Kommentar: Die Kirche & ich
Meine Großmutter und meine Erbsen

Achtsamkeit und Dankbarkeit sind Quellen des Glücks. | Foto: Pixabay

Als Kind war ich, was das Essen betraf, heikel und schlampig. Oft blieb was übrig – auf dem Teller, daneben oder sogar darunter. Reiskörner, Erbsen, Fettränder, Butterbatzen...

Wenn unsere Großmutter da war, fiel ihr das auf. Sie war eine kluge Frau und Menschenfreundin, und für sie bestand Erziehung nicht nur aus Regeln und Befehlen (wie: „Iss auf!“), sondern vor allem aus dem Herstellen innerer Einsicht. So sagte sie etwa: „Komm, iss Deine Erbsen auf. Denk an die vielen Kinder in Afrika, die nichts zu essen haben!“

Ich war ein neunmalkluges Kind und konnte daher mit messerscharfer Logik dagegenhalten, dass die Kinder in Afrika gar nichts davon haben, dass ich aufesse. Im Gegenteil: Wäre es nicht besser, wir äßen nicht auf, sammelten stattdessen die Reste ein und schickten sie zu den hungernden Kindern in Afrika? Ich bin mir sicher, dass ich damals diese Konjunktive nicht so hinbekommen habe – aber ich war jedenfalls mächtig beeindruckt von meiner Geistesschärfe.

Heute ist mir klar, dass es meiner Großmutter um eine Haltung der Achtsamkeit und der Dankbarkeit ging. Und die scheint mir in einer Überflussgesellschaft einen schwereren Stand zu haben. Wenn zum Beispiel alle einen Job haben, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man selber Arbeit und Einkommen hat.

Vielleicht wird das gerade anders. Jedenfalls ist die Fastenzeit für mich immer mehr zur Zeit der Achtsamkeit und der Dankbarkeit geworden – denn die Entbehrung hilft. Und Achtsamkeit und Dankbarkeit sind Quellen des Glücks. Vielleicht liegt darin der eigentliche Grund, warum wir keine traurigen Gesichter beim Fasten machen sollen: Weil es uns insgeheim glücklicher macht.

Autor:

Michael Prüller aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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