Zum Beethoven-Jubiläum: Hören, Schauen, Lesen
"Beethoven sprengt alle Grenzen"

Ludwig van Beethoven | Foto: commons.wikimedia.org /Joseph Karl Stieler
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Am 16. Dezember jährt sich der Geburtstag Ludwig van Beethovens zum 250. Mal. Markus Landerer, Domkapellmeister zu St. Stephan in Wien, spricht im SONNTAG-Interview über seinen Zugang zu Beethoven im Corona-geprägten Jubiläumsjahr, die überragende Bedeutung der „Missa solemnis“ sowie die Tragödie von Beethovens Taubheit aus der Sicht des Musikers.

Wie viele Musikfreunde hatte sich Domkapellmeister Markus Landerer dieses Jubiläumsjahr ganz anders vorgestellt. 2020 hätte das Beethoven-Jahr werden sollen – anlässlich des 250. Geburtstages des großen Komponisten am 16. Dezember (Tauftag am 17. Dezember).

Wie in fast allen kulturellen Sparten verhinderte die Corona-Pandemie die Umsetzung des geplanten Fest-Programmes. „Wie schade, dass so viele Konzerte ausfallen mussten und es kaum Möglichkeiten gab, sich live mit dem Werk des genialen Komponisten auseinanderzusetzen“, bedauert der Domkapellmeister gegenüber dem SONNTAG.

Beethoven und Wien
Der Kirchenmusiker, den 2020 vor allem auch die neue Riesenorgel im Dom beschäftigte, setzte sich dennoch intensiv mit dem Werk Ludwig van Beethovens auseinander: „Ich habe heuer eine Reihe seiner Werke vor allem der Kammermusik ganz neu entdeckt und habe den empfindsamen Beethoven etwas näher kennengelernt, den visionären kannte ich schon recht gut. Sehr inspirierend finde ich auch die Ausstellung ,Beethoven bewegt‘ im Kunsthistorischen Museum, in der die Person und der Künstler in vielfältige Beziehung zum Heute gestellt werden“, so der Chef der Wiener Dommusik.

Markus Landerer leitet die Dommusik seit 2007 und stammt aus Deutschland – eine Parallele zu Beethoven: Auch dieser ließ sich aus Deutschland kommend einst um der Musik willen dauerhaft in Wien nieder. Der in Bonn geborene Beethoven kam erstmals 1787 in die Stadt, um bei Mozart zu studieren und lebte ab 1792 ständig hier. Auf Empfehlung von Graf Ferdinand von Waldstein wurde Beethoven in Wien in die Adelswelt aufgenommen und studierte Kompositionslehre bei Joseph Haydn. Bald trat er mit eigenen Klavierkompositionen in Häusern des Wiener Adels auf und verblüffte das Publikum vor allem durch seine genialen Improvisationen. In kurzer Zeit verdiente er sich höchstes Ansehen und durch die Unterstützung seiner Förderer wurde es ihm möglich, als freier Komponist zu arbeiten.

In Wien, wo er oft die Wohnung wechselte, entwickelte sich Beethoven zum Inbegriff des individuellen Künstlers und stieg zum „Superstar“ der Musikwelt auf. Zugleich geriet er in seine schwersten Krisen, ausgelöst durch gescheiterte Liebesbeziehungen und zunehmende Taubheit.

„Beethoven litt neben seinem über einen längeren Zeitraum stetig abnehmendem Hörvermögen an vielen anderen gesundheitlichen Problemen, die ihm das Leben vor allem in seinen letzten Lebensjahren sehr schwer machten“, sagt Markus Landerer. „Man kann sich vorstellen, wie nah er psychisch immer wieder an der Grenze des Erträglichen gelebt hat und welche Tragödie es für einen Musiker darstellt, sein Gehör zu verlieren.“

Das Komponieren aber sei aus sich heraus bereits ein Prozess, der sich vorwiegend im Inneren abspiele und der sich bei Beethoven notgedrungen noch intensiver innen abspielen habe müssen. „Er konnte das Klavier nicht mehr hören, an das er sich zum Ausprobieren seiner Einfälle gesetzt hatte. Er war ein besessener Optimierer. Jeden Einfall hat er solange verbessert, bis er ihm perfekt vorkam, auch in den letzten Lebensjahren, wo er dies nur noch in seinem Inneren hören konnte“, führt Markus Landerer aus.

Seine im Zustand der Taubheit komponierte 9. Symphonie gilt heute als Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens und als kulturelles Welterbe. Ihr letzter Satz wurde 1985 offiziell als Europahymne festgelegt.

Trotz aller körperlichen und seelischen Belastungen hinterließ Beethoven ein umfangreiches und heute weltberühmtes Werk, bestehend u. a. aus den neun Symphonien, Solokonzerten, zahlreichen Werken für verschiedenste Soloinstrumente, Kammermusik, Liedern und mit „Fidelio“ eine Oper.

Gipfelpunkt „Missa solemnis“
Auf dem Gebiet der Kirchenmusik komponierte Beethoven zwei Messen und das Oratorium „Christus am Ölberg“. Landerer: „Die Messe in C-Dur, die er als 36-Jähriger komponierte, steht bei uns in der Wiener Dommusik ganz regelmäßig auf dem Programm. Dieses großartige Werk habe ich schon oft dirigiert, entdecke aber immer wieder Neues darin. Sein ,Christus am Ölberg‘ hat Beethoven in einer sehr schweren Zeit seines Lebens geschrieben, kurz nach Entstehen des berühmten ,Heiligenstädter Testaments‘. Es enthält sehr bewegende Musik.“

Auf Beethovens „Missa solemnis“ angesprochen, kommt Markus Landerer ins Schwärmen: „Die Auseinandersetzung mit der Missa solemnis war für mich der Höhepunkt dieses Jahres. Dieser ,Mount Everest‘ der Chormusik ist ein Gipfelwerk der Musikgeschichte. Beethoven hat es vier Jahre vor seinem Tod nach intensivem Ringen fertig gestellt. Er schrieb es in einer Zeit, in der er völlig taub war.

Anfang des Jahres hatte ich Gelegenheit, das mit enormen Schwierigkeiten gespickte Werk mit der Chorakademie Vorarlberg zu erarbeiten und zwei Konzerte zu dirigieren. Wie kostbar dieses Musizieren war, wusste ich erst, als es wenig später den ersten Lockdown gab. Die Aufführung der Missa solemnis im Stephansdom musste leider abgesagt werden.“ Beethoven sprenge hier alle Grenzen: die Grenzen der Hörgewohnheiten, die Grenzen des Verstehbaren, die Grenzen des Singbaren im Chor und die Grenzen des Spielbaren im Orchester. „Er zwingt uns zur Auseinandersetzung: einfach anhören oder sich berieseln lassen geht mit dieser Musik gar nicht. Aber wie bei jedem großen Kunstwerk wird man von einer solchen Auseinandersetzung bereichert.

Beethoven hat nahezu jedes Wort des lateinischen Textes im Wörterbuch nachgeschlagen und sich intensiv mit dem jahrhundertealten Text beschäftigt. Dadurch kam er zu einer sehr individuellen Ausdeutung der Messe, wie sie dann Jahrzehnte später in den zwei Orchestermessen Anton Bruckners weitergeschrieben wird.“

Autor:

Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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