Zeit für den Hirtenhund
Denkt euch erstmal selber neu!
Der Auszug der Israeliten aus Ägypten verlief dem Evangelisten Charlton Heston zufolge bekanntlich ziemlich brachial. Der Auszug der jungen Menschen aus der Kirche verläuft heute meist weniger blutig und in der Regel in zwei Wellen: Die erste Distanzierung beginnt mit der Firmung bzw. dem postsakramentalen Abebben des Geschenkeflusses. Wozu noch in die Kirche gehen, wenn’s eh nix bringt. Rein materiell. Die zweite, entscheidende Welle folgt dann in der Regel, wenn plötzlich die erste Kirchenbeitragsvorschreibung eintrudelt. Wie? Zahlen fürs Himmelreich? Für eine Verbindung, die häufiger offline statt online ist? Kirchenbeitrag oder Netflix? Da fällt die Wahl selten schwer.
Genug der Einleitung in Altbekanntes. Die Kirche will sich nun mit der Kampagne „Denk dich neu“ um diese Gruppe der „geneigten“, aber nicht „zahlungswilligen“ Jungen kümmern. Mit viel Tam-tam und Online-Social-Media-Gepiepse. Das Ziel: Es sollen „überraschende Orte der Begegnung“ aufgezeigt werden und Fragen gestellt werden, mit denen man sich bei jungen Menschen ins Gespräch bringen möchte. Orte sind etwa Festivals. Nun war ich früher oft auf Festivals – aber das Letzte, was ich dort gewollt hätte, wäre ein Gespräch über meinen Glauben zu führen. Die Fragen, mit denen die jungen Menschen konfrontiert werden, lauten etwa „Schaust du auf dein Image – oder achtest du auf dein Inneres?“ oder „Schaust du weg oder siehst du hin?“ Warum so ein ausschließendes Entweder-oder, frage ich mich? Müssen sich die Pflege des eigenen Images und die Pflege der eigenen Werte ausschließen?
Was für ein Slogan
Ich will nicht unnötig herumnörgeln. Die Kampagne ist wohl bedacht und gut gemacht. Wenn ich aber mein Beinchen heben müsste, dann ob des Titels: „Denk dich neu“. Als Avocado Diabolus würde ich zurückfragen: Ihr, Kirche, sagt mir jungem Welpen, ich soll mich neu denken?! Ist das euer Ernst? Hallo? Zwölf Jahre Missbrauchskrise, Vertuschung und Verschleppung, und ihr wollt mir nahelegen, mich neu zu denken? Fangt doch mal bei euch an! – So würde ich reagieren. Wenn ich ein Avocado wär. Und jung. Beides bin ich nicht. Daher finde ich das alles gut. Und hoffe darauf, dass doch die eine und der andere einsieht, dass Kirchenmitgliedschaft nachhaltiger ist als ein Netflix-Abo.
Autor:Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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