Die Wunden unserer Kirche
Papst Franziskus: ein guter Arzt

Unser Papst Franziskus -  Ein guter Arzt für die Wunden der Kirche. | Foto: ANDREAS SOLARO / AFP / picturedesk.com
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Warum Fragen nach dem Geld, nach Missbrauch und der Macht das Bild von Kirche in der Öffentlichkeit prägen. Und warum unsere Kirche dennoch mit ihrem Heilsangebot bei den Menschen ankommen kann und ankommt.

Überblickt man die Nachrichten, mit denen „Kirche“ in den Medien in Verbindung gebracht wird, so dominieren oft „Geld“, „Missbrauch“ und die Frage nach der „Macht“. Glanzlichter sind nur die Geschichten über die Arbeit der Caritas oder über außergewöhnlich engagierte Seelsorgerinnen und Seelsorger.

Im Gespräch mit dem SONNTAG erläutert Paul Michael Zulehner, langjähriger Universitätsprofessor für Pastoraltheologie in Wien, die Chancen, die die Kirche auch heute dennoch hat. Und welche Aufgabe dabei unserem Papst Franziskus zukommt.

  • Überblickt man die tägliche kirchliche Nachrichtenlage, so dominieren Themen wie die Frage nach dem Geld, nach der Macht und nach dem sexuellen und geistlichen Missbrauch. Warum?

PAUL M. ZULEHNER: Es haben sich in unserer Kirche über lange Zeit hinweg Missstände aufgehäuft. In einer Kultur der Transparenz lassen sich diese nicht mehr vertuschen. Sie müssen, gerade um der Opfer willen, aufgearbeitet werden. So braucht die Kirche einen schmerzlichen Heilungsprozess. Dieser ist voll im Gang. Papst Franziskus erweist sich als ein guter Arzt für die Wunden der Kirche.

  • Ist das nicht gleichsam eine Katastrophe, dass dadurch unsere Kirche mit ihren eigentlichen Heils-Angeboten kaum in den säkularen Medien und noch weniger bei den Menschen ankommt?

In der Coronazeit haben erstaunlich viele Menschen virtuelle Gottesdienste im Fernsehen eingeschaltet. Vielleicht haben die Menschen doch offene Ohren für gute Botschaften und offene Herzen für berührende liturgische Feiern.

  • Besonders die Missbrauchs-Thematik begleitet uns jetzt schon seit Jahren. Warum noch immer?

Missbrauch ist eine tiefe Wunde der Kirche. Aber auch eine Wunde der Gesellschaft. Erotisch-sexuelle Reifung bleibt sichtlich bei nicht wenigen Menschen, zumeist Männern, auf der Strecke. So brauchen alle Einrichtungen der Gesellschaft, einschließlich Kirche und Familien, eine hohe Wachsamkeit und vorbeugende Maßnahmen, damit Kinder künftig überall geschützt sind.

  • Auch der geistliche Missbrauch wird mehr und mehr zum Thema. Welche Kontrollinstanzen haben da versagt? Muss man da nicht wütend werden als Katholik, der die Kirche liebt?

In dieser Frage gehe ich gern in die Offensive. Jeder Missbrauch, auch der geistliche, hat zwei Seiten: Täter und Opfer. Gut wäre es, gäbe es morgen keine Täter mehr. Zugleich müssen Kinder Widerstandskraft gegen jegliche Form von Verführung lernen. Oft sind leider die Frommen wie verführbare Kinder. Die Kirche muss ein Raum werden, in dem Menschen auch spirituell erwachsen werden. Gehorsam ist ein freies Hinhorchen und nicht Aufgabe der Freiheit.

  • In Ihrem jüngsten Buch „Damit der Himmel auf die Erde kommt“ beklagen Sie u.a. die Verdunstung des Oster-Glaubens an die Auferstehung. Was sagt das über die Praxis der Seelsorge aus?

Unsere Gesellschaft ist in vielen Fragen gespalten. Freiheit und Gesundheit entzweien. Rasches „Hochfahren“ der Wirtschaft zur Sicherung von Arbeitsplätzen und nachhaltige Ökologisierung der Wirtschaft sind gewaltige Streitthemen. Aber die tiefste Polarisierung im Land besteht zwischen Menschen, die nur in dieser Welt leben und die meinen, mit dem Tod ist alles aus, und anderen, für welche dieses Leben wie eine neuerliche Schwangerschaft und der Tod wie eine weitere Geburt in ein unvorstellbar wundersames Leben ist.

All unser kirchliches Tun muss österlicher werden: im Verkündigen ebenso wie in den Taten der Liebe, die für alle Beteiligten wie kleine Auferstehungen sein können.

  • Und was bedeutet diese schleichende Verdunstung des Oster-Glaubens für das Christentum in Europa?

Wenn Ostern nicht die Mitte unseres gelebten und verkündigten Glaubens ist, wird die Kirche leer und schal. Sie hat dann keine Antwort mehr auf die älteste Frage der Menschheit. Und diese ist einfach: Was ist am Ende stärker – der Tod oder die Liebe?

  • Wie kann unsere Kirche gerade in Zeiten der Corona-Pandemie noch mehr zum Heil-Land für die Menschen werden?

Es gibt auch bei uns einige sehr lebendige Gemeinschaften und Gemeinden. Selbst wenn die Kirchen- und Pfarrräume geschlossen sind, treffen sich Menschen im Netz, lesen miteinander in der Heiligen Schrift. Sie rufen die Einsamen und Alten an, versorgen sie mit Lebensmitteln. Auch gibt es Gruppen in der Kirche, wie die Katholische Aktion, die sich schon jetzt für die Pandemieverlierenden einsetzen, Jugendliche unterstützen, die keine Lehrstelle finden, Leuten in Kurzarbeit zur Seite stehen.

Andere setzen sich für unbegleitete Kinder aus den Lager in Moria ein, wieder andere machen Politik zu Gunsten einer sozialökologischen Steuerreform.

  • Wenn man auf die Europäische Wertestudie blickt: Wie sollen wir als Kirche damit umgehen, wenn zwei Drittel der Österreicher sagen, der Sinn des Lebens liegt in einem selbst und das Leben wird von den Naturgesetzen bestimmt?

Die Menschen sind nicht so schlecht, wie wir Katholiken sie manchmal gerne hätten. Dass das Leben einen Sinn schon in sich selbst hat, ist stimmig. Und dass uns die Naturgesetze prägen, trifft auch zu. Die Gefahr ist allerdings, dass diese kleinen Teilwahrheiten nicht in ein großes Ganzes eingebettet sind. Weil aber immer mehr gerade moderne Wissenschaften von der tiefen Einheit allen Seins sprechen, das letztlich in dem geborgen ist, den wir Gott nennen, bin ich zuversichtlich.

  • Gerade in der gegenwärtigen Corona-Krise fragen sich viele Menschen, wie sie noch an Gott glauben können. Welche Antworten können wir noch geben und wird uns noch zugehört?

Die beste Art, in den Menschen Neugierde auf Gott zu wecken, ist, indem wir weniger von ihm reden und „Gott mehr tun“. Das beste Bezeugen Gottes ist handfeste und selbstlose Nächstenliebe, die in ihrer Bewegung heute nicht nur lokal, sondern global ist. Weil nur ein Gott ist, ist jede eine von uns, sagen wir theologisch.

Der Satz lässt sich auch umkehren: Wenn die Menschen erleben, wie tief wir alle zusammengehören – vielleicht erahnen sie dann auch, dass wir miteinander in Gott und unter seinem Schutz geborgen leben.

Unser Papst Franziskus -  Ein guter Arzt für die Wunden der Kirche. | Foto: ANDREAS SOLARO / AFP / picturedesk.com
Paul M. Zulehner lehrte Pastoraltheologie an der Universität Wien | Foto: Ernst Weingartner / picturedesk.com
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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