Kunstgenuß vom Feinsten
Die Stimmen der Stummen
Als Jahrmarktattraktion wurde der Stummfilm Anfang des 20. Jahrhunderts groß. Wie zeitlos diese Filme sind, beweisen Ralph Turnheim und Gerhard Gruber. Sie vertonen Stummfilme von Tarzan bis Zorro, der eine mit genial komischen Reimen, der andere mit virtuos stimmungsvollen Tönen. Im September präsentieren die beiden ihr neues Programm in Wien: Frankenstein.
Diese Filme sind so faszinierend“, schwärmt Ralph Turnheim, „ich will da etwas rauskitzeln, das man ansonsten nicht sehen würde.“ Mit seinen witzigen Versen verleiht er den stummen Protagonisten von anno dazumal eine zeitgemäße Stimme, bleibt den Filmen dabei aber treu.
Turnheims Texte ergänzt Gerhard Gruber kongenial mit seiner Musik. „Als Stummfilmbegleiter hat man eine irrsinnige Verantwortung“, sagt er, „es ist ganz wichtig, dass der Film immer im Vordergrund steht. Wir dürfen uns nie wichtig machen.“ Die Vorführungen der beiden sind ein Kunstgenuß vom Feinsten.
- Wie sind Sie beide zum Stummfilm gekommen?
Turnheim: Erst einmal war die Begeisterung für’s Kino und für die Filme da. Für mich ging es damit einher, dass ich mich mit der Filmgeschichte beschäftigte. Den Klassiker „Pioniere des Films“, einen dicken Wälzer über die Stummfilmzeit, habe ich als Jugendlicher verschlungen, das ist unglaublich spannend zu lesen.
Als 20-Jähriger habe ich dann bewusst Stummfilme geschaut. Ich hatte eine Videokassette mit Buster Keatons „Sherlock Junior“, das ist einer der besten Filme, die je gemacht worden sind. Es gibt da eine berühmte Szene, in der Buster Keaton in die Filmleinwand einsteigt – mit der Tricktechnik der 1920er Jahre. Ich war völlig baff und bin da quasi mit Buster Keaton in den Stummfilm hineingestiegen, da hat es mich richtig gepackt.
Gruber: Ich war in den 60er Jahren in einem sehr strengen, katholischen Internat, dort gab es die Gepflogenheit, an Sonntagen Stummfilme zu zeigen. Das war für mich äußerst wichtig, weil ein Internat in den 1960er Jahren war eine sehr komplizierte Geschichte für einen jungen Menschen. Und die Figuren, die da vorgekommen sind, Laurel und Hardy, Chaplin, vor allem aber Buster Keaton, das waren Personen, mit denen man starkes Mitgefühl hat, weil sie nach außen immer irgendwie als die Verlierer daherkommen, aber letztendlich die Gewinner sind.
Man kann sagen, die Leinwand war das Fenster in die Freiheit. Später habe ich mich dem Stummfilm zugewandt, weil ich die Freiheit des spontanen Musizierens hatte.
- Sie beide bereiten sich sehr unterschiedlich auf die Filmvorführungen vor. Wie gehen Sie vor?
Gruber: Das Einzige, wie ich vorgehe, ist, dass ich zum Klavier vorgehe. (lacht) Ich sitze, das Licht geht aus und dann passiert es. Etwas auszudenken, widerstrebt mir. Für mich ist die Leinwand nicht nur der Blick in die Freiheit, sondern auch in die musikalische Freiheit. Ich kann zwar nicht tun, was ich will, weil der Film immer etwas erfordert, aber das Ganze wächst in einer – im wahrsten Sinne – organischen Form, weil ich als Mensch dort sitze, mit dem Hörorgan und dem Fühlen. In dem Moment, wo ich dort sitze, ist alles Herz.
Turnheim: Bei mir ist das Wichtige, dass der Vers und das Wort genau zu dem passen, was auf der Leinwand zu sehen ist. Im Idealfall soll der Film dadurch eine weitere Ebene dazubekommen. Das muss Schritt für Schritt, Vers für Vers erarbeitet werden. Es dauert Monate und ist eine sehr intensive Arbeit. [...] Man hat große Macht mit dem Wort und kann den Filminhalt sehr verändern. Das wird sich bei unserem Frankenstein-Projekt sehr faszinierend offenbaren.
Das ist auch die Stärke des Stummfilms, weil jede Generation diese alten Filme neu entdecken, eine neue Tonspur machen kann, ob das Text oder Musik ist, und die ist im Jetzt verhaftet.
- Erzählen Sie uns von Ihrem Frankenstein.
Turnheim: Es ist der erste Frankenstein der Filmgeschichte aus dem Jahr 1910, er galt Jahrzehnte lang als verschollen, eine einzige Kopie dieses Films ist erhalten geblieben. Es ist ein Einakter, etwa 13 Minuten lang. Wir zeigen diesen Film an einem Abend dreimal hintereinander, jedes Mal in einer anderen Vertonung und einem anderen Genre zugeordnet. Eine Version wird ein Filmmusical sein. Das wird sehr, sehr spannend.
- Wenn Sie von Ihrer Tätigkeit erzählen, bekommen Sie beide ganz leuchtende Augen. Was bringt Sie noch zum Strahlen?
Turnheim: Was mich manchmal so zum Glühen bringt, abseits von den Menschen, die mir wichtig sind, ist – und das ist jetzt vielleicht blöd, aber: Ich habe zwei alte Autos, einen Mercedes 124 und einen Datsun Sherry aus dem Jahr 82, von denen es nur noch eine Handvoll gibt. Letztens war eine Zierleiste von meinem Mercedes weg. Als ich dann ein passendes Teil gefunden und drangeklickt habe, war das eine große Freude. Und da gibt’s ein paar Dinge, die einem das Leben verschönern, wenn man ein bissl einen Spleen hat. (lacht)
Gruber: Ich hab‘ für mich vor einigen Jahren die Natur wiederentdeckt. Ich bin gern und sehr, sehr viel im Böhmerwald unterwegs. Mich berührt das sehr und ich hab‘ gedacht: Was bist du für ein Mensch gewesen, der nur von einem Job zum nächsten dahindodelt? Und plötzlich kommt der Wald und die Luft und der Duft und der Atem – und die Kleinheit, die man hat, wenn man durch die Wälder streift. Es kommt auch irrsinnig viel von meiner Vergangenheit herein.
Mein Credo ist: Es passiert im Moment, und dann ist es wieder weg. Manchmal denke ich: Das war so schön, wie ich dort oder da gespielt habe – aber es geht ja nicht verloren, es sitzt tief im Herzen. Eine Sekunde kann ein ganzes Leben erfüllen.
Autor:Monika Fischer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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