss ich mir überlegen: Wozu brauche ich das Gebäude. Das aber ist der Ausdruck einer Wertorientierung – und Wertmaßstäbe sind heute wieder gefragt.

Selbstausbeutung des Menschen

KIRCHENZEITUNG: In Zeiten materieller Not rücken die Menschen zusammen. Den anderen Extremfall haben wir heute: Überfluss macht Überdruss. Haben vor Sein, Marktwert vor Wert. Wo das Leben nur noch Marktwert hat, fehlt die positive Haltung zum Leben – gegenüber sich selbst und gegenüber der Gemeinschaft. Die Identitätskrise des Menschen und der menschlichen Gemeinschaft ist doch latent. Was meint der christliche Politiker dazu?

BUSEK: Die Überforderung durch das heutige Leben, durch einseitige Orientierungen, durch das Gefühl, überall dabei sein zu müssen, durch die Selbstausbeutung des Menschen – weil er sich mehr abverlangt, als er womöglich leisten kann – das allein hat dem Leben fragliche Bedeutung gegeben. Angst vor dem Leben zu haben, ist ein Zeichen unserer Zeit. Angst vor der beruflichen Aufgabe, Angst vor zu viel Zeit, Angst der Generationen voreinander, Angst vor dem Gespräch. Angst vor dem Alleinsein, Angst vor Aufgaben, die man zu übernehmen hat. Dazu ist es zweifellos dadurch gekommen, dass man über seine eigene Rolle nicht Bescheid weiß; nicht sagen kann, wozu man überhaupt am Leben ist. Hier hat die Kirche und der Glaube eine ganz entscheidende Funktion. Der Glaube, weil er Hoffnung gibt und Orientierung: Leben wozu und auf wen hin – nämlich auf die Anschauung Gottes, auf die Erfüllung. Es muss dem Einzelnen bewusstwerden, dass nicht alles perfekt gemacht werden kann, dass aber das kein Grund ist, die Dinge stehenzulassen. Sondern genau aus dieser Spannung zwischen dem, was man ersehnt, und wie es ist, kann man die Kraft schöpfen, es doch immer wieder besser zu versuchen. Und hier hat die Kirche eine enorme Aufgabe als Orientierungshilfe und Symbol der Hoffnung.

Die Frage nach der Sinngebung lösen

KIRCHENZEITUNG: Der Tod ist gleichsam zum Betriebsunfall des Lebens geworden, den man am besten irgendwie hinwegoptimiert, verdrängt. Auf der anderen Seite manifestiert sich gerade auch in der sogenannten Fristenlösung, eine eklatante Missachtung des menschlichen Lebens. Uns scheint, dass dies nur ein scheinbarer Widerspruch ist.

BUSEK: Genauso wie zum Leben haben wir auch zum Tod ein gebrochenes Verhältnis. Wir leben in einer Welt, die uns vorgaukelt, dass es ewige Jugend, ewige Schönheit und ewige Gesundheit gibt. All das ist aber eben nicht der Fall, und so versuchen wir alles, was diese Illusion stört, aus unserer Vorstellungswelt zu verbannen. Beim Verkehrsunfall laufen wir davon, den kranken Menschen besuchen wir nicht, den alten Menschen verbannen wir aus unserem Gesichtskreis weg in eigene Bauten, um damit einfach nicht zu tun zu haben.
Das heißt, dass wir um den Sinn des Lebens nicht Bescheid wissen, dass das Leben nämlich irgendwo seinen Ausgang nimmt und das irdische Leben seine Beendigung findet, um woanders hinzuführen. Daher stehen wir auch mit dem Beginn des Lebens, manifestiert durch die zahllosen Abtreibungen, und mit dem Ende des Lebens, in der Diskussion um die Frage der Euthanasie, auf Kriegsfuß. Ich glaube aber, dass alle Vorschläge und Maßnahmen gesetzlicher Art hier nichts nützen, wenn wir nicht die Frage der Sinngebung lösen können: Warum jemand Kinder auf die Welt bringt, welche Aufgaben es zwischen den Generationen gibt und was die Verpflichtung gegenüber den älteren Menschen betrifft.

KIRCHENZEITUNG: Aktion Leben – aber für alle. Das menschliche Wort vom „Leben lassen“ hat heute eine fatale Zweitbedeutung bekommen durch eine immer weiter um sich greifende Verstaatlichung des menschlichen Lebens und die teure Chimäre „totale soziale Sicherheit". Ihre Alternative als Christ?

BUSEK: Aktion Leben für alle: Das ist das eigentliche politische Programm. Nicht einer politischen Partei, sondern eines Christen, der in der Politik tätig ist. Was ist die Aufgabe der Politik? Dem Menschen sein Leben zu erleichtern – nicht zu ersetzen, nicht für ihn zu gestalten, sondern Hilfe zu sein. Die Dienstfunktion der Politik ist die Hilfe am Leben des Menschen. Ohne Unterschied des Alters, des Geschlechts oder der Position. Aber sicher bedeutet das nicht den Ersatz der eigenen Verantwortung, sondern unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität, des Zusammenhaltens und des Miteinander-Lösens von Problemen die Selbstverwirklichung des einzelnen Menschen. Das ist Aufgabe des Christen, ob er nun in der Politik tätig ist oder in einem anderen Bereich des Lebens.

Das Gespräch mit Dr. Erhard Busek führte Walther Salvenmoser.

Autor:

Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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