Die Kraft des Gebetes
Das Stundengebet
Ordensleute, Diakone und Priester sind verpflichtet, alle Getauften sind eingeladen, das Stundengebet zu beten. Pauline Reidlinger aus Hollabrunn tut dies seit 45 Jahren. Alleine, mit ihrem Mann und in der Pfarre.
Früher, als die Kinder klein waren, war es schwierig einen Platz zum Beten zu finden, an dem es ruhig ist“, erinnert sich Pauline Reidlinger. „Ich bin also früher aufgestanden, um die Laudes zu beten. Nach und nach sind die Kinder aufgewacht und haben sich dazugesetzt.“ Paulines Kinder sind heute längst erwachsen und ausgezogen, und die 66-jährige Hollabrunnerin hat sich eines der alten Kinderzimmer als Gebetszimmer eingerichtet. Dort betet sie morgens die Laudes und abends gemeinsam mit ihrem Mann die Vesper.
Außerdem die so genannte Lesehore, ebenfalls in der Früh. Das Stundengebet, zu dem Laudes, Vesper und Lesehore gehören, nimmt seit 45 Jahren einen wichtigen Platz im Leben von Pauline ein. „Mein Mann und ich haben in unserer Verlobungszeit begonnen, das Stundengebet zu beten. Wir haben damals Exerzitien gemacht, und der Exerzitienleiter hat es uns schmackhaft gemacht.“
Seit Pauline vor mehr als vier Jahrzehnten das Stundengebet für sich entdeckt hat, hat sie die Gebete selten ausfallen lassen. „Es fehlt mir etwas, wenn ich es nicht bete“, sagt sie. Ein Stundenbuch im Taschenbuchformat war deshalb stets mit im Gepäck, wenn Pauline und ihr Mann verreist sind. Mittlerweile geht das noch einfacher: „Heute bete ich mit dem Handy, wenn wir unterwegs sind.“
Laudes und Vesper als Angelpunkte
Das Stundengebet – das sind Gebete, die zu bestimmten Zeiten während des Tages gebetet werden und die ‚Horen‘ genannt werden. Die Laudes am Morgen und die Vesper am Abend bilden die beiden Angelpunkte. Die Komplet kurz vor dem Zubettgehen ist das Nachtgebet. Dazu kommen im Laufe des Tages Terz, Sext, Non und die Lesehore, bei der die Schriftlesung im Mittelpunkt steht.
Ziel ist es, wie es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert, „dass der gesamte Ablauf des Tages und der Nacht durch Gotteslob geweiht wird“. Zum Stundengebet, das auch Tagzeitenliturgie genannt wird, sind Priester, Diakone und Ordensleute verpflichtet. Alle Getauften sind dazu eingeladen. „Das Stundengebet wurde im Zweiten Vatikanum allen Gläubigen ans Herz gelegt, davor war es nur eine Sache der Priester und Ordensleute.
Es ist das Gebet der Kirche“, erklärt Pater Nikodemus Peschl von der St. Johannesgemeinschaft, der das Stundengebet täglich im Kloster mit seinen Mitbrüdern betet. „Der Gläubige dringt dabei betend in den Rhythmus der Schöpfung und der Erlösung ein.“ Es gehe darum, den Blick Gottes über die Zeit einzunehmen, die eigene Existenz von Gott her zu sehen. „Das ist auch der Grund, warum im Stundengebet die Psalmen gebetet werden, weil sie das gesamte Werk Gottes betend beschreiben.“
Der Leib betet mit
Neben den Psalmen sind der Hymnus und Lesungen aus der Heiligen Schrift Bestandteil der Horen. Bei den Laudes und der Vesper gibt es außerdem Fürbitten. Nicht nur der Inhalt auch die Form spielt eine Rolle. „Wichtig beim Beten ist der Leib“, betont Pater Nikodemus.
„Das Stundengebet ist kein passives Gebet, das man irgendwo im Kopf betet.“ Stehen, Sitzen, sich Verneigen – es lohne sich, die entsprechenden Körperhaltungen bewusst zu vollziehen. „Das hilft meinem Herzen, ist Ausdrucks des Betens und führt mich gleichzeitig tiefer hinein.“ Eine Hilfe könne außerdem sein, Teile des Stundengebets zu singen, denn „Gesang ist die Seele, die wirklich gelöst ist.“ In der Klostergemeinschaft könne das gemeinsame Singen allerdings auch herausfordernd sein, erzählt Pater Nikodemus mit einem Augenzwinkern: „Das Schwierigste an den Psalmen ist, dass man sie zusammen singen muss. Man sagt, dass man dort sieht, ob sich die Brüder lieben oder nicht.“
Stellvertretend beten
Ob man nun während des Tages eine oder mehrere Horen betet, oder die Psalmen kürzt – wesentlich sei das Bewusstsein, mit der Kirche zu beten, sagt Pater Nikodemus. Wer Teile des Stundengebets betet, betet nicht bloß für sich allein, sondern stellvertretend für andere.
„Für mich war das von Anfang an faszinierend: Dass ich für andere, für die, die keine Zeit haben, stellvertretend beten kann“, sagt Pauline Reidlinger. Regelmäßig nimmt sie samstags an den Laudes in der Pfarre teil. „Dort wird auch gesungen, das ist sehr schön.“ Ob in Gemeinschaft in der Pfarre, zu zweit mit ihrem Mann oder alleine: „Das Stundengebet macht mich ruhig und schenkt mir Freude. Es ist so schön, den Tag so zu beginnen.“
Berichte zu den verschiedenen Formen des Gebetes
Autor:Sandra Lobnig aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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