Ein Sommer in Briefen
Die Sonne auf dem Domdach
Hab vielen Dank für deinen letzten Brief aus Zürich und die Schilderung der „Kirchenlandschaft“ der Stadt.
Ich kann es mir jetzt sehr gut vorstellen: die Wasserkirche mit dem Denkmal von Huldrych Zwingli, dahinter das Fraumünster mit seiner grünen Kirchturmspitze (auf deinem Foto ist diese vom Baum verdeckt) sowie das Großmünster mit seinen zwei charakteristischen Türmen. Diese Doppeltürme mit ihren neugotischen Turmabschlüssen sind also das Wahrzeichen der Stadt. Ich finde es interessant, dass unter Reformator Zwingli zwar jeglicher Heiligenkult abgeschafft wurde, die Stadtheiligen Felix und Regula sowie ihr Diener Exuperantius aber ihr großes Fest am 11. September behalten durften und der Zürichilbi, der große Kirtag, ihnen zu Ehren bis ins 19. Jahrhundert stattfand.
Bilderstürmer und Starkünstler
Spannend finde ich die reformierte Fraumünster-Kirche mit ihren Glasfenstern von Marc Chagall und Augusto Giacometti sowie den Wandmalereien von Paul Bodmer. Könntest du für mich dort ein paar Fotos machen? Dass die einstigen Bilderstürmer im 20. Jahrhundert die berühmtesten Künstler engagieren, ist doch großartig! Das gibt es wohl nur in der Schweiz (da natürlich in Top-Qualität). Bitte berichte noch von diesem Ort!
Über das Ende deines Briefes war ich so erstaunt, dass ich es mir noch einmal vor Augen führen muss. Du schreibst: „Für heute muss ich Schluss machen, denn ich gehe noch zur Kirchengemeindeversammlung. Heute steht die Wahl des Pfarrers auf der Traktandenliste (...) Dies hat mit dem sogenannten dualen System zu tun. Eine Doppelstruktur aus kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Gremien, nach der die katholische Kirche in einigen Schweizer Kantonen, so auch im Kanton Zürich, organisiert ist.“
Ich hoffe, du bist gut „bressiert“ (wie du so schön in Züritütsch schreibst), und hast die Wahl des Pfarrers nicht verpasst. Wie ist sie ausgegangen? Gab es mehrere Kandidaten? Bist du als Ausländerin überhaupt wahlberechtigt? Das mit dem dualen System habe ich noch nicht ganz verstanden bzw. kann es mir nicht so wirklich vorstellen.
Zickzackmuster im Sonnenlicht
In Wien erleben wir zurzeit angenehme Sommertage. Es ist im Moment nicht zu heiß für einen Stadtspaziergang. So ging ich heute am späteren Vormittag über den Graben und von dort auf den Stephansplatz. Die Sommersonne spiegelte sich gerade im Dach des Domes. Die glatten, wie Email wirkenden Dachziegel reflektierten das Sonnenlicht besonders stark und strahlend und ließen dennoch das herrliche Zickzackmuster erkennen. Wusstest du, dass das Dach des Stephansdomes aus 230.000 bunt glasierten Ziegeln besteht? An den schrägsten Stellen weist es einen Winkel von 80° auf, was dafür sorgt, dass es zu einer Selbstreinigung des Daches kommt und im Winter niemals Schnee auf dem Dach liegt.
Der „Jausenengel“ von St. Stephan
Dazu eine kleine Geschichte aus der Heimat: Kennst du das Phänomen vom „Jausenengel von St. Stephan“ bzw. erinnerst du dich daran? Dieses hat nämlich auch mit dem Dach des Domes und der Sonne zu tun. Es heißt, dass, wenn man am späteren Nachmittag (zur Jausenzeit) von den Weingärten von Grinzing hinunter zum Stephansdom schaut, einem eine Art „Weiße Frau“ erscheint. Diese wird von manchen Wienern auch „Jausenfee“ genannt. Man sieht dann eine gleißende Figur in Form einer Frauengestalt mit weißem Schleier. In Wahrheit
handelt es sich um eine Lichtreflexion zwischen den Heidentürmen. Ich habe das Phänomen selbst noch nicht gesehen, finde es aber witzig wie die Grinzinger Spiritualität und Kulinarik miteinander verbinden.
Mich jedenfalls faszinieren der Dom und sein Dach besonders, wenn ich davor stehe. Vor dem Curhaus traf ich Domarchivar Reinhard Gruber, der mir immer interessante Geschichten über unsere Domkirche erzählt. Er ist einer der kompetentesten und nettesten Menschen rund um den Dom (ja auch in Wien lebende Menschen stehen der von dir so gerühmten Freundlichkeit der Schweizer um nichts nach!). Wir sind kurz in die Stephanskirche gegangen und haben uns zwei Altäre und ein Fenster angeschaut. Davon berichte ich dir noch.
Apropos „Jausenengel“. Wie schmecken dir Zürichäs, Müslichüechli und Züriläckerli? Die Züricher Spezialitäten würden mich doch sehr interessieren. Bist du schon in der Schweizer Küche heimisch geworden? Und hast du schon ein paar Rezepte für typisch Schweizerisches ausprobiert? Bei Gelegenheit schicke mir doch bitte ein gutes Rezept.
Ein herzliches „Servus“ aus Wien, ich freue mich, wieder von dir zu lesen!
Autor:Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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