Die sieben "Todsünden"
Zorn

Es ist ganz wichtig, in sich hineinzuhören und herauszufinden, was genau mich da jetzt auf die Palme gebracht hat. Welche Bedürfnisse gerade zu kurz gekommen sind. | Foto: pixabay
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  • Es ist ganz wichtig, in sich hineinzuhören und herauszufinden, was genau mich da jetzt auf die Palme gebracht hat. Welche Bedürfnisse gerade zu kurz gekommen sind.
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Der Zorn (lateinisch ira) ist ein elementarer Zustand starker emotionaler Erregung (Affekt) mit unterschiedlich aggressiver Tendenz, der zum Teil mit vegetativen Begleiterscheinungen verknüpft ist (vgl. Wut) . Einerseits tritt er als heftiger Ärger, wutähnlicher Affekt, als Jähzorn oder als Zornesausbruch auf, der zu unkontrollierten Handlungen oder Worten führen kann. Andererseits tritt er als anhaltendes, gerechterscheinendes „Zürnen“ auf (auch als Groll, veraltet Grimm oder stärker Ingrimm bezeichnet). Sein Gegenstück ist die Sanftmut.

Der Zorn gehört zu uns Menschen dazu

Zorn ist das Gefühl, das sich einstellt, wenn ich den Eindruck habe, dass ich ohnmächtig bin. Zorn ist immer ein Hinweis auf Ungerechtigkeit, auf Missstände“, sagt Psychotherapeutin und Coach Brigitte Ettl. Ist Zorn damit auch besser als sein Ruf?
von Andrea Harringer

Unglaubliche 201.000 Seiten spuckt mir die Google-Suche aus, wenn ich nach „Weisheiten und Zorn“ suche: Bekanntes, wie: Dass jemand, der zornig ist, „rot sieht“ oder „weiß glüht“, findet sich da genauso, wie nicht so Verbreitetes, wie: „Wer seinen Zorn runterschluckt, hat ihn noch lange nicht verdaut“. Auch Zitate aus der Bibel werden mir angeboten: „Ihr sollt wissen: Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn.“

 Dr. jur. Brigitte Ettl
Dr. jur. Brigitte Ettl ist Psychotherapeutin und Coach

Aber was ist Zorn eigentlich? „Zorn ist immer ein Hinweis auf Ungerechtigkeit, auf Missstände. Zorn ist dabei das Gefühl, das sich einstellt, wenn ich den Eindruck habe, dass ich ohnmächtig bin“, sagt dazu Psychotherapeutin und Coach Brigitte Ettl. Zorn sei ein Gefühl, das in die gesellschaftliche Dimension hineingehe. Während Wut meistens die Folge einer Kränkung sei, die aus einer persönlichen Beziehung kommt.

In ihrer Praxis sei Zorn und Wut immer wieder Thema, „weil es in unseren Beziehungen immer wieder zu Kränkungen kommt und wir in unserem Leben immer wieder Ungerechtigkeit und Missständen begegnen – sowohl in privaten als auch in beruflichen Belangen. Wir kommen einfach nicht ohne Kränkungen durchs Leben. Ginge das, wäre es ja paradiesisch. Allerdings muss ich sagen: Zorn kann schon auch eine sinnvolle Reaktion sein, weil er eben Missstände aufzeigt.“

Zorn und Wut sind also nicht nur zerstörerische Kräfte? Brauchen wir Zorn und Wut vielleicht sogar, um uns mancher Dinge bewusst zu werden?

Brigitte Ettl: Sagen wir so: In jeder historischen Phase gibt es gesellschaftliche Missstände und wenn dann Leute nicht zornig werden, dann wird auch nie aufgezeigt, was nicht passt. Dann passiert keine Veränderung. Genauso ist es in Beziehungen: Wenn mich ein bestimmtes Verhalten meines Partners wütend macht, kann ich doch versuchen, mit ihm daran zu arbeiten – damit sich die Beziehung verbessert, damit sie einen nächsten Entwicklungsschritt macht. Zorn ist ja ein Grundgefühl. Es gehört zu uns Menschen dazu. Und zornig zu sein, soll ich mir nicht grundsätzlich wegtrainieren. Schwierig ist, wenn ich in diesem Gefühl stecken bleibe, wenn ich nicht mehr Herrin oder Herr meines Gefühlshaushaltes bin.

Sie sprechen vom „Wegtrainieren“ – gerade im Umgang mit Kindern fällt oft auf, dass man das Zornig-Sein geradezu ausschalten will. Aber warum?

Ich glaube, wir haben heute so einen Anspruch, dass alles ruhig, kontrolliert und beherrscht abgehen soll. Aber ich glaube, es ist viel wichtiger, zu lernen damit umzugehen – zornig zu sein, und dann aber auch wieder Frieden zu schaffen.

Und wie gehe ich dann am besten mit meinem Zorn um?

Das ist individuell natürlich sehr unterschiedlich. Was man aber zum Beispiel machen kann, ist, in der Situation Abstand zu schaffen. Das kann „im Kleinen“ passieren, indem ich etwa einen Schluck aus einem Wasserglas trinke. Oder auch „im Größeren“, indem ich kurz aus dem Zimmer rausgehe, laufen gehe, oder radfahren. So kann man versuchen, den Stress abzureagieren.

Wir sind ganzheitliche Wesen und Wut hat ja auch eine körperliche Dimension, nicht nur eine emotionale, oder logotherapeutisch gesprochen: eine geistige.

Und wie bewältige ich die „geistige“ Dimension der Wut?

Da ist es wichtig, in sich hineinzuhören und herauszufinden, was genau mich da jetzt auf die Palme gebracht hat. Welche Bedürfnisse gerade zu kurz gekommen sind. Der Begründer der Logotherapie Viktor Frankl hat einmal gesagt: „Ich muss mir von mir selbst nicht alles gefallen lassen!“

In diesem Fall bedeutet das dann: Ich muss mir von mir selbst nicht gefallen lassen, nur zornig zu sein. Ich bin mehr als meine Wut und das kommuniziere ich dann auch meinem Gegenüber.

Haben Sie einen Tipp, wie man auf Zorn seines Gegenübers richtig reagiert?

Auch wenn es schwer fällt: Versuchen Sie so zu reagieren, dass Ihr Gegenüber merkt, dass Sie es ernst nehmen. Provozieren Sie nicht noch mehr, spiegeln Sie, was sie sehen. Gehen Sie nicht gleich in die Abschwächung, in die Beruhigung. Das heißt, wenn der andere brüllt, sagen Sie: „Du ärgerst dich jetzt wahnsinnig, ich sehe das!“ und sagen sie das auch mit einer ziemlichen Vehemenz, also von der körperlichen, von der stimmlichen Energie.

Holen Sie die Person da ab, wo sie ist, damit sie sich zuerst einmal verstanden fühlt. Wenn das gelingt, hat man die Chance, in eine gute Beziehung zu kommen und da geht dann viel mehr. Ich habe schon oft in Mediationen erlebt, dass das hilfreich ist und sich die Situation dann Schritt für Schritt beruhigt.

Was sollten wir in Bezug auf unseren Zorn unbedingt lernen?

Dieses Hinschauen, das ich vorher erwähnt habe, ist ganz wichtig! Hinschauen und sich selbst fragen: Welches meiner Bedürfnisse ist da jetzt auf der Strecke geblieben, dass ich so zornig und wütend werde? Oft ist uns das ja gar nicht klar.

In einem nächsten Schritt muss man lernen, genau das zu kommunizieren. Und auch für mich herausfinden, wie ich in Zukunft besser für mich sorgen kann, dass dieses Bedürfnis nicht wieder zu kurz kommt.

In einem weiteren Schritt kann ich dann überlegen, warum mein Gegenüber das jetzt gemacht hat, was mich so wütend macht. Das ist diese berühmte indianische Weisheit, ein paar Schritte in den Schuhen eines anderen zu gehen. Aber das braucht dann natürlich schon Distanz, eine „Cool Down“-Phase, damit das gelingt.

Kann man das üben?

Ja. Erwachsene – und auch Kinder. Ich halte es für schwierig, wenn Eltern in der Sandkiste sofort jeden Streit im Keim ersticken. Die Kinder machen sich das schon aus. Natürlich muss ich schauen, ob alles fair ist, weil wenn ein 6-Jähriger einen 2-Jährigen attackiert, dann ist das keine Verhältnismäßigkeit. Aber wenn die Kinder im gleichen Alter sind, dann streiten sie sich ihre Geschichten schon einmal aus. Und Eltern helfen am meisten, wenn sie ihnen im wahrsten Sinne des Wortes einen Spielraum lassen. Wir müssen lernen, mit Konflikten umzugehen und mit den Gefühlen, die in uns hochkommen.

Wann ist der Moment gekommen, wo man sagt: Das ist zu viel, da braucht man in seinem Zorn Hilfe von außen?

Ganz klar: wenn das Gefühl hin zur Selbstzerstörung geht – wenn ich zu viel Alkohol konsumiere, Drogen nehme, eine bewusste Verletzung meines Gegenübers miteinkalkuliere. Da sollte man professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da ist es gut, mit einer neutralen Person zu sprechen, die nicht betroffen ist. Dauernd in einer Konfliktsituation zu leben, ist ja extrem belastend. Und mindert auch die Lebensqualität. So kann Leben nicht gemeint sein.

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Matthias Beck über die Wurzelsünde Zorn

Matthias Beck
Univ. Prof. Matthias Beck lehrt Theologische Ethik mit Schwerpunkt Medizinethik an der Uni Wien und ist Priester

Grundsätzlich muss man sagen: Es ist nicht gut, wenn wir unsere Emotionen unterdrücken. Es gibt Dinge, die machen einen wahnsinnig ärgerlich und da kann man auch einmal zornig sein. Das war bei Jesus ja auch so. Auch Jesus selbst war zornig.

Und Zorn im Alltag hat ja auch durchaus mal etwas Gutes. Ich glaube, es ist gut, auch manchmal zornig zu sein und zu sagen: „Ich halte das für falsch, was Sie da sagen.“ oder „Das ärgert mich!“ oder „Das macht mich zornig.“

Und diese Art Zorn ist ja auch nicht gemeint, wenn Zorn negativ besetzt ist. Sondern es geht dann um diese Wurzelsünde der Rache, der langfristigen Planung. Etwa dass ich sage: „Ich werde hier Vergeltung üben.“

Dieses: „Ich will mich rächen.“ „Jemand hat mich verletzt, mein Ehemann oder meine Ehefrau etwa, und jetzt werde ich den fertigmachen, oder sie fertigmachen.“ Das ist Etwas, was wir leider auch in der Weltpolitik sehen.
Auch das alttestamentarische Gebot „Aug um Aug, Zahn um Zahn“, dieser Sühnegedanken, eben dieser Rachegedanke, fällt da hinein. Ich muss das Leben meiner Schwester rächen, haben manche gesagt. Wir müssen den Propheten rächen.

Dieser Zorn ist eine lange aufrechterhaltene Wut, die dann auch zum Handeln treibt.
Und da hat das Christentum natürlich gesagt: Nein, Schluss damit. Liebe selbst deinen Feind. Also liebe deinen Nächsten, wie dich selbst und selbst deinen Feind. Und durchbreche diesen Vergeltungsgedanken, diese Rachegedanken.

Serie: Die sieben "Todsünden"

Autor:

Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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