Eltern in der Bibel
„Als Vater ist David kein gutes Vorbild“
Kaum jemand denkt beim Bibel-Lesen sofort daran, dass Adam und Eva, Abraham und Sara, David und Batseba oder Maria und Josef auch Eltern waren. Wie dieses eher wenig bedachte Eltern-Sein in der Heiligen Schrift gesehen und beschrieben wird, das erläutert die Alttestamentlerin Agnethe Siquans im SONNTAG-Interview.
Die Illustrationen gestaltete Irene Unger, Theologin und Religionslehrerin. Teil 1 unserer Hinführung zum „Bibel-Pfad“ am 30. September in Wien.
Großfamilien sind in der Bibel eher die Ausnahme, der „Normalfall“ sind wohl eher Kleinfamilien – auch aus wirtschaftlichen Gründen. Mit Agnethe Siquans, sie lehrt Altes Testament an der Universität Wien, macht der SONNTAG einen ungewöhnlichen und aufregenden Streifzug durch das Alte und Neue Testament.
Warum brauchen die Menschen im Alten Orient so zahlreiche Nachkommenschaft?
AGNETHE SIQUANS: Wichtig war es, einen männlichen Nachkommen zu haben, der das väterliche Land erben und den Namen des Vaters weiterführen konnte. Die Anzahl der Kinder war oft gar nicht so groß, wie wir das heute meinen. Einerseits war die Kindersterblichkeit sehr hoch und andererseits hatten viele Eltern gar nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten, eine große Familie zu erhalten. Auch die archäologischen Befunde zeigen, dass die Häuser eher Kleinfamilien beherbergt haben. Söhne waren aus den genannten Gründen wichtig, aber auch um die Eltern im Alter zu versorgen. Töchter verließen mit ihrer Heirat die Familie.
Was bedeutet es, dass das sogenannte „Eltern“-Gebot sogar in den Zehn Geboten (Buch Exodus, Kapitel 20 und Buch Deuteronomium, Kapitel 5) vorkommt? Wo es heißt, die Eltern seien zu „ehren“ ...
Das Gebot ist an erwachsene Kinder, besonders Söhne gerichtet. Es geht um die Versorgung der alten Eltern, die nicht mehr in der Lage sind, einen Beitrag zum wirtschaftlichen Auskommen der Familie zu leisten. Trotz Alter, Krankheit, Schwäche sollen sie gut und respektvoll behandelt werden. Mit dem Alter hat man auch Weisheit verbunden, die sehr geschätzt wurde. Trotzdem wurden Eltern, wenn sie nicht mehr leistungsfähig waren, nicht immer geachtet. Dazu will das Gebot ermahnen.
Im Buch Levitikus (Heiligkeitsgesetz, Lev 19,3) heißt es dann allerdings: „Vater und Mutter zu fürchten.“ Warum?
Auch mit „fürchten“ ist eine respektvolle Haltung gemeint, so wie auch „Gott fürchten“ nicht bedeutet, vor ihm Angst zu haben, sondern ihn zu respektieren, Ehrfurcht zu haben. Diese Ehrfurcht gründet darin, dass man den Eltern das Leben verdankt, so wie man letztlich Gott das Leben verdankt.
Was lässt sich über das erste biblische Elternpaar, über Adam und Eva (Buch Genesis, Kapitel 2 bis 4) sagen?
In der Erzählung geht es um den Anfang der Menschheit überhaupt. „Adam“ ist im Hebräischen zunächst kein Name, sondern bedeutet „Mensch“. Eva kommt vom hebräischen Chawwah, „Leben“. Die enge Gemeinschaft und das Miteinander beider steht am Anfang der Menschheit. Wie diese ersten Eltern als Eltern waren, darüber erfahren wir nichts. Der Bibel geht es hier um die Erfüllung des göttlichen Segens im Sinne der Vermehrung und Bevölkerung der ganzen Erde, die hier beginnt. Allerdings darf man die Erzählung nicht historisch missverstehen, sondern es geht um eine grundlegende Aussage über die Menschheit.
Was zeichnet die sogenannten „Erzeltern“ (Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob und Lea und Rahel, Buch Genesis, Kapitel 11 bis 36) aus?
Mit den Erzelternerzählungen, beginnend mit Abraham und Sara, wird der Fokus von der ganzen Menschheit auf eine bestimmte Familie gelenkt. Die Geschichte dieser Familie ist die Vorgeschichte des Volkes Israel. Gemeinsam arbeiten Abraham und Sara, Rebekka und Isaak sowie Jakob, Lea und Rahel am Fortbestand dieser Familie, an der Weitergabe von Gottes Segen. Männer wie Frauen sind in diesem Umfeld auf die Familie und auf die Nachkommenschaft konzentriert. Das Überleben der Kinder, auch hier wieder vor allem der Söhne, bedeutet das Fortbestehen der Familie, aber ebenso die Erfüllung von Gottes Verheißung an Abraham.
Warum sind die Eltern von Samuel, Elkana und Hanna, ein gutes Elternpaar (Erstes Buch Samuel, Kapitel 1 bis 2)?
Elkana hat zwei Frauen, Hanna und Peninna. Hanna ist zunächst kinderlos und leidet sehr darunter. Kinderlosigkeit war für Frauen damals ein sehr schlimmes und belastendes Schicksal. Elkana aber liebt Hanna und unterstützt sie. Hanna gelobt ganz selbständig, dass sie das erste Kind Gott weihen wird. Das tut sie dann auch und versorgt ihren Sohn Samuel auch noch am Heiligtum, wo sie ihn hinbringt.
Waren David und seine zahlreichen Frauen „gute Eltern“ (Erstes und Zweites Buch Samuel)?
Wie Davids Frauen als Mütter waren, darüber erfahren wir wenig. Nur von Batseba wissen wir, dass sie sich vehement dafür eingesetzt hat, zusammen mit dem Propheten Natan, dass ihr Sohn Salomo Davids Nachfolger wird. David selber kann wohl kaum als guter Vater bezeichnet werden. Charakteristisch dafür ist die Erzählung über die Vergewaltigung seiner Tochter Tamar durch ihren Bruder Amnon. David reagiert überhaupt nicht darauf. Ein weiterer Sohn, Abschalom, rächt dann die Tat, indem er Amnon ermordet. David verstößt Abschalom, der dann später ebenfalls den Tod findet. Auch die Frage seiner Nachfolge regelt er nicht zeitgerecht. Seine Aufgabe wäre es, den Frieden und die Ordnung in der Familie, zwischen den (Halb-)Brüdern aufrechtzuerhalten. Diesbezüglich ist David nicht erfolgreich. Er entzieht sich dieser Verpflichtung, was zu Gewalt unter den Töchtern und Söhnen führt. Als Vater ist der berühmte König kein gutes Vorbild.
Sind die Eltern des Tobias „ideale Eltern“ (Buch Tobit)?
Tobit ist sehr fromm, geradezu übertrieben fromm. Er ist deshalb aber leider auch misstrauisch gegenüber seiner Frau. Gegenüber Tobias verhalten sich die Eltern aber richtig. Sie unterweisen ihn in der Tradition und vertrauen ihm eine wichtige Aufgabe an. Am Ende des Lebens gibt Tobit seinem Sohn auch noch wichtige Ermahnungen mit, die ihm im Leben helfen sollen. Noch mehr aber kann man sagen, dass Tobias ein idealer Sohn ist, der auf den Wegen seiner Vorfahren geht, die Aufträge seiner Eltern erfüllt, eine Frau aus seinem Stamm heiratet, die Krankheit des Vaters mit Gottes Hilfe heilt und sich um die Eltern kümmert.
Was lässt sich zum Ehepaar Elisabeth und Zacharias, den Eltern Johannes’ des Täufers, sagen (Lukasevangelium, Kapitel 1)?
Vor allem ist ihre Frömmigkeit und ihr Gottvertrauen hervorzuheben. Explizit sagt es das Evangelium nicht, aber zweifellos haben sie auch Johannes in der traditionellen jüdischen Frömmigkeit erzogen. Das war wohl die wichtigste Aufgabe von Eltern (neben der Versorgung natürlich), die sie sicher sehr gut erfüllt haben.
Wie können Jesu „Eltern“, Maria und sein Nährvater Josef, näher beschrieben werden? (Matthäusevangelium, Kapitel 1 und 2; Lukasevangelium, Kapitel 1 und 2)?
Davon erfahren wir ein wenig im Lukasevangelium. Die Eltern erfüllen die jüdischen Gebote, Beschneidung und Opfer, sie nehmen regelmäßig an Wallfahrten nach Jerusalem teil. In Lukas 2,40 heißt es: „Das Kind wuchs heran und wurde stark, erfüllt mit Weisheit und Gottes Gnade ruhte auf ihm.“ Auch hier ist davon auszugehen, dass die Eltern Jesus in einem traditionellen jüdischen Umfeld erzogen und so seine Entwicklung gefördert haben.
Warum ist Gott „Vater“ und „Mutter“?
Gott schenkt und erhält das Leben der Menschen. Er ist der Ursprung allen Lebens und so menschlichen Eltern vergleichbar, die Kinder zeugen und zur Welt bringen. Wie menschliche Eltern und noch darüber hinaus sorgt er für die Einzelnen und für sein Volk, er versorgt sie, begleitet sie, schützt sie, tröstet sie. Gottes Erbarmen wendet sich auch dann seinem Volk zu, wenn dieses sich von ihm abwendet. Im Hebräischen hängt das Wort „Erbarmen“ mit dem Wort „Mutterschoß“ zusammen und wird als besonders mütterliche Eigenschaft wahrgenommen. Gott wird immer wieder mit einer Mutter oder einem Vater verglichen, seine elterliche Liebe geht aber über die menschliche weit hinaus.
Besuchen Sie uns beim Bibel-Pfad am 30. September: bibelpfad.at
Autor:Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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