Barmherzigkeitssonntag
Barmherzigkeit - Tatkraft der liebenden Weisheit
Unser Papst Franziskus setzt mit dem Thema „Barmherzigkeit“ immer wieder starke Akzente, doch schon Papst Johannes Paul II. hat die biblisch begründete Barmherzigkeit zu einem Programmwort seines Wirkens erhoben. Was hinter dem Wort „Barmherzigkeit“ mit seiner theologischen Sprengkraft steckt...
Der Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit wird am 2. Sonntag der Osterzeit (auch „Weißer Sonntag“ genannt), begangen. Als liturgisches Fest wurde der Barmherzigkeitssonntag am 30. April 2000 von Papst Johannes Paul II. in der Predigt bei der Heiligsprechung von Sr. Faustyna Kowalska für unsere ganze Katholische Kirche festgelegt.
Maria Faustyna Kowalska oder Maria Faustina vom Allerheiligsten Altarsakrament (1905-1938) war eine Mystikerin aus Polen, sie gehörte der Kongregation der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit an. Sie gilt als Verkünderin der Barmherzigkeit Gottes.
Der SONNTAG sprach mit der Leiterin des Referats für Spiritualität im Pastoralamt, Beate Mayerhofer-Schöpf, über den schillernden Begriff der Barmherzigkeit.
Wie lässt sich das Thema „Barmherzigkeit“ in wenigen Sätzen erklären?
Beate Mayerhofer-Schöpf: Im Wort Barmherzigkeit stecken die Worte „Herz“ und „Erbarmen“. Barmherzig ist jemand, der sein Herz für einen anderen Menschen öffnet. Das althochdeutsche Verb „armen“ meint Not leiden. Daraus entwickelte sich das heute gebräuchliche „sich erbarmen“ im Sinn von Not lindern. Bei der Barmherzigkeit geht es also nicht nur darum, mit dem anderen mitzufühlen, sondern sich auch für diesen aktiv einzusetzen.
Was ist das Festgeheimnis des „Sonntags der göttlichen Barmherzigkeit“?
Beate Mayerhofer-Schöpf: Das Festgeheimnis zeigt sich am deutlichsten im Evangelium dieses Tages: Jesus zeigt den Jüngern, die sich aus Furcht hinter verschlossenen Türen versteckt halten, seine Wunden. Seine durchbohrten Hände sind nicht anklagend erhoben. Ganz im Gegenteil – er breitet sie zum Zeichen der Vergebung aus: „Friede sei mit euch!“
Sein aus Liebe verwundetes Herz steht für jeden offen, der Friede und Heilung sucht. Dazu ist er vom Vater gesandt und dazu sendet er seine Jünger und auch jede und jeden von uns.
Hat die Barmherzigkeit den Stellenwert in der Seelsorge, den sie haben müsste?
Beate Mayerhofer-Schöpf: In der Seelsorge geht es darum, Menschen so zu begleiten, dass sie immer mehr in liebevolle Beziehungen hineinwachsen können: zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst. Man könnte auch sagen: immer mehr die Barmherzigkeit Gottes annehmen und daraus auch immer mehr mit sich und anderen barmherzig umgehen lernen.
Was wir heute vielleicht noch zu wenig sehen, ist, dass nicht nur Menschen, sondern die ganze Schöpfung unser Mitgefühl und unser Erbarmen braucht: die Tiere, Pflanzen, die Luft, die Meere. Denn wir Menschen sind gerade dabei, die Lebensgrundlage von allem Lebendigen zu zerstören. Wer, wenn nicht wir Christen, sollte sich dafür einsetzen – da wir doch an den guten Schöpfer glauben und seine Spuren in allem finden können?
Wie kann Gott zugleich barmherzig und gerecht sein?
Beate Mayerhofer-Schöpf: Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind zwei Seiten Gottes. „Es handelt sich nicht um zwei gegensätzliche Aspekte, sondern um zwei Dimensionen einer einzigen Wirklichkeit“, schreibt Papst Franziskus (Misericordiae Vultus; Verkündigungsbulle des ausserordentlichen Jubiläums der Barmherzigkeit; Kapitel 20).
Biblisch sehen wir Gottes Barmherzigkeit, wenn er auf den Schrei des leidenden Menschen hört, der durch eigene oder fremde Schuld in eine bedrückende Situation geraten ist. Seine Gerechtigkeit zeigt sich etwa, wenn er faire Behandlung von Armen, Waisen, Witwen und Fremden im Land einmahnt.
Letztlich geht es bei den beiden Begriffen „gerecht und barmherzig“ um das Verhältnis von Wahrheit und Liebe: Barmherzigkeit darf nicht ungerecht sein, weil es keine Liebe ohne Wahrheit gibt. Gerechtigkeit darf nicht unbarmherzig sein, weil keine Wahrheit ohne Liebe bestehen kann. „Gerecht und barmherzig sein“ ist daher Grundlage eines guten Lebens für alle.
Was bedeutet Ihnen persönlich Barmherzigkeit?
Ich bin sehr dankbar, dass viele Menschen mir gegenüber barmherzig sind, nachsichtig gegenüber meinen Fehlern, Eigenheiten und Unachtsamkeiten. Ich bin froh, dass ich mich immer wieder in der barmherzigen Liebe meines Gottes bergen kann, wenn mein hartes Herz mich und andere verurteilt.
Meinungsumfrage:
Was bedeutet für Sie "Barmherzigkeit"?
Mein Beruf verlangt von mir täglich viele Entscheidungen zu treffen und in diesen Entscheidungen, gerade wenn sie Personal- und dienstrechtliche Angelegenheiten betreffen, gerecht zu sein. Das ist nicht immer leicht. In dieser Frage hilft mir der wunderbare, aber herausfordernde biblische Gedanke, dass Recht, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit stets untrennbar miteinander verknüpft sein sollen.
Recht walten zu lassen, bedeutet einer Sache gerecht zu werden, dies wiederum, dass bei aller geforderten Objektivität immer der Mensch, die einzelne Person, im Vordergrund stehen muss. Will ich dem Menschen gerecht werden, muss Zeit und Raum sein, die konkreten, persönlichen Umstände eines „Einzelfalles“ bei einer notwendigen Entscheidung zu berücksichtigen und nach passenden individuellen Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Dieser Blick auf den Menschen mit seinen Potentialen und Stärken, seinen Fehlern und Schwächen, vor allem aber mit all seinen Entwicklungschancen, ist für mich die Kristallisation von Barmherzigkeit und eine Perspektive, die nicht nur im schulischen Kontext sondern in jeder Begegnung ganz wesentlich ist.
HR Mag. Andrea Pinz Leiterin des Erzbischöflichen Amtes für Schule und Bildung
Barmherzigkeit zu üben ist die große Herausforderung für jeden Christen, nicht nur im Sinne der Humanität, sie macht uns dem Herrn selbst ähnlich. Wo aber finde ich Hungrige und Durstige, Heimatlose, Kranke und andere Notleidende oder auch Unwissende, die es zu lehren gilt?
Unsere Kirche ist schon eine faszinierende Gemeinschaft, weltweit präsent, vernetzt und gleichzeitig vor Ort zu erreichen! Sie ist mit Abstand die Gemeinschaft, die sich auf diesem Planeten am meisten und auch effizientesten um Entwicklungshilfe, medizinische Versorgung, Hilfe bei Katastrophen, Bildungsarbeit usw. kümmert. Und da kann jeder von uns dabei sein!
Missio ist das Instrument des Heiligen Vaters, um weltweite Solidarität zu ermöglichen. Wer die wachsende Weltkirche stärken, die Ärmsten vor Ort retten, Kindern in die Zukunft helfen, für die Priester von morgen sorgen und selbst missionarisch wirken will, der kann das dank Missio tatsächlich tun. Jeder ist zur Barmherzigkeit berufen, am Nächsten wie auch weltweit.
Mag. Johann Georg Herberstein, Diözesandirektor der Päpstlichen Missionswerke für die Erzdiözese Wien
Autor:Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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