Ein Wiener Platz und Schatz
Die Kirche in den Weinbergen
Stefan Esders (1852-1920) war ein beherzter Unternehmer, der von Brüssel aus ein Kaufhausimperium in Europa aufbaute. In Wien gründete er in der schon im 19. Jahrhundert beliebten Mariahilferstraße das größte Kaufhaus der Stadt unter dem treffenden Namen „Zur großen Fabrik“ – an der gleichen Stelle ist aktuell wieder eine Baustelle. Mit einem Teil seines Gewinns setzte er aber auch ein Zeichen seines Glaubens: Sein Sohn war schwer krank und wurde wieder gesund. Der Vater war sicher, dass die Gebete zur Muttergottes geholfen hatten. So versprach er, eine neue Kirche zu bauen.
Der Platz war nicht zufällig gewählt: An der Grenze der Vororte Sievering und Grinzing stand bereits eine Kapelle, die der Schmerzhaften Muttergottes geweiht war. Der Sage nach wurde 1683 während der Türkenbelagerung eine Frau in dieser Gegend verfolgt. Sie floh, mit ihrem Kind auf dem Arm. In ihrer Not und Angst betete sie zur Muttergottes um Hilfe. Schließlich versteckte sie sich hinter einem schützenden Busch, auf den sich ein Schwarm Schwalben setzte. Schon waren die Verfolger da. Als sie an dem Busch vorbeikamen, flogen plötzlich die Schwalben auf. Die Osmanen aber liefen am Versteck vorbei und so wurden Mutter und Kind gerettet. Sobald die Türken abgezogen waren, pilgerte die Frau oft zu der Stelle und betete vor einem Bild der schmerzhaften Muttergottes, das sie angebracht hatte.
Die Erinnerung an die Hilfe blieb
Die Zeit verging, die Hilfe der Gottesmutter blieb in Erinnerung und an der Stelle wurde ein Marterl errichtet. 1882 wurde eine kleine Kapelle erbaut. Der wohlhabende Fuhrwerksbesitzer Kothbauer ließ eine fast lebensgroße Marien-Statue einsetzen. Bald wurde eine noch größere Kapelle gebaut. 200 Menschen konnten hier feiern, bis Stefan Esders die große Wallfahrtskirche stiftete.
In der damals dünn besiedelten Gegend, dem Kaasgraben in Döbling, ließ er von den Wiener Architekten Franz Kupka und Gustav Orglmeister eine Kirche im neubarocken Stil erbauen. Besonders markant sind die beiden hufeisenförmigen Freitreppen, die zur Kirche hinaufführen. Nach nur einem knappen Jahr Bauzeit wurde „Maria Schmerzen“ am 30. April 1910 eingeweiht. Den umgangssprachlichen Namen Kaasgrabenkirche verdankt sie einem alten Flurnamen, der vermutlich auf eisen- und schwefelhaltige Mineralquellen zurückgeht. Schon um 1280 findet sich die Bezeichnung Chezwazzeresgraben.
Seit 1903 betreuen die Oblaten des heiligen Franz von Sales die Kirche, die direkt daneben ihr Provinzialat untergebracht haben. Auf dem Platz unter der Kirche, der jetzt Stefan-Esders-Platz heißt, waren die Schwestern vom Armen Kinde Jesu tätig. In der ehemals großen Residenz der Stifterfamilie werden heute Kinder und Jugendliche im Sozial- und Schulzentrum Clara Fey betreut. Von 1939 bis 2016 war die Kirche eine eigene Pfarrgemeinde, jetzt ist sie Teil des Pfarrverbandes Franz von Sales. Und die Gnadenstatue? Die ist am Seitenaltar zu sehen und lädt noch immer zum Gebet ein. Wallfahrten zur Schmerzhaften Muttergottes waren im 20. Jahrhundert äußerst beliebt. Die Seelsorge besonders geprägt hat Pius Zessner-Spitzenberg, der älteste lebende verheiratete Diakon Wiens. Er traute unzählige Paare in der Kaasgrabenkirche, die zu einer der beliebtesten Hochzeitskirchen zählt. Der Name Zessner-Spitzenberg erinnert aber auch an die dunkelsten Stunden in der Geschichte des Landes: In der Kirche wurde am 18. März 1938 der Vater von Pius, der bekennende Monarchist, Politiker und Universitätsprofessor Hans Karl Zessner-Spitzenberg (1895-1938), von der Gestapo verhaftet. Er starb nur wenige Monate später an den Misshandlungen im KZ Dachau. Heute erinnert eine Gedenktafel an sein Martyrium.
Die Kirche hat in den etwas mehr als hundert Jahren ihres Bestehens viel zu erzählen, vielleicht wird dieser Platz jetzt noch ein Schatz für ganz Österreich.
Maria Schmerzen – Kaasgrabenkirche
Stefan-Esders-Platz, 1190 Wien
kaasgraben.at und osfs.eu
Autor:Sophie Lauringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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