Kardinal Schönborn auf Syrienbesuch
Versöhnung in einem zertrümmerten Land
Kardinal Christoph Schönborn hat am vergangenen Wochenende auf Einladung des syrisch-orthodoxen Patriarchen Aphrem II. Syrien besucht. Ein Besuch in einem Land, in dem seit mehr als zehn Jahren Krieg herrscht. Und dort, wo der Krieg zu Ende ist, liegt die Wirtschaft darnieder. Die materielle und seelische Not ist unvorstellbar.
- Georg Pulling hat für den SONNTAG Kardinal Schönborn bei seinem Lokalaugenschein begleitet.
In der syrisch-orthodoxen Patriarchatskathedrale in Damaskus steht Kardinal Schönborn gemeinsam mit Patriarch Aphrem, dem melkitischen Patriarchen Josef Absi und Nuntius Kardinal Mario Zenari einem ökumenischen Friedensgebet vor. Dabei zeigt sich Schönborn in einer kurzen Ansprache selbstkritisch. Der Westen verschließe die Augen vor der unvorstellbaren Not der Menschen in Syrien. Die Aufgabe der politischen Führer sei es, endlich Frieden zu schaffen.
Patriarch Aphrem dankt Kardinal Schönborn für seinen Besuch und bittet ihn zugleich, sich für ein Ende der westlichen Sanktionen gegen Syrien einzusetzen. Die Wirtschaftssanktionen würden die einfache Bevölkerung in tiefstes Elend stürzen.
Kriegsopfer und Flüchtlinge
Tief betroffen zeigte sich Schönborn von diesem Leid der Bevölkerung bei einer Begegnung mit Flüchtlingen und Menschen in Not. Ein Vater berichtet von der schweren Verwundung seines kleinen Buben bei einem Bombenangriff. Einer jungen Frau schießen die Tränen in die Augen, als sie vom Tod ihres Vaters erzählt, der bei einem Bombenangriff ums Leben kam. Es war genau der Muttertag.
Ein Familienvater weiß nicht weiter: Sein kleiner Sohn bräuchte dringend eine Operation. Doch die kann er sich nie im Leben leisten. Ein anderer verzweifelter Flüchtling fürchtet den kommenden Winter. Das Heizöl, das er sich leisten kann, wird in der kalten Jahreszeit gerade einmal für eine Woche reichen. Wie soll er die notdürftige Wohnung, in der er mit seiner Familie lebt, warm halten? - Dramatische Geschichten aus Damaskus, die freilich auch in jedem syrischen Flüchtlingslager in Jordanien oder dem Libanon nicht anderes sind.
Eine alte Frau erzählt vom Tod ihres Mannes. Allein und mittellos ist es der Hilfe der Kirche zu verdanken, dass sie halbwegs über die Runden kommt. „Seit 20 Tagen kommt kein Tropfen Wasser mehr aus der Leitung und Strom gibt es sowieso fast nicht mehr“, berichtet sie verbittert. Sie bittet den Westen, das Wirtschaftsembargo aufzuheben. Dem schließen sich viele an, die an diesem Nachmittag Kardinal Schönborn über ihre dramatische Situation erzählen.
Friedensgebet und Kriegsruinen
In Homs nimmt Schönborn an einem ökumenischen Friedensgebet in der syrisch-orthodoxen Kathedrale teil. Pfadfinder mit Trompeten, Trommeln und bunten Fahnen empfangen den Kardinal. Die Bischöfe der verschiedenen Konfessionen in Homs beten gemeinsam mit dem Kardinal um ein Ende der Gewalt.
Die Kirche hat zwei Besonderheiten anzubieten. Zum einen wird in ihr der Gürtel Mariens verehrt, zum anderen wird vor Ort die älteste gedruckte Bibel auf Aramäisch aufbewahrt. Gedruckt wurde sie Mitte des 16. Jahrhunderts in Wien.
Als Geschenk erhält der Kardinal von Bischof Timotheos Matta Al-Khoury einen liturgischen Kelch – Raubgut, das ein Muslim auf dem Schwarzmarkt entdeckt, gekauft, und an die Kirche zurückgegeben hat. Schönborn nimmt das Geschenk – sichtlich bewegt – zum Anlass, auch in Homs zu Toleranz, Dialog und Versöhnung aufzurufen.
Im Anschluss besucht der Wiener Erzbischof das Jesuitenkloster von Homs und betet am Grab von P. Frans Van der Lught (1938–2014). Der Jesuit hatte auch in der schlimmsten Zeit des Krieges im Kloster ausgeharrt, da er die Bevölkerung nicht im Stich lassen wollte. Er wurde 2014 von Islamisten im Kloster ermordet. Sein Grab im Klosterhof ist längst zur Pilgerstätte für Christen wie Muslime geworden.
Die Jesuiten - eine bunte internationale junge Truppe - haben inzwischen wieder zahlreiche Aktivitäten aufgenommen, u. a. sind sie in der Jugendarbeit aktiv. 1.500 Jugendliche nehmen insgesamt an den Angeboten des Ordens teil. Dazu gehört etwa auch, dass Studenten ins Kloster kommen, um zu lernen. Zu Hause haben sie keinen Strom, das Kloster kann sich mit Sonnenkollektoren besser behelfen. Energie kommt inzwischen fast ausschließlich aus Gasflaschen. Deren Preis ist in letzter Zeit aber um das 25-fache gestiegen.
Schließlich führt der Lokalaugenschein des Kardinals auch in jenen Teil von Homs, der immer noch komplett in Trümmern liegt. Bedrückt geht der Erzbischof durch eine Ruinenlandschaft, die von der unvorstellbaren Grausamkeit des Krieges zeugt. Unvorstellbar scheint auch, dass dieser zerstörte Teil der Stadt jemals wieder aufgebaut werden kann.
25 Dollar Durchschnittseinkommen
Auf dem Besuchsprogramm des Kardinals in Damaskus steht u. a auch eine von der syrisch-orthodoxen Kirche betriebene Dialysestation. Die Patienten müssen drei Mal pro Woche zur Blutwäsche. Das verursacht wöchentliche Kosten von 150 Dollar. Bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von knapp 25 Dollar unerschwinglich. Für die Patienten ist die Behandlung kostenlos, die Kirche trägt die Kosten. Ohne Hilfe der Kirche wären die Menschen dem sicheren Tod geweiht.
Die syrisch-orthodoxe Kirche hat in Damaskus auch kleine Beschäftigungsprogramme laufen. Schönborn besichtigt eine kleine Textilfabrik, in der u. a. Bettdecken und Polster hergestellt werden. Zehn Familien haben in der Fabrik Arbeit und damit ein Ein- und Auskommen. Drei ähnliche Projekte werden ebenfalls von der Kirche betrieben. Freilich wären abertausende solcher Initiativen notwendig. Das schafft die syrisch-orthodoxe Kirche nicht, wenn sie auch einige weitere Initiativen gesetzt hat.
In Maarat Sadnaya bei Damaskus wurde von der Kirche eine Fabrik zur Herstellung von Medikamenten errichtet, sie ist fast fertig. Zudem wurde im gleichen Ort eine Universität gegründet. Das Angebot für die derzeit rund 400 Studentinnen und Studenten – Christen und Muslime – ist breit gestreut und reicht von Elektrotechnik über Informatik bis zu Wirtschaftsfächern und Jus. Die Universität soll rasch weiter ausgebaut werden, sagt Patriarch Aphrem. Kardinal Schönborn kommt bei seinem Rundgang durch das Gebäude mit jungen muslimischen Studentinnen ins Gespräch. Das Beste, was sie für sich und ihr Land machen könnten, sei ein engagiertes Studium, ermutigt der Kardinal die jungen Leute.
Ein Kloster für Christen und Muslime
Schönborn besucht in Maarat Sadnaya auch das griechisch-orthodoxe Marienkloster. 50 Nonnen leben in dem Kloster, das weit über 1.500 Jahre alt ist. Es ist ein besonderer Anziehungspunkt für Christen wie Muslime. Vor allem auch für Frauen. Sie bitten und beten vor Ort um Fruchtbarkeit.
Die Nonnen hätten das Kloster auch während der schlimmsten Kämpfe nicht verlassen, erzählen sie im Gespräch mit Kardinal Schönborn. Maarat Sadnaya wurde auch nie von den „Rebellen“ eingenommen. Ein einziges Mal schlug eine Granate im Kloster ein, verursachte aber nur geringen Sachschaden.
Die Begegnungen mit den Nonnen und den muslimischen und christlichen Pilgern im Ort machen dem Kardinal Hoffnung. „Versöhnung ist möglich“, wiederholt der Wiener Erzbischof bei unzähligen Möglichkeiten. Freilich brauche die notleidende syrische Bevölkerung zugleich dringend Hilfe des Westens. Kardinal Schönborn:
„Wir dürfen Syrien nicht vergessen!“
Autor:Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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