Ein Sommer in Briefen
Kunst vom Keller bis zum Dach

Alles neu: die Restaurierung ist in vollem Gang. | Foto: Helmut Wimmer
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Liebe Mary!

Vielen Dank für deinen herzlichen Brief aus der Schweiz! Ich staune über die vielen kulturellen Schätze in Zürich und Umgebung, besonders dein Bericht und die Fotos zu den Glasfenstern in der Fraumünster-Kirche haben mich sehr beeindruckt. Marc Chagall, der auf so besondere Weise christliche und jüdische Motive in seinen Werken vereinte, fasziniert mich schon seit unserer gemeinsamen Schulzeit. Gerne denke ich an unseren tollen Zeichenunterricht bei dem Künstler Florian Jakowitsch und bei Prof. Adrigan zurück.

Hansens Bau in neuem Glanz
Apropos Kunst und Zeichnen: In Wien wird bald ein besonderes architektonisches Juwel in neuem Glanz erstrahlen – die Akademie der Bildenden Künste auf dem Schillerplatz. Beneidenswert sind alle Studentinnen und Studenten, die in diesem vorbildlich restaurierten Gesamtkunstwerk von Theophil Hansen den Pinsel in die Palette tauchen werden.

In der Akademie der Bildenden Künste
Baustellen-Besuch – natürlich mit Schutzhelm.

Ich war vor kurzem dort und habe die Baustelle besucht – natürlich mit Schutzhelm. Ich schätze die Wiener Ringstraßenarchitektur sehr und kann verstehen, dass du dieses einzigartige monarchische Flair Wiens ein bisschen vermisst. So möchte ich dir wieder per Brief ein paar Eindrücke aus den heimatlichen Gefilden zukommen lassen.

Ich hatte die Möglichkeit, mit Michaela Zach von der Öffentlichkeitsarbeit der Akademie der Bildenden Künste die Baustelle durchwandern zu können. Wir stapften durch Baustellenstaub, stiegen verborgene Wendeltreppen hinauf und hinunter, blickten hinter Türen und konnten bereits an vielen Stellen den „neuen alten Glanz“ des Hauses sehen.

Bauleute, Restauratorinnen und Restauratoren waren eifrigst am Werk, knieten arbeitend am Boden, trugen Kabel, Leisten, Balken oder pinselten auf Leitern Schein-Marmor an die Wand. Obgleich ich ihnen mit meinem Besuch wohl etwas in Quere kam, waren sie überaus freundlich – wie ich dir mit einem kleinen Augenzwinkern berichten darf. Bis unters Dach gibt es zahlreiche Studiensäle und Ateliers. Alles unter strengem Denkmalschutz. Unterirdisch wurde in einem neuen Tiefgeschoß für die Bestände des Kupferstichkabinetts ein modernes großes Depot geschaffen.

Besonders gut gefallen haben mir die Bemalung der Gang-Gewölbe und die original restaurierte Akademie-Bibliothek: alles aus Holz bis auf die Decke, die täuschend echt gemalte Holz-Intarsien schmücken, ebenso der „Anatomiesaal“ (heute für Vorlesungen genützt) mit seiner Holz-Tribüne und einem bei der Restaurierung wieder entdeckten Wandfries. Es handelt sich um illusionistische, aufgemalte Säulen und Balustraden in Blau- und Rottönen, die den Raum optisch erweitern.

Theophil Hansen war schon ein besonderer Architektur-Feinspitz. Wusstest du, dass er schon zu Lebzeiten ein Stararchitekt war und die antike Bauweise lange Zeit in Griechenland studierte? Die Akademie der Bildenden Künste erbaute er im Stil der italienischen Renaissance. Im April 1877 wurde das Gebäude in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph feierlich eröffnet.

Boschs Weltgerichtstryptichon
Der herrliche Bau ist auch die Heimat der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste mit dem weltberühmten Weltgerichtstriptychon von Hieronymus Bosch. Dieses ist mit weiteren fantastischen Kunstwerken (ich sage nur: Cranach, Tizian, Rembrandt, Botticelli, van Dyck...) derzeit im Wiener Theatermuseum untergebracht und kann dort besichtigt werden. Ich war auch dort und könnte dir hierzu noch Näheres berichten.

Ich finde deine Fotos der Fraumünster-Kirche, ihrer Chagall-Fenster und jenem von Augusto Giacometti sehr gelungen. Vom Anblick der leuchtenden Farben kann ich mich kaum losreißen. Auch hier hat Marc Chagall wieder das Alte und das Neue Testament genial zusammengeführt.

Ich finde es schön, dass die Schweizer viele Bilder Chagalls auch in ihr Katholisches Gesangbuch aufgenommen haben, wie du schreibst. Mir war nicht bewusst, dass die Schweizer Katholiken ihr eigenes „KG“ – Katholisches Gesangbuch – haben und dass dieses ökumenisch ausgerichtet. Das gefällt mir sehr gut. Dass sich die Menschen besonders beim Singen in ökumenischer Offenheit näherkommen können, kann ich mir gut vorstellen.

Ich wollte dir noch mitteilen, dass unser einstiger Zeichenprofessor Florian Jakowitsch vergangenes Jahr mit 97 Jahren verstorben ist. Er hat ein beeindruckendes künstlerisches Werk hinterlassen, wie ich finde, darunter viele tolle Glasfenster in Kirchen! Ich werde dazu recherchieren und berichte dir darüber bzw. lasse ich dir Fotos zu kommen.

Bis dahin wünsche ich dir schöne Sommertage in Zürich, liebe Mary!

Serie „Ein Sommer in Briefen"

Autor:

Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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