Zeit für den Hirtenhund
Nachtzug nach Kiew

Foto: David Kassl

Russland gegen „den Westen“. Das klang für mich über viele Jahre nach längst vergangener Zeit. Nach James Bond, nach Kino. Bis ich vor einigen Jahren mit dem Nachtzug von Kiew nach Moskau fuhr. An der ukrainisch-russischen Grenze gingen straffe Gouvernanten mit Betonfrisur und eisigen Minen durch die Waggons, begleitet von Soldaten mit MGs im Anschlag. Eine ganz normale Grenzkontrolle unter Brüdervölkern. Uns schengen
verwöhnten Grenztänzern verging das Lachen und wir genehmigten uns erstmal zwei, drei Näpfe Wodka. Dieses Erlebnis kam mir wieder in den Sinn, als plötzlich über Nacht „der Russe“ wieder da war. Wobei: „Er“ war ja eigentlich nie weg. Die Konflikte im Kielwasser des postsowjetischen Zeitalters waren nur teilbefriedet oder wir haben sie – beatmet von russischem Gas – schlichtweg verdrängt. Die Krim, ja, da war was. Aber das war ja nur eine Halbinsel und den Sekt von dort kann man weder verheizen noch trinken.

Orthodoxer Dauerclinch
Dann noch die Verwicklungen der dortigen orthodoxen Kirchen, die vom Moskauer
Dr. No ebenso als Kriegsgrund angeführt wurden: Die „ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats“ und die autokephale „Orthodoxe Kirche der Ukraine“, entstanden 2018 aus den Konflikten in der Ostukraine heraus. Auch sie miteinander im Dauer- clinch. Während der Moskauer Oberhirte den Moskauer Oberbefehlshaber jüngst mit den Worten „Lieber Wladimir Wladimirowitsch“ zum „Tag der Verteidiger des Vaterlandes“ grüßte, rief der andere, der Kiewer Patriarch, den Westen um Hilfe an und feiert seither Gottesdienste in Luftschutzbunkern.

Der Redaktionsschluss ist ein Hund. Während ich nämlich diese Zeilen schreibe,
steuert der Fasching noch auf seinen Höhepunkt zu. Und als einfacher Hund von schlichtem Verstand möchte ich so gern laut lachen – über Wladimirowitschs Mär der Entnazifizierung, über die Tatsache, dass der ukrainische Präsident Selenski früher Kabarettist war und auf russischen Bühnen die Menschen zum Lachen gebracht hat. Über den Kiewer Bürgermeister Klitschko, der „dem Russen“ noch vor wenigen Jahren schlichtweg einen auf die Glocke gegeben hätte. Und über Bilder von Beratungen des russischen Sicherheitsrates in bester Ernst Stavro Blofeld-Manier in geschmacklosen Sälen an riesigen Tischen. Man müsste über all das laut lachen. Wenn es nicht so traurige Realität wäre.

Autor:

Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ