Tugend - eine Tür zum Leben
Klugheit
Die wichtigste Tugend ist die Klugheit, sie ist eine innere Brille.
Erst wenn man kluge Entscheidungen trifft, weiß man was Klugheit ist. Davon ist die Einsiedlerin Sr. Damienne überzeugt. Sie gilt weithin als kluge und weise Frau und ist als geistliche Begleiterin gefragt und beliebt.
Auf der Suche nach dem Schlüssel zur Kardinalstugend Klugheit begeben wir uns ins Waldviertel an der Grenze zwischen Nieder- und Oberösterreich. Zwischen Landschlag und Liebenau an der Quelle vom Großen Kamp lebt hier abgeschieden Sr. Damienne mit einer Mitschwester, drei Eseln und drei Schafen in einer Einsiedelei. Bis zum nächsten bewohnten Haus liegen acht Kilometer Wald.
Für die beiden Eremitinnen ist der Tag vom Stundengebet geprägt: „Unsere Lebensregel geht auf den Heiligen Chariton zurück. Wir führen ein Leben in Einsamkeit und Gebet und in der schwesterlichen Nächstenliebe. Gemäß der Tradition der Mönche ist für sie die Gastfreundschaft heilig. Zu dieser Lebensform gehört auch, dass sie ihren Lebensunterhalt selber erwirtschaften. Meine jüngere Mitschwester arbeitet als Beraterin bei der Frauenberatung und ich selbst bin als geistige Begleiterin aktiv“, erklärt Sr. Damienne. Nach ihrem Nachnamen gefragt, erklärt sie, dass sie zwar einen hat, aber ihn so gut wie nie verwendet. In den Diözesen Wien und St. Pölten kennt man die lebensfrohe und beeindruckende Frau gemeinhin als Schwester Damienne.
In der Funktion eines Tresors
Geboren wurde die 72-Jährige in Straßburg. Bereits im Alter von zwölf Jahren hatte sie eine starke Gotteserfahrung und in dem Moment war ihr klar, dass sie ein „kontemplatives gottgeweihtes Leben“ führen möchte, wie sie sagt: „Ich durfte erfahren, dass mich Gott liebt, wie mich niemals jemand anderes lieben kann. Radikal auf Gott fokussiert zu sein war für mich die einzige passende Antwort darauf.“
Zuerst studierte Sr. Damienne Medizin und absolvierte anschließend als Ärztin ihren Turnus im Krankenhaus. Weiters studierte sie Philosophie und Theologie – unter anderem bei Kardinal Christoph Schönborn in Freiburg in der Schweiz. Sie hat diese Lebensstationen bewusst als Zwischenstufen in ihrem Leben gewählt: „Meine abgeschlossenen Studien, meine Berufserfahrung als Ärztin, all das gibt mir Festigkeit im Analysieren. Es hilft mir dabei, die Dinge richtig zu situieren.
Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die das Wissen im Herzen bewahren, ruhig, im Verborgenen und der Stille. Ich sehe mich selbst in der Funktion eines Tresors. Meine Berufung ist, das Wissen im Verborgenen mitzutragen – es ist aber trotzdem für die ganze Menschheit da, weil geistiges Gut nie an Ort und Zeit gebunden ist. So wie ein Bergsee, der das Klima rundum bestimmt. Er macht nicht viel – er ist einfach nur da. Aber er wirkt,“ erklärt Sr. Damienne. Umgemünzt auf ihr Leben bringt sie diese Berufung auch als geistliche Begleiterin für andere Menschen ein.
Der SONNTAG: Was ist Klugheit?
Sr. Damienne: Klugheit ist eine Tugend der Vernunft. Sie ist wie ein gute Brille für die Augen der Seele. Wenn dieses Auge gut sieht, dann kann es unterscheiden, was die angemessenen Mittel sind, um Ziele zu erreichen. Das setzt voraus, dass ich meine Ziele, meine Werte, meine Prinzipien, meine Prioritäten und meine innere Hierarchie klar vor Augen habe. Kurz gesagt: Um klug zu sein, muss ich meine Ziele gut kennen.
Liegt Klugheit im Auge des Betrachters?
Ob es klug ist, dass ich etwas tue, kann keiner für mich entscheiden. Ich kann mich beraten lassen, aber letztendlich kann definitiv nur ich entscheiden. Insofern liegt Klugheit tatsächlich im Auge des Betrachters.
Kann man Klug-Sein lernen?
Wie jede Tugend wächst die Klugheit durch die Übung, es ist wie bei den Muskeln. Sie wächst, wenn man sie nutzt. Indem man übt, klug zu unterscheiden, indem man diese Brille immer wieder aufsetzt. Dadurch wird man immer freier gegen den Druck von außen, von Leidenschaft, von Zorn, von Stolz.
Wer klug sein will, muss der Vernunft freien Raum geben, und nicht unter dem Druck und nicht nur aus dem Bauch heraus entscheiden.
Wird man folglich mit zunehmendem Alter auch klüger?
Mit dem Alter kommen Erfahrungen. Und Erfahrungen können dabei helfen, die richtigen Mittel für Entscheidungen zu finden. Somit sind Erfahrungen definitiv eine Dimension der Klugheit. Mangels Erfahrung können junge Leute Draufgänger sein und unvorsichtig. Damit sind sie in der Regel mutiger und offener in vielen Situationen, was auch wichtig ist. Aber in diesem Sinn sind sie auch unklüger, da haben sie sicher einen Nachteil.
Gibt es Tipps für kluges Handeln?
Eine Nacht drüber schlafen ist immer gut: Das wissen wir alle. Dadurch legt sich normalerweise die erste Emotion und wir sind freier, um mit Verstand die Sache zu überlegen. Prinzipiell ist Stille wichtig und dass man sich Zeit nimmt, um vor Entscheidungen die Mittel auf ihre Klugheit hin zu prüfen. Es ist definitiv nie eine gute Sache ,Entscheidungen in einer Akutsituation zu treffen, wenn man mitten in einer Krise ist – oder wenn heftige Emotionen im Vordergrund sind.
Außerdem ist es ratsam, dass man im Gebet die Mittel, die einem vorschweben, mit dem Wort Gottes konfrontiert. Konkret mit der Frage: Was sagt Gott, was sagt Jesus darüber.
Gibt es aber auch Menschen, die prinzipiell von Haus aus klüger sind – also quasi ein Talent dafür haben?
Sicher hat jemand, der intelligenter ist, auch bessere Voraussetzungen für Klugheit. Aber nicht nur. Auch eine gute Bildung kann selbstverständlich helfen. Und ganz entscheidend ist auch die Kenntnis von Gottes Worten. Und ich meine damit nicht, dass man bibelfest ist, sondern die tägliche Beziehung mit Gott. Durch sie wird das innere Auge geformt, und wir lernen so zu schauen, wie Jesus schaut.
Wer wirklich klug sein will, muss mit Gottes Augen schauen, denn wer ist klüger als Gott?
Wie erkennt man selbst, dass man klug ist?
Ich weiß, dass ich sehen kann, wenn ich sehe. Und wenn ich eine kluge Entscheidung treffe, dann weiß ich, was Klugheit ist.
Kann man aus unklugen Fehlern lernen?
Wir alle treffen unkluge Entscheidungen. Gott lässt unsere Hand aber nie los, sondern holt uns von dort wieder zurück, wo wir durch unkluge Entscheidungen gelandet sind. Und wir dürfen und können daraus lernen und es besser machen.
Hilft die Natur beim Klug-Sein?
Nicht direkt. Aber die Natur und die Ruhe helfen mir dabei, Abstand zu gewinnen von äußerem und inneren Druck. Und das ist eine gute Basis für Klugheit. Klugheit begegnet uns nie im Abstrakten, sondern wir begegnen ihr nur, wenn wir sie ausüben.
Autor:Michael Ausserer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.