Nach Umwandlung der Hagia Sophia in Moschee:
Geht Kirche theoretisch auch ohne Bauwerke?
Die Entscheidung rund um die Hagia Sophia in Istanbul sorgt derzeit für Aufregung. Eine Umwandlung des geschichtsträchtigen Bauwerks in eine Moschee steht bevor. Wie stark dabei Kultur, Religion und politische Interessen verwoben sind – und ob Religion theoretisch auch komplett ohne Gebäude funktionieren würde?
Über die Hagia Sophia wurde seit Jahren gestritten. Im sechsten Jahrhundert als Hauptkirche des Byzantinischen Reiches erbaut, wurde sie von den Osmanen nach der Eroberung des damaligen Konstantinopel (heute Istanbul) im Jahr 1453 zur Moschee erklärt.
Seit 1935 ist der Bau ein Museum, in dem Gottesdienste aller Art verboten sind. Doch noch im Juli soll die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umgewandelt werden. Die Regierung unter dem Türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan reagiert damit auf die Initiative vieler nationalistischer Türken, die seit Jahren eine Rückumwandlung in eine Moschee gefordert haben.
Kritik dagegen kommt vor allem vom russisch-orthodoxen Patriarch Kyrill I., der sich kategorisch gegen eine Nutzung der Hagia Sophia als Moschee ausspricht: „Jeder Versuch, das tausendjährige geistige Erbe der Kirche von Konstantinopel zu entwürdigen oder zu verletzen, wurde und wird vom russischen Volk – sowohl früher als auch jetzt – mit Bitterkeit und Empörung wahrgenommen“, betont das Kirchenoberhaupt in einer schriftlichen Erklärung in Moskau. Die Regierung Griechenlands hat die Umwandlung des Museums verurteilt und mit Konsequenzen gedroht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe einen "historischen Fehler begangen". Und auch Papst Franziskus hat sein Bedauern zum Ausdruck gebracht. "Ich denke an die Heilige Sophia, und es schmerzt mich sehr".
Gewichtige Diskussion
Wir fragen den Universitätsprofessor und Moraltheologen Matthias Beck, warum die Diskussion um ein Gebäude derart viel Gewicht hat: „Weil in so einem Gebäude natürlich ganz viel Tradition steckt“, betont Beck: „Man hat das auch beim Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris gesehen: Selbst wenn Frankreich ein laizistischer Staat sein möchte, so ist er doch durch und durch christlich geprägt. Das sieht man an der gesamten Gesellschaft, aber klarerweise auch an den Gebäuden, in denen viel Herzblut von vielen Generationen steckt.
Viele Menschen haben an solchen Kirchen gebaut, manchmal sogar ohne selbst die Fertigstellung zu erleben, aber sie haben, wie manche sagen würden, zur größeren Ehre Gottes daran mitgearbeitet. Wenn man so will, ist der Stein in gewisser Weise geronnener Geist und Gebet. Deswegen hängen Menschen daran und deswegen sind Gebäude auch niemals beliebig. Wobei ich betonen möchte, dass ich mich in die Diskussion um die Hagia Sophia nicht einmischen möchte, da es natürlich ein stark politisches Thema ist.“
- Der SONNTAG: Hängen Christen zu sehr an Gebäuden? Oder frech gefragt: Ginge Kirche auch komplett ohne Gebäude?
Matthias Beck: Eigentlich ja. Wenn man es auf den Punkt bringen möchte, dann sagt die Bibel, dass jeder einzelne Mensch Tempel des Heiligen Geistes ist. Das ist das Wichtigste. Und weil der Mensch Tempel des Heiligen Geistes ist, möchte er seine Gottesverehrung unabhängig von Gebäuden zum Ausdruck bringen. Ich selbst war etwa vor einigen Jahren mit einer Reisegruppe in China, wo Christen teilweise unterdrückt werden. Dort haben wir im Hotelzimmer Messe gefeiert, mit einem einfachen Becher und einem Teller. Sowas geht definitiv.
Letztendlich ist es so wie bei einer Geburtstagsfeier: Wenn man etwas zu feiern hat und Freunde einlädt, möchte man es schön haben, schöne Teller hinstellen und den Tisch schön decken. Deswegen ist das Drum-Herum, also auch die Gebäude, immer auch Ausdruck einer inneren Haltung. Und deswegen sind sie definitiv wichtig. Unbedingt brauchen tun wir sie also nicht, aber es ist schön, dass wir sie haben.
- Für die Menschen scheinen Gebäude also wichtig zu sein. Glauben Sie, dass auch Gott selbst Wert auf Gebäude legt? Im Buch Exodus etwa erklärt Gott ja den Menschen, wie sie Bundeslade und das Heiligtum bauen sollen …
Es ist nichts gleichgültig. Die alte Philosophie kennt die Transzendentalien Wahrheit, Gutheit, Schönheit. Wahrheit im Sinne von: Was kann ich erkennen? Gutheit im Sinne von Ethik, also: Was soll ich tun? Und Schönheit im Sinne von Ästhetik. In diesem Sinne soll auch in Gebäuden und in der Ausformung von liturgischen Gegenständen, Tabernakeln und Kelchen die Schönheit Gottes zum Ausdruck gebracht werden. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich selbst auch lieber in einer schönen Kirche als in einer Lagerhalle. Wenn wir die Kirche als Raum Gottes sehen, dann ist es tatsächlich wichtig, dass wir diesen Raum auch schön gestalten.
- Zurück zur Diskussion um die Hagia Sophia: Glauben Sie, dass bei derartigen Diskussionen auch eine gewisse kulturelle Angst mitspielt? Es gibt ja immer wieder auch die Forderung nach einem wehrhaften Christentum …
Mit dem Begriff „wehrhaft“ tue ich mich sehr schwer. Wir haben nämlich im Christentum eine sehr ambivalente Geschichte dazu, denn leider haben wir unter dem Symbol des Kreuzes Hexen verbrannt und das Kreuz auch als Sieges-Symbol missbraucht. Ich möchte aber nicht so weit in der Geschichte zurückgehen, denn heute geht vom Kreuz definitiv keine Gefahr aus, das hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt.
Anstatt über Gebäude zu diskutieren, wäre mein Anliegen, dass sich Christen stattdessen auskennen und ganz klar und deutlich sagen, warum das Christentum eine Bedeutung und Kraft für die ganze Gesellschaft hat. Dass sie in der Lage sind zu erklären, wofür Christen, der Glaube und das Kreuz stehen.
- Was würden Sie antworten?
Dass das Kreuz für Gewaltlosigkeit steht. Dass Jesus keine Waffen in die Hand genommen hat, um sich zu wehren. Dass er ganz im Gegenteil diese Spirale von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen hat, indem er sich lieber ans Kreuz nageln hat lassen, anstatt mit Schwertern und Waffen gegenzuhalten. Das ist das größte Zeichen der durchgehaltenen Liebe.
Wir müssen den Menschen auf moderne Art und Weise erzählen, dass das Christentum für das gesamte Alltagsgeschehen von allergrößter Bedeutung ist: Die Freiheit, die Demokratie, das Hinschauen auf die Armen, Kranken, Behinderten, bis hin zur Frage der Menschenwürde – das alles kommt vom Christentum. Unsere gesamte Kultur kommt aus dem Christentum und sie wäre definitiv ohne das Christentum nicht so geworden. Genau das sollten wir den Menschen sagen.
Statt Wehrhaftigkeit also Standfestigkeit und Kenntnis der eigenen Religion, um Standpunkte vertreten zu können, die für eine moderne Welt hilfreich sind.
Autor:Michael Ausserer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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