Im Einklang mit mir selbst
Mäßigung - der Kampf gegen die Lust an der Verschwendung
Mäßigung entspricht so ganz und gar nicht den Idealen der Konsumgesellschaft, die ständig nach mehr, größer und teurer strebt. Mäßigung ist für viele gleichbedeutend mit „den Fortschritt aufzuhalten“!
Die Coronakrise hat uns in den vergangenen Wochen die Mäßigung quasi aufgezwungen. Alles, was uns bisher lieb und teuer war, blieb uns plötzlich verwehrt: Reisen, wohin man will, Einkaufen wann und was man will, am Abend mit Freunden ausgehen, mit dem teuren Auto angeben, Geld verdienen... Von einem Tag auf den anderen drehte sich alles um so absurde Dinge wie Klosettpapier, Konservendosen und Nudeln.
Und doch hatte der „Lockdown“ auch sein Gutes: Vielen wird plötzlich bewußt, wie sehr die Globalisierung bereits unseren Alltag beherrscht. Schnell wurden die billigen Kleidungsstücke aus Pakistan und Indonesien in den Geschäften knapp, wir hätten vielleicht auch noch auf die billigen Äpfel aus Südamerika verzichten können – aber plötzlich wurden ebenso viele Medikamente knapp, weil auch die nicht mehr bei uns, sondern viel billiger in China hergestellt werden. Wir begannen um Spargel und Erdbeeren zu zittern, weil die schlecht bezahlten Feldarbeiter aus Osteuropa nicht mehr nach Österreich kommen durften – und wer sollte jetzt unsere pflegebedürftigen Alten betreuen, wenn es nicht einmal genug entsprechend bezahlte Krankenschwestern und Pfleger in den Spitälern gibt. Durch die Coronakrise kommt unsere Überfluss- und Wegwerfgesellschaft an einen Wendepunkt. Aber ob wir in der Lage sind, uns zu ändern, wieder mehr im Einklang mit der Natur zu leben und die Mäßigung als neue erstrebenswerte Tugend wiederzuentdecken, wird erst die Zukunft zeigen.
Wir haben P. Anselm Grün nach seiner Einschätzung gefragt:
www.anselm-gruen.de
- In der Antike stand die Mäßigung zwischen einem Zuviel und Zuwenig, dem Übermaß und dem Mangel. Es ging darum, die richtige Balance für sein Leben zu finden, den Mittelweg zu suchen, Extreme zu vermeiden. Stimmt das auch heute noch?
P. Anselm Grün OSB: Das Ideal der Antike gilt auch für uns heute noch. Die frühen Mönche sagten: Alles Übermaß ist von den Dämonen. Übermaß tut dem Menschen nicht gut. Er muss sein Maß entdecken, das ihm entspricht. Dann lebt er im Einklang mit sich selbst.
- Welche verschiedenen Aspekte der Mäßigung gilt es zu beachten? Mäßigung als persönliche Lebenshaltung, beim Essen und Trinken, im Umgang mit anderen, Maß halten im Konsumverhalten, etc?
Es gilt das rechte Maß zu achten beim Essen und Trinken, beim Einkaufen, beim Sport, bei der Arbeit, beim Engagement für andere. Wer maßlos arbeitet, gerät leicht in das Burnout. Maß halten bedeutet aber auch, maßvolle Bilder von sich selbst zu haben, Bilder, die meinem Wesen entsprechen. Daniel Hell, ein Schweizer Psychiater, meint, die Depressionen seien oft ein Hilfeschrei der Seele gegen maßlose Selbstbilder, etwa gegen das Bild, ich müsse immer perfekt sein, immer alles im Griff haben, immer cool sein. Unsere Seele rebelliert, wenn wir unser Maß überschreiten.
- Können Maß und Mitte allein das Fundament für Zufriedenheit und Glück im Leben bilden?
Maß und Mitte allein genügen nicht zur Zufriedenheit und zum Glück. Dazu kommt die Frage nach dem Sinn meines Lebens. Und Zufriedenheit bedeutet, dass ich mich selbst annehmen kann, wie ich bin, dass ich in Einklang komme mit mir selbst.
- Ist der Mensch überhaupt in der Lage, sich zu beschränken, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Der Mensch ist frei. Er kann selbst entscheiden, welche Bedürfnisse er sich erfüllen will und auf welche er verzichten möchte. Diese innere Freiheit entspricht der Würde des Menschen. Wenn der Mensch jedes Bedürfnis sofort erfüllen muss, gerät er in einen inneren Zwang. Das macht ihn unfrei. Daher kann man sich in jeder Situation beschränken, nicht nur beim Konsum, sondern auch in seinen Gedanken. Ich darf auch nicht maßlos meinen Grübeleien folgen. Das tut mir auch nicht gut.
- Warum gelingt es vielen Menschen in den Industrieländern nicht, sich zu mäßigen – obwohl sie wissen, dass es nötig ist?
Der Mangel an Mäßigung zeigt, dass die Menschen nicht mit sich in Einklang sind. Sie leben nicht aus ihrer inneren Mitte heraus, sondern vergleichen sich ständig mit andern. Und der Vergleich mit andern drängt sie, genauso viel zu haben, zu konsumieren, genauso weit in Urlaub zu fahren wie andere. Sie sind nicht in Berührung mit sich selbst. So werden sie von den andern und ihrem Konsumverhalten bestimmt.
- Kürzlich hat jemand gefragt, wie das sein kann, dass unsere Wirtschaft kollabiert, nur weil die Menschen acht Wochen lang lediglich das kaufen, was sie wirklich brauchen. Gefährden wir unseren Wohlstand, wenn wir unseren Lebensstil überdenken?
Wenn wir unseren Lebensstil ändern, hat das sicher auf unsere Wirtschaft Auswirkungen. Dann wäre es eben die Aufgabe der Wirtschaft, sich auf das veränderte Verhalten der Menschen einzustellen. Dann muss die Wirtschaft nicht kollabieren. Sie wird sich nur wandeln. Das kann ja auch eine Chance sein, neue Formen des Wirtschaftens zu entwickeln.
- Welche Rolle spielen dabei Erziehung und Bildung? Mäßigung klingt immer nach Spaßbremse, Verzicht und Askese…
Mäßigung muss keine Spaßbremse sein. Im Gegenteil: Hildegard von Bingen sagt: Disziplin ist die Kunst, sich immer freuen zu können. Wer jedes Bedürfnis erfüllen muss, ärgert sich darüber, dass er zuviel isst, dass er zu dick wird. Sigmund Freud sagt: Wer nicht verzichten kann, wird nie ein starkes Ich entwickeln. Also gehört Verzichten wesentlich zum Menschen. Aber Verzichten darf auch nicht absolut gesetzt werden, sonst wird es zur Lebensverneinung. Askese bedeutet: Training. Askese ist das Training in die innere Freiheit. Und die gehört wesentlich zum Menschen, auch zu seinem Glück. Glückliche Menschen haben Lust auf Askese.
- Können Sie uns ein paar Tipps geben, wie man zur Mäßigung findet und neue Werte wie Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für sich entdecken kann?
Wir finden zur Mäßigung, wenn wir gut auf unser inneres Gefühl horchen: Tut mir das wirklich gut, mir dieses Kleid, dieses Auto zu gönnen? Oder kaufe ich es nur, weil es die andern haben? Ein Weg ist also, gut mit sich selbst in Berührung zu kommen. Dann finde ich mein Maß.
Wenn ich auf mich achte und auf meine Gedanken und Gefühle, dann finde ich von allein das Maß, das für mich stimmt. Zum richtigen Maß gehört, dass ich ganz im Augenblick bin. Im Augenblick sein bedeutet: Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Ich achte auf diesen Augenblick, auf das Gespräch mit diesem Menschen. Ich achte auf meine Schritte beim Spaziergang. Ich bin ganz bei mir. Dann spüre ich auch, dass ich ganz bei Gott bin, denn Gott ist immer der Gegenwärtige.
Artikel zum Thema: Wurzelsünde Völlerei
Autor:Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.