Steinmetzkunst von St. Stephan
Wo David schon im Steinblock steckt
Seit Jahrhunderten sichern Dombauhütten den Erhalt der Bausubstanz der großen Kathedralen. Nun wurden die österreichischen Bauhütten von St. Stephan in Wien und dem Linzer Mariendom zum immateriellen kulturellen Welterbe erklärt.
Die erste Urkunde, die die Wiener Stephanskirche betrifft, stammt aus dem Jahr 1137, als der Passauer Bischof Reginmar und der österreichische Markgraf Leopold IV. durch einen Grundstückstausch die Erweiterung Wiens über die römisch-frühmittelalterlichen Mauern hinaus ermöglichten, und damit auch den Bau einer neuen Pfarrkirche im neuen Stadtgebiet. Seit neun Jahrhunderten ist der Stephansdom Wahrzeichen für den katholischen Glauben in Wien und Österreich. Seit dem Bau der gotischen Kathedrale ist es dem Domkapitel und den jeweiligen Dombaumeistern ein wichtiges Anliegen, die richtigen Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen zu setzen. Seit Jahrhunderten erhält man den Dom durch handwerksmeisterliche Maßnahmen, nun sind diese als kulturelles Erbe definiert.
18 Dombauhütten sind immaterielles Weltkulturerbe
Knapp vor Weihnachten 2020 wurde der Dombauhütte von St. Stephan gemeinsam mit 17 weiteren Bauhütten aus fünf europäischen Ländern, darunter auch die Linzer Dombauhütte, das Prädikat immaterielles kulturelles Welterbe zuerkannt. Die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, nahm die Dombauhütten in das Register guter Praxisbeispiele für die Erhaltung des immateriellen Kulturerbes auf. In der Erläuterung heißt es: „Formen und Träger des immateriellen Kulturerbes stehen beispielhaft für Kreativität, Innovationsgeist und Wissen der Gesellschaft.“
Handwerk wie zu Baubeginn
Wolfgang Zehetner freut sich über diese internationale Anerkennung. Der Dombaumeister von St. Stephan ist Vorsitzender der Europäischen Dombaumeistervereinigung, die federführend für die Aufnahme ins Register agierte: „Das ist der Beweis, dass wir als Dombauhütten mit der Weitergabe des Wissens und den Technologien den historischen Wert in unserer Arbeit bewahren.“ Im Wesentlichen verstehen sich die Bauhütten als Kompetenzzentren rund um den Stein. Als Beispiel nennt der seit 28 Jahren am Stephansdom tätige Architekt: „Heute wird ein Stein normalerweise aus der Maschine gefräst. Dass man das bei uns wirklich noch von Hand macht, mit Hammer und Meißel so wie vor 900 Jahren, so wie auch die Herstellung des Mörtels aus natürlichen Materialien, beweist unsere Rücksichtnahme und Bewahrung der klassischen Technologie.“
VIDEO: Dombaumeister Wolfgang Zehetner zeigt einen besonderen Wasserspeier
Urhandwerk des Steinmetzes
Freilich muss man sich eine Dombauhütte und die Bewahrung des Bauwerks auch leisten können. Rund zwei Millionen Euro braucht man jährlich, damit das Wahrzeichen der katholischen Kirche Österreichs erhalten werden kann. 20 Mitarbeiter, darunter Steinmetze, Restauratoren, Schlosser und Tischler arbeiten für die Dombauhütte. „Unser Hauptberuf ist jener des Steinmetzes, das ist ja in vieler Hinsicht das Urhandwerk gewesen, schon von den Ägyptern kommend“, schildert Dombaumeister Wolfgang Zehetner und verweist auf den berühmten Maler und Baumeister Michelangelo, der einmal gesagt habe: „Ich glaube, David steckt schon im Steinblock drinnen. Ich muss ihn ja nur herausholen.“ Diese Faszination des Handwerks wird in der Wiener Dombauhütte nach wie vor gelebt. Dabei geht es nicht nur darum, „vorgeschnittene Tafeln mit Patentdübeln, an einer Fassade zu versetzen, sondern wirklich aus einem Steinblock eine Skulptur herauszuschlagen“, so Zehetner. „Es gibt schon noch hochmotivierte junge Leute, die gerne diesen Beruf ergreifen. In der Dombauhütte direkt am Stephansplatz tätig zu sein, ist für viele ein krönender Höhepunkt, der sie selber anregt“, lässt der Wiener Dombaumeister die Faszination des manuellen Wirkens an der Domerhaltung erahnen.
„Präventivmedizin“
Neben Reparaturen am Sandstein, der in der historischen Substanz aus Steinbrüchen um Wien kam und durch Witterung und Umwelteinflüsse eine permanente Beeinträchtigung von außen erfährt, geht es dabei auch um Präventivmedizin schon in der Entstehungsphase“, so der Dombaumeister. Dabei komme es zu einem erlaubten Zusammenspiel von historischer und moderner Technik. Denn mittels Lasermessungen durch Scanner können kleinste Bewegungen der Mauern gemessen werden. Auch Drohnenflüge kommen zum Einsatz.
Empfehlung für Notre Dame
Wie wichtig es ist, dauerhaft eine Dombauhütte zu führen, zeigen, so Architekt Wolfgang Zehetner, die Umstände nach dem Brand der Pariser Kathedrale Notre Dame: „Ich war mehrmals nach der Katastrophe eingeladen und habe ihnen sehr nahegelegt, dass sie eine Bauhütte einrichten. Denn ich glaube, es ist ein für die Erhaltung eines so komplizierten und doch auch in vieler Hinsicht anfälligen Bauwerks eine tolle Einrichtung, wenn man Handwerker hat, die das Bauwerk in und auswendig kennen, die Schwachstellen kennen und wissen, wo man eingreifen muss“. Denn sich eine Dombauhütte zu ersparen, ist fatal, so der Experte: „Dass man dann, wenn ein Schaden entstanden ist, eine europaweite Ausschreibung macht, und jedes Jahr aus irgendeinem Teil des Kontinents die Billigstbieterfirma nimmt, die ein Baulos macht und dann wieder eine andere Firma weitermacht, dann kann man qualitativ nicht so arbeiten wie wir in Wien.“
Spenden ermöglichen Erhaltung
Natürlich ist es in Zeiten von Corona schwieriger geworden, Mittel für die Erhaltung und Sanierung des Stephansdoms aufzubringen, berichtet der Dombaumeister. Die Bauhütte sei zwar nicht so stark von den Tourismuseinnahmen abhängig wie die Dompfarre, aber die Einnahmen des Lifts auf den Nordturm kommen dem Dombau dennoch zugute und fehlen aktuell. Zehetner ist sehr froh über den Verein „Unser Stephansdom“, der Mittel für die Erhaltung des weltberühmten Gotteshauses aufbringt, um dieses Kulturerbe für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. Der Dombaumeister dankt an dieser Stelle auch allen, die große Spendenbereitschaft für den Stephansdom zeigen: „Für mich macht das deutlich, wie sehr sich die Menschen mit dem Dom identifizieren. Ich hoffe, dass die Menschen unser gemeinsames Wahrzeichen weiterhin lieben und erhalten.“
Autor:Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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