5 Jahre Umweltenzyklika "Laudato Si"
Klima ist ein Gut für alle
Bei der Veröffentlichung der Umweltenzyklika "Laudato Si" von Papst Franziskus vor 5 Jahren haben wir die Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel um ihre Einschätzung gebeten. Sie gab 2015 eine klare Antwort, die auch heute nicht an Aktualität verloren hat: "Die Klimaprobleme betreffen alle Menschen, man kann sich ihnen nicht entziehen."
Papst Franziskus sieht die Lösung der Umwelt- und Armutsprobleme in einer ganzheitlichen Ökologie. Was ist damit gemeint?
Ingeborg Gabriel: Die Ganzheitlichkeit bezieht sich darauf, dass Franziskus stark auf die gegenseitigen Abhängigkeiten aller Probleme hinweist. Es ist außerdem ein ganzheitlicher Ansatz in dem Sinn, dass die verschiedensten Akteure und Dimensionen einbezogen werden. Wir sind alle weltweit existenziell betroffen: einerseits wird die Umwelt stark in Mitleidenschaft gezogen und andererseits vergrößern sich dadurch die Armutsprobleme. Es ist sicherlich auch ein Ansatz einer Humanökologie, die sozusagen eine Stufe tiefer gräbt. Wir haben wirklich zum ersten Mal in der katholischen Sozialverkündigung eine Ethik der Technik, die sehr stark die Nebenfolgen technischer Entwicklungen thematisiert.
In der Enzyklika fordert der Papst doch eine neue Definition von Fortschritt.
Welcher Fortschritt ist ein echter Fortschritt? Teilhard de Chardin formulierte es einmal sehr schön: „Fortschritt heißt menschlicher zu werden – oder er heißt nichts.“ Um diese Fortschrittsfrage zu stellen, muss man die Folgen von Konsummodellen, von Lebensstilen, von einem starken Zurücktreten sozialer Beziehungen im Vergleich zu materiellen Interessen mitbedenken, auch angesichts der wirklich drohenden ökologischen Katastrophen, wenn nichts geschieht.
Papst Franziskus spricht sehr viel von den Prinzipien der Soziallehre, wobei er stark das Gemeinwohl betont. Warum ist ihm diese so wichtig?
Wir haben in einer ganz bestimmten Form des Wirtschaftens diese Gemeinwohl-Dimension etwas außer Acht gelassen. Der Papst betont an mehreren Stellen, dass die Politik zu sehr an Selbstbewusstsein verloren hat und, wenn ich etwas salopp sage, sich von der Wirtschaft ins Bockshorn jagen lässt. Sie muss ihre eigene Aufgabe, für das Gemeinwohl zu sorgen, wiedergewinnen. Das ist natürlich nicht nur ein Aufruf an die Politiker, sondern in demokratischen Gesellschaften überhaupt an alle Bürger und Bürgerinnen, die auch für dieses Gemeinwohl verantwortlich sind.
Zu diesem gehören ganz wesentlich öffentliche Güter. Und letztlich ist das Klima ein öffentliches Gut, weil die Klimaprobleme alle Menschen betreffen, man kann sich ihnen nicht entziehen.
Warum spricht Papst Franziskus von einer ökologischen Schuld?
Die Entwicklungsfrage und die ökologische Frage hängen stark zusammen. Das eigentlich skandalöse und wirklich schmerzhafte Gerechtigkeitsdilemma ist, dass jene Länder bzw. große Schichten in diesen Ländern, die bisher am wenigsten konsumiert und am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind, zugleich die sind, die am meisten von seinen Folgen getroffen werden.
Möchte die Enzyklika auch zur Entschleunigung aufrufen?
Das Fortschrittsdenken und die Dynamik von Wirtschaft und Technik haben uns in eine Situation geführt, die eine Beschleunigung mit sich bringt, die dem menschlichen Maß nicht mehr entspricht. Die Komplexität der Probleme nimmt zu, aber die Zeit, die wir zu ihrer Lösung haben, nimmt ab. Durch die moderne Technologie sind Menschen in den verschiedensten Positionen dazu verführt, fast gezwungen, schnelle Entscheidungen zu treffen, die nicht der Komplexität des Problems adäquat sind. Wir müssen uns wieder überlegen, was ist eigentlich ein normaler Rhythmus des Lebens, der die Gesundheit und die Bedingungen des Lebens berücksichtigt und auch dazu führt, dass weniger Fehler gemacht werden – das gilt für alle Lebensbereiche.
Die Wirtschaftsethik ist Franziskus ein wichtiges Anliegen: Was heißt, Wirtschaft in den Dienst des Lebens stellen?
Wir haben keine Patentlösungen, der Papst schlägt auch keine vor. Aber wir sehen, dass man die Mainstream-Ökonomie in verschiedener Weise modifizieren muss. Dieses Erkennen wird heute fast schon zum Allgemeingut. Selbst bei wirtschaftsorientierten Kräften wie dem Magazin „Economist“ war vor nicht allzu langer Zeit das Thema „Wahre Fortschrittlichkeit“ zu finden. Eine wirklich fortschrittliche Wirtschaft muss eine soziale und ökologische sein.
Autor:Markus Albert Langer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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