Zauberer mit christlichem Tiefgang
Harry Potter und die Bibel

Harry Potter und der Gefangene von Askaban (Film auf DVD erhältlich) | Foto: Ronald Grant/Mary Evans/picturedesk.com
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  • Harry Potter und der Gefangene von Askaban (Film auf DVD erhältlich)
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Gut 20 Jahre ist es her, da zauberte sich ein Bub in die Herzen von Millionen von Menschen. Jung und Alt verschlang die Erlebnisse von Harry Potter und begleitete ihn beim Erwachsenwerden. Bis heute zählen die sieben Harry Potter-Bände zu den meistverkauften Büchern der Welt. Und bis heute hat die Geschichte nichts von ihrer Faszination eingebüßt – im Gegenteil: Jahr für Jahr findet Harry Potter neue Fans. Einer von ihnen ist der Linzer Bibelwissenschaftler Christoph Niemand. „In Harry Potter geht es um die großen Fragen der Menschheit: Freiheit und Bestimmung, Sünde und Erlösung, Liebe und Gewalt, Tod und Leben“, sagt er. Harry Potter sei damit nicht nur ein Schulroman, ein Entwicklungsroman und eine Kriminalgeschichte, sondern auch eine Universalgeschichte – wie die Bibel.

Beim Vorlesen für seinen zehnjährigen Sohn ist Christoph Niemand vor einigen Jahren selbst in einen „Lesestrudel“ hineingeraten. „Meine Frau hat den ersten Band gekauft, hat ihn selbst gelesen und hat gesagt: Das ist etwas für euch Theologen“, erzählt Christoph Niemand. „Ich habe das damals gar nicht wirklich ernst genommen. Einige Jahre später als mein Sohn dann in der 3. Klasse Volksschule war, haben wir zur Gute-Nacht-Lektüre den Harry Potter vom Regal geholt und es war dann tatsächlich so: Mein Sohn ist eingeschlafen und ich habe weitergelesen. Bis weit nach Mitternacht.“

Mittlerweile hat der Professor für neutestamentlichen Bibelwissenschaft an der Universität Linz die Potter-Saga 10-mal gelesen und sich auch wissenschaftlich intensiv mit den Büchern auseinandergesetzt. „Es ist eine sehr, sehr spannende Geschichte, unglaublich brillant und reich erzählt, mit sehr vielen unterschiedlichen Ebenen“, sagt er.

Die ersten drei Bände seien noch relativ in sich geschlossen. Aber dann entwickle sich die Geschichte so, dass man, wenn man einen Band fertig habe, gleich weiterlesen müsse. Die Geschichte werde zu einem großen Epos, in dem immer klarer werde, dass sich in der „kleinen, lustigen Welt der jungen Zauberer die großen Fragen der Menschheit abspielen.“ Freiheit und Bestimmung des Menschen, Liebe und Gewalt, aber auch die Frage, woher kommt das Böse in unserer Welt, seien Thema in den Harry Potter Romanen.

Da steckt viel Bibel drin

Und für Christoph Niemand ist es außerdem eindeutig, dass die Autorin Joanne K. Rowling mit ihrer Geschichte, mit ihren Themen der Logik der Bibel folgt. Ja, Christoph Niemand sagt sogar „der ganze Plot von Harry Potter steht zwischen Genesis 3, der Sündenfallgeschichte – die Erzählung von der Schlange, das Sein-Wollen wie Gott, das Nicht-Sterben-Wollen und gerade dann aber sterben müssen – und dem großen Auferweckungskapitel des Paulus im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth (1 Kor, 15), wo es ja heißt: „Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod“.Aber wird damit nicht ein bisschen viel in die Harry-Potter-Saga hineininterpretiert? „Nein“, sagt Christoph Niemand ganz klar. Natürlich könne man Harry Potter auch rein philosophisch deuten, aber er ist überzeugt, dass Joanna K. Rowling bewusst so erzählt, wie sie es tut. „Das ist nicht etwas, was ein Theologe da drüber stülpt“, sagt er. Joanne K. Rowling sei eine bekennende Christin und wisse um die Parallelen. Es gebe ein Interview, in dem sie sagt, dass sie den Plot von Harry Potter konzipiert und dabei mit ihrem religiösen Glauben gerungen habe. Sie gehe sogar so weit, dass sie sagt, sie habe ihn geschrieben und dabei damit gerungen, eine Glaubende zu bleiben („My struggle is to keep believing.“).  

Wie kann der Tod überwunden werden?

Und welche Elemente der Bibel, welche Themen der Bibel sind es nun, die er als Bibelwissenschaftler in der Harry-Potter-Saga entdeckt? Christoph Niemand nennt da als eines der Beispiele die Frage, wie der Tod überwunden werden kann, die dem Leser in Harry Potter praktisch auf Schritt und Tritt begegne. Der schwarze Magier Lord Voldermort, Harrys Gegner, sei geradezu besessen davon, unsterblich zu werden – sein Projekt allerdings „ist der Versuch, seinen eigenen Tod auf Kosten aller anderen unmöglich zu machen.“ Doch am Ende, wenn Harry geht, um sich Lord Voldemort auszuliefern, wird sich zeigen, dass das einzig denkbare Mittel, um den Tod zu überwinden, die Liebe ist. „Das ist auch bei Harry Potter die einzige Gegenmacht, die es gibt“, sagt Christoph Niemand.

Gut und Böse

Auch stelle sich in der Harry-Potter-Saga immer wieder die Frage, was das Böse ist und woher es überhaupt komme. „Und diese Frage steht dann bei Harry Potter innerhalb des jüdisch-christlichen und von Augustinus weitergedachten Systems von Gut und Böse“, so Christoph Niemand: „Das Böse ist hier keine Urmacht, die neben dem Schöpfergott steht, sondern das Böse ist ein Nichts, das Böse ist der Preis der Freiheit. Voldemort ist nicht das Böse schlechthin. Er ist auch nicht notwendig zum Bösen vorherbestimmt. Er ist ein Mensch wie Harry, der aber böse wird. Und in der ganzen Geschichte geht es dann auch um die Frage, warum der eine böse wird, der andere aber nicht. Warum wird Harry, der eine ähnliche Jugend hat, ein ungeliebtes Kind ist, der aufgezogen wird von Menschen, die ihn nicht mögen – ähnlich wie Voldemort, der im Waisenhaus aufwächst – warum wird Harry ein Mensch, der lieben kann, der sich engagiert für andere, der Nachteile in Kauf nimmt für andere und opferfähig wird und Voldemort nicht?“

Kein Abenteuer, ein Opfergang

Und es stellt sich in den Büchern, vor allem dann im letzten Band, die Frage, wie kann das Böse, wie kann Gewalt in der Welt enden. „Die Antwort unserer Welt darauf ist, wenn du Gewalt, wenn du den Feind überwinden willst, dann musst du besser im Töten sein. Aber durch das Töten des Feindes wird nie Frieden, gibt es nie Versöhnung, gibt es nie Vergebung“, sagt Christoph Niemand: „Gewalt kann nur dadurch unterbrochen werden, das einer in diesem ewigen Kreislauf der Gewalt, der zu immer mehr Gewalt führt, nicht mitmacht. Das ist Erlösung im christlichen Sinn.“ Dieser eine ist schließlich Harry Potter. Am Schluss liefert er sich Voldemort schutzlos aus. Er geht in den „Verbotenen Wald“ und tritt seinem Gegner entgegen. Er zeigt damit, dass es ohne Opfer nicht geht, das Verhängnis zu lösen. „Als Harry in den ,Verbotenen Wald‘ geht, ist das nicht einfach ein Heldentod, sondern ein Opfergang und er weiß das“, sagt Christoph Niemand.

Die Sache mit der Liebe

Harry handelt aus Liebe – ebenfalls ein urchristlicher, biblischer Gedanke. So wie seine Eltern auch einst aus Liebe gehandelt haben, als sie ihn vor Voldemort beschützt haben. Er handelt im „Verbotenen Wald“ aus Liebe, aber auch ganz am Ende im Schlussduell, mit Voldemort. Voldemort wendet hier einmal mehr den Tötungsfluch an, Harry den Entwaffnungszauber, den Verteidigungsruf. In der Sprache Harry Potters: „,Avada Kedavra‘ versus ,Expelliarmus‘.“ Einer davon ist und bleibt der Stärkere.

Harry Potter und der Gefangene von Askaban (Film auf DVD erhältlich) | Foto: Ronald Grant/Mary Evans/picturedesk.com
Harry Potter und die Kammer des Schreclens (Film auf DVD erhältlich) | Foto: Everett Collection/picturedesk.com
Autor:

Stefanie Jeller aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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