Der Brückenbauer
Freiheit – wie weit darf sie gehen?

Foto: David Kassl

Frage von Univ.-Prof. Dr. Michael Frass: „Wie weit darf und soll die Freiheit des Einzelnen gehen und wo endet sie? Wie weit darf der Staat die Freiheit des Einzelnen bestimmen? Wie weit soll sich die Kirche dazu äußern und mitgestalten?“

Darf der Staat zum Angurten im Auto verpflichten, das Rauchen in Lokalen verbieten und das Impfen gegen COVID vorschreiben? Darf Religionsunterricht obligatorisch sein und dürfen bei Rettungseinsätzen in Folge von Unfällen bei Risikosportarten Selbstbehalte eingehoben werden? Solche und ähnliche Debatten durchzogen und durchziehen unsere liberale Gesellschaft. Wie weit geht die Freiheit des Einzelnen, wo endet sie? Da ist die erste Differenzierung angebracht: Vor wem endet sie? Vor dem Staat? Vor dem Nächsten? Vor dem eigenen langfristigen Wohlergehen? Vor der Schöpfung? Vor Gott? Je nachdem ist auch von Verantwortung zu sprechen, sie ist die „Rückseite“ der Freiheit.

Verantwortung vor dem Staat:
Der Staat darf nicht nur, sondern muss Regelungen erlassen, die in feiner Balance sowohl die eigene als Freiheit als auch die des anderen schützen. So erlaubt er zum Beispiel, Gartenzäune aufzustellen. Es ist auch sinnvoll, dass er Risiken verteilt, damit niemand bei einem Schicksalsschlag zugrunde geht. Deshalb organisiert er Krankenversicherungen. Dass mutwillig auf sich genommene Risiken ausgenommen werden, ist nachvollziehbar. Die Aufgabe der Kirche gegenüber dem Staat besteht nicht darin, dass sie sich in Details einmischt, sondern dass sie die Prinzipien in Erinnerung ruft: Gemeinwohl hat Vorrang vor individuellem Wohl. Und nur aus diesem Grund darf die individuelle Freiheit vom Staat begrenzt werden.

Verantwortung vor Gott:
Der Mensch ist vor Gott weder ganz abhängig, noch ganz frei: Gott hat ihn geschaffen, und zwar als freien. Das bleibt paradox. Als Bild hilft mir der Glockenklöppel: An einem Ende ist er fixiert, das andere schwingt frei. So ist der Mensch von Gott „ab-hängig“ und zugleich bewegt er sich frei. Nur ein derartig fixierter Klöppel vermag auch einen Glockenklang zu erzeugen. Das gelingt weder, wenn der Klöppel an beiden Seiten fixiert (angebunden) ist, noch wenn beide Seiten frei sind und er zu Erde fällt. Daher: In der Zustimmung des Menschen zu seiner „bedingten Freiheit“ liegt seine Wahrheit, Freude und Kraft. So wird ihm Freiheit zur Voraussetzung dafür, sich verschenken (= lieben) zu können und sich dabei selbst nicht zu verlieren.

Weihbischof Stephan Turnovszky

Autor:

Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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