Gespräch zu Weihnachten 2021
Täglich zehn Minuten Stille

Miteinander reden! Es gibt unendlich viele Themen, über die wir sehr sinnvoll reden können. Das kann ich nur empfehlen | Foto: Stephan Schönlaub
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  • Miteinander reden! Es gibt unendlich viele Themen, über die wir sehr sinnvoll reden können. Das kann ich nur empfehlen
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Im großen Weihnachtsinterview spricht unser Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und die Wunde des Assistierten Suizids.

Ein Gespräch über das Zuhören und den „Zauber der Weihnacht“.

  • Herr Kardinal, wie geht es Ihnen?

CHRISTOPH SCHÖNBORN: Danke, gut. Ich bin nicht an Corona erkrankt und bin genesen von meinen beiden Erkrankungen des Jahres 2019 – und bin dem lieben Gott sehr dankbar dafür.

  • Wir befinden uns in einer aufgeheizten Stimmung in unserem Land, bedingt durch die Corona-Pandemie. Wie entschleunigen Sie persönlich in dieser aufgeheizten Situation?

Mit mindestens 10 Minuten Stille täglich. Das ist eine sehr schöne Initiative, zu der sogar der Herr Bundespräsident aufgerufen hat. Stille ist ganz wichtig. Für mich ist diese Zeit dann auch Gebetszeit.

Ich habe das während der ganzen Pandemie-Zeit schon gespürt: Sie ist für mich nur zu schaffen, wenn ich mir wirklich mehr Zeit fürs Gebet nehme. Einfach Ruhe, sich auf Gott ausrichten, auf das Evangelium. Denn wir brauchen alle Ressourcen, um den inneren Frieden zu bewahren. Sonst zerreißt es uns persönlich und untereinander und das erleben wir ja leider sehr schmerzlich.

  • Wie geht das Zuhören in dieser Situation?

Es ist mühsam. Vor allem, wenn das Endlos-Thema „Corona und wie damit umgehen“ mit anderen diskutiert wird, die eine total andere Sicht haben. Ich empfehle einfach ein Stillhalteabkommen auf Weihnachten hin bei den Diskussionen über dieses Thema.

Es gibt doch unendlich viele Themen, über die wir sehr sinnvoll und gut miteinander reden können. Das kann ich nur wärmstens empfehlen. Und ich muss es vor allem mir selber empfehlen, weil ich immer wieder in Versuchung bin, mich aufzuregen. Wenn ich das in mir spüre, dann weiß ich, jetzt ist Zeit innezuhalten und zum Frieden zurückzufinden.

  • Corona beschäftigt uns seit zwei Jahren. Das Jahr geht zu Ende, die Pandemie leider nicht. Können Sie sagen, wie ein christlicher Umgang damit ausschauen kann bei so einer einzigartigen Überforderung, die wir jetzt erleben?

Wir haben in der ersten Phase, beim ersten Lockdown, sehr viel Nachbarschaftshilfe erlebt, Hilfsbereitschaft, ganz berührende Erfahrungen. Das durchzuhalten, wenn es dauert und fortdauert und immer noch weitergeht und kein Ende abzusehen ist, das ist eine ganz große Herausforderung. Denn eine kurze Not-Zeit gemeinsam durchzustehen, das mobilisiert die Kräfte. Aber eine lange Covid-Erfahrung gut zu leben, das müssen wir erst lernen.

Ein ganz wichtiges Element ist, darauf zu verzichten zu sagen, es wird wieder so wie früher. So wird es nicht. Es werden die Gesellschaft, die Menschen, wir alle verändert aus dieser Situation herausgehen.

Mein erster Punkt ist: Bitte keine Nostalgie – früher war es besser, jetzt ist alles schlecht!
Ein Zweites: Dass wir zugeben, dass wir alle nicht das Wissen haben, wie man wirklich gut damit umgeht.

Wenn wir uns das gegenseitig eingestehen, dann ist schon viel geschehen. Wir brauchen hier keine Allwissenden. Manche glauben, wenn sie ein paar Videos gesehen haben, dann wissen sie alles über die Krise und können mit dem Brustton der Überzeugung sagen, was zu machen wäre und was nicht.

Das Dritte: Vertrauen in die seriöse Arbeit der Wissenschaft. Mich beunruhigt schon sehr, dass sich eine Wissenschaftsskepsis breitmacht. Und eine Ahnungslosigkeit, wie Wissenschaft funktioniert: Dass die wissenschaftliche Forschung, am Genom, an den Viren, an den Faktoren, die da zusammenspielen, dass die wissenschaftliche Forschung immense Fortschritte gemacht hat und immer noch Neues zu entdecken hat. Und dass es hier sicher keine Verschwörung gibt, die irgendwie die Welt in ihre Gewalt bekommen will, wie das manche behaupten.

Mich hat in der Corona-Geschichte bisher ganz stark beeindruckt, wie weltweit über alle Ländergrenzen und auch über alle politischen Systemgrenzen hinweg der wissenschaftliche Austausch funktioniert. Alle Forschungsergebnisse werden weltweit erwogen, diskutiert und geprüft.

Dass es trotzdem zu Verschwörungstheorien kommt, hat einfach damit zu tun, dass wir uns nicht zugestehen, dass wir in einer unsicheren Zeit leben.

  • Vieles fokussiert sich jetzt in der Frage: Impfen oder nicht impfen. Wenn jemand zu Ihnen kommt und sagt: Ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll, ich bin noch nicht geimpft. Was würden Sie diesem Menschen raten? Sie waren einer der Ersten in Österreich, der sich impfen hat lassen und der auch dazu gestanden ist.

Ich stehe auch nach wie vor dazu. Ich kenne Christoph Huber, den Gründer von BioNTech, persönlich. Er ist ein engagierter Katholik, ein Wiener, der in Mainz dieses Institut gegründet hat. Er hat mir erzählt, wie sie schon im Jänner 2020, als das Virus in Wuhan bekannt geworden ist, und sie dann die Sequenz dieses Virus bekamen, zu forschen begonnen haben – in der Linie dessen, was sie schon seit 20 Jahren machen.

Mit ihrer mRNA-Methode forschen sie an Impfungen gegen Krebs, eine für viele Menschen lebensentscheidende Forschungsarbeit. Für mich war diese Begegnung mit Christoph Huber sehr überzeugend und glaubwürdig.

Dazu kam natürlich, dass ich zwei schwere Erkrankungen hatte. Ich war also eindeutig ein Risiko-Kandidat und deshalb sehr dankbar, dass ich in der ersten Runde der Impfungen in Wien dabei sein konnte. Ich habe das auch öffentlich gemacht und in meiner Silvester-Ansprache am 31. Dezember 2020 zum Impfen ermutigt. Und ich tue das weiter bis heute aus Überzeugung.

Nicht, dass ich glaube, dass dieser Impfstoff nicht auch Risiken enthält. Aber das hat man bei jeder Impfung. Ich sage immer wieder, um die Menschen zur Impfung zu ermutigen: Glauben Sie ernsthaft, dass Wissenschaftler in Österreich und die Politiker, die sie beraten, ein Interesse daran haben, die gesamte österreichische Bevölkerung mit einem Hochrisiko-Impfstoff zu impfen auf die Gefahr hin, dass die gesamte österreichische Bevölkerung schwerste Schäden erleidet?

Es sind jetzt schon über fünf Millionen Menschen in Österreich geimpft. Welche Regierung könnte ein Interesse daran haben, die ganze eigene Bevölkerung einer verantwortungslosen Gefährdung auszusetzen? Für mich ist das ein ausreichender Grund zu sagen: Ja, bitte vertrauen wir den Wissenschaftlern, den Ärzten, die die Regierung beraten, und der Regierung, die die schwere Verantwortung auf sich genommen hat, Entscheidungen zu treffen.

  • Können Sie das auch an einem ethischen Argument festmachen?

Ich gebe immer wieder zu bedenken, dass die Blockierung von Intensiv-Betten in Österreich der Maßstab ist, an dem sich die Regierung in ihren Sicherheitsmaßnahmen orientiert.

Wir wissen, dass in den letzten zwei Jahren sehr viele, oft lebenswichtige Operationen verschoben werden mussten, um die Intensiv-Betten für schwere Corona-Fälle freizuhalten. Für mich ist es daher ethisch unverantwortlich, nicht alles Mögliche zu tun, um eine schwere Corona-Erkrankung zu vermeiden. Denn wenn ich das leichtfertig unterlassen habe und dann eine schwere Corona-Erkrankung bekomme und ein Intensiv-Bett brauche, dann kann es sein, dass ich jemand anderem dieses Intensiv-Bett nehme, der es aus anderen Gründen dringend brauchen würde.

Ein Beispiel, das ich persönlich erlebt habe: Eine Mutter mit einem fünfjährigen Kind, das einen Herzklappen-Fehler hat. Dieses Kind bräuchte dringend eine Operation, die nun schon um mehrere Monate verschoben werden musste. Vor wenigen Tagen war ein neuer Termin schon fixiert. Er wurde noch einmal verschoben, weil die Intensiv-Betten mit Covid-Patienten belegt sind. Dieses Kind ist hoch gefährdet. Warum bringen wir es nicht zustande, als Gemeinschaft in unserem Land so viel Solidarität aufzubringen? Also das ist für mich ein klares ethisches Argument in Richtung Impf-Notwendigkeit.

  • Wenn wir auf die vergangenen zwei Jahre blicken, dann war die innenpolitische Situation in Österreich sehr wechselhaft. Wie sollte denn aus Ihrer Sicht Politik Stabilität und Vertrauen vermitteln?

Vertrauen ist eine Sache, die primär mit Menschen zusammenhängt. Und nicht umsonst sagen wir in der Alltagssprache: Dieser Mensch strahlt Vertrauen aus. Woran liegt das? Glaubwürdigkeit. Sachlichkeit. Verbindlichkeit. Kompetenz. Menschen, die nicht den Verdacht erwecken, dass sie nur darauf schielen, wie sie möglichst viele Stimmen bekommen, sondern die tun, was wirklich für das Land, für die Menschen hilfreich ist. Das sind Faktoren, die Vertrauen aufbauen oder bei deren Fehlen Vertrauen verloren geht.

  • Der Assistierte Suizid ist für Christinnen und Christen eine Wunde. Kirchliche Einrichtungen haben sich klar dagegen positioniert. Wie unterstützen Sie diese, was können wir als Kirche dem entgegensetzen?

Die Entscheidung zum Assistierten Suizid ist nicht nur eine Wunde für Christinnen und Christen, sondern sie ist eine Wunde für viele Menschen, die das Leben als Ganzes sehen und für die die Vorstellung, einem Menschen aktiv zu helfen, sich umzubringen, eine unmögliche Vorstellung ist. Das ist, glaube ich, primär gar nicht eine Frage der Religion, sondern eine Frage der Menschlichkeit.

Wir müssen hier sehr aufpassen, dass wir nicht in die Sprachfalle geraten: Da wird der Satz „in Würde sterben dürfen“ gewissermaßen beschlagnahmt für den Assistierten Suizid. Jemand möchte einfach nicht weiterleben, aus vielleicht ganz verständlichen Gründen, und bittet eine andere Person ihm dabei zu helfen, sich selber das Leben zu nehmen. Wenn das mit dem Satz „in Würde sterben“ verstanden wird, dann geht sehr viel von dem verloren, was zahllose Menschen als ein ausgesprochen würdevolles Sterben erleben.

Die ganze Kultur der Sterbebegleitung, die tief in der Menschheit verwurzelt ist, kommt in den Verdacht, dass sie nicht würdig ist. Kardinal König hat das berühmte Wort geprägt: an der Hand eines Menschen sterben zu können und nicht durch die Hand eines anderen.

  • Wie erklären Sie den Menschen von heute die Botschaft der Menschwerdung?

Wenn ich die Botschaft von Weihnachten jemandem erklären will, dann muss ich sie zuerst mir selber erklären. Denn sie ist absolut geheimnisvoll. Ich habe einen lieben Freund, mit dem ich seit Jahrzehnten über Glaubensfragen diskutiere. Ich bewundere seine Geduld und auch meine. Und eines seiner großen Themen ist: Das geht nicht! Gott kann doch nicht Mensch werden, das geht einfach nicht!

Der Unendliche und das Endliche, der Ewige und das Zeitliche! Das kann nicht zusammengehen und ich muss ihm immer wieder Recht geben: Für die Vernunft ist das eigentlich unbegreiflich.

Aber da ist mehr: Zu Weihnachten singe ich „Stille Nacht“ mit einer echten Rührung. Da wird von dem „holden Knaben im lockigen Haar“ gesungen und dann: „Gottes Sohn, oh wie lacht. Lieb aus deinem göttlichen Mund, da uns schlägt die rettende Stund. Christus, der Retter ist da!“ Das singen wir Jahr für Jahr zu Weihnachten: „aus deinem göttlichen Mund!“

Dieses arme Kind im Stall von Bethlehem: der Gottessohn, ein Menschenkind. Habe ich dafür eine Erklärung? Nein. Aber anbeten kann ich es. Das Geheimnis kann ich nicht auflösen, aber ich kann es verehren. Ich kann dafür danken. Und ich kann staunen, dass es wirklich so ist. Und wenn wir immer wieder diskutieren über Wissenschaft und Glauben, dann muss ich sagen: Die Glaubensgewissheit, in der ich bekenne, dass dieses Kind Gottes Sohn ist, ist viel gewisser als alle wissenschaftliche Gewissheit. Denn die wissenschaftliche Gewissheit ist immer hypothetisch und kann durch neue Entdeckungen falsifiziert werden.

Aber hier sagt uns der Glaube: Das ist wirklich geschehen. Dieses Kind ist wirklich Gottes Sohn!

  • Warum fasziniert das Weihnachtsfest Christen gleichermaßen wie auch kirchenferne Menschen?

Ich glaube, der Zauber des Weihnachtsfestes liegt im Tiefsten im Geheimnis der Weihnacht selber. Selbst wenn man rational alle möglichen Argumente anführt und sagt: Gott kann doch nicht Mensch werden!

Der Zauber des Geheimnisses ist, dass Gott in diesem Kind uns so nahegekommen ist, wie nur irgendwie möglich, einer von uns geworden ist, um als Mensch unter uns Menschen zu leben. Manche werden jetzt sagen: Das ist zu schön, um wahr zu sein.

Aber der Zauber des Weihnachtsfestes – die Geschenke, das Licht, der Christbaum, die Lieder: Das alles lebt davon, dass es über die alltägliche Wirklichkeit hinaus die Dimension des göttlichen Geheimnisses gibt. Es gibt das Licht, das in der Finsternis leuchtet.

  • Herr Kardinal, Sie haben zum Abschluss Ihres Syrien-Besuchs im Oktober, den Sie gemeinsam mit einer kleinen PRO ORIENTE-Delegation absolvierten, einen dringlichen Hilfsappell an die internationale Staatengemeinschaft gerichtet. Hat sich seither etwas bewegt?

Meine Informationskanäle reichen nicht in die tiefen Dimensionen der politischen Machtspiele hinein. Aber immer wieder höre ich von kleinen Anzeichen, die Hoffnung geben. Dass sich das Verhältnis Syriens zu den Nachbarländern da und dort entspannt, dass es Hoffnung gibt, dass kleineren Schritten größere Schritte folgen könnten.

Aber ob die Großmächte und Regionalmächte tatsächlich gewillt sind, Syrien eine friedliche Zukunft zu ermöglichen, darüber wage ich kein Urteil. Ich bin kein Experte, aber ich fürchte, dass die de-facto-Teilungen Syriens wohl noch länger so bestehen wird.

  • Sie haben ein zerstörtes Land ohne Perspektiven für seine Bevölkerung kennengelernt …

Ja und das ist so unfassbar tragisch. Ich habe vor Ort immer wieder von den Menschen gehört, dass die Sanktionen der Europäischen Union und der USA so unglaublich schwer auf der Bevölkerung lasten.

  • Wie sehr sind Sie immer noch von Ihrem Syrien-Besuch bewegt?

Frieden für Syrien ist eines meiner großen Gebetsanliegen. Ich nehme das in meinen Alltag hinein. Ich habe in Homs bei meinem Besuch vom dortigen syrisch-orthodoxen Metropoliten Timotheos Matta Al-Khoury einen Kelch geschenkt bekommen. Er bekam diesen selbst von einem Muslim, der ihn auf dem Schwarzmarkt als Raubgut erkannt und gekauft hat. – Der Muslim schenkte den Kelch dem Bischof als Zeichen der Versöhnung und Solidarität. Und Bischof Timotheos hat ihn nun eben mir geschenkt.

Ich feiere jeden Tag die Heilige Messe mit diesem Kelch und denke immer ganz bewusst an die Menschen in Syrien. Wenn ich in der Messe das Geheimnis der Erlösung feiern darf, dann ist damit die Bitte verbunden, dass die Erlösung wirklich auch diesem Land zukommt.

Weihnachtsbotschaft
von Kardinal Christoph Schönborn

"Gott ist bei uns Menschen. Gerade auch in schwierigen Zeiten."

Miteinander reden! Es gibt unendlich viele Themen, über die wir sehr sinnvoll reden können. Das kann ich nur empfehlen | Foto: Stephan Schönlaub
Stauenen vor der Menschwerdung. Das ist wirklich geschehen. Dieses Kind ist wirklich Gottes Sohn! (Stephansdom, Wiener Neustädter Altar, Geburt Christi). | Foto: kathbild.at/Rupprecht
Autor:

Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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