Vatikanexperte Marco Politi
„Große Passivität in der Weltkirche“
Er hört als Vatikan-Kenner das sprichwörtliche vatikanische Gras wachsen: Bestsellerautor Marco Politi analysiert in seinem neuen Buch „Im Auge des Sturms“, welche Chancen unser Papst in der Pandemie entdeckt. Der SONNTAG traf Politi in Wien und sprach mit ihm über die Reformbemühungen von Papst Franziskus.
Marco Politi ist einer der anerkanntesten Vatikanexperten. Im Gespräch mit dem SONNTAG erläutert Politi den inner- und außerkirchlichen Widerstand gegen Papst Franziskus.
Sie sind einer der besten Kenner des Vatikans. Woher bekommen Sie Ihre Informationen?
MARCO POLITI: Der Vatikan ist eine Organisation, die hinter den Mauern arbeitet, genauso wie im Kreml in Moskau oder in der Verbotenen Stadt in Peking. Also braucht es Zeit, Personen zu kennen, deren Vertrauen zu haben und vor allem muss man immer sehr korrekt sein. Wenn jemand etwas sagt, darf man es nicht manipulieren, aber man kann natürlich frei einen Kommentar schreiben. Aber es dauert. Es dauert lange und vor allem muss man auch sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Deswegen muss man auch zuhören, wenn es eine Konferenz gibt, eine Lesung, oder etwas Gedrucktes. Denn viel hängt von den Nuancen ab. Das haben wir gesehen mit dem postsynodalen Schreiben „Amoris Laetitia“ des Papstes, wo in einer Fußnote das Fenster eine Spalte breit geöffnet wird, um den wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion zu ermöglichen.
Warum ist Papst Franziskus mit so viel Widerstand konfrontiert?
Der Widerstand kommt nicht nur von der Kurie. Die Kurie spiegelt auch die Weltkirche wider. Der Widerstand kommt auch von Gruppen und Persönlichkeiten, die glauben, dass die Kirchenlehre starr bleiben muss, genauso wie sie es in den vorigen Jahrhunderten oder Jahrzehnten war. Franziskus hat eine andere Idee von Kirche: Die Kirche ist für ihn keine Monarchie, sondern eine Gemeinschaft. Das sehen wir mit dieser außerordentlichen Bischofs-Synode, die er jetzt ausgerufen hat. Franziskus hält nichts von der starren Idee der sogenannten unverhandelbaren Prinzipien, die in der Ratzinger-Zeit so populär waren. Franziskus hat gesagt: Ich verstehe dieses Wort nicht. Die Prinzipien sind die Prinzipien. Aber für Franziskus ist es wichtig, dass die Kirche ein barmherziges Gesicht zeigt. Der Widerstand hat in dem Moment angefangen, als man über die Familie diskutierte, über die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Und dann sieht man den Widerstand. Wenn etwa der Papst anfängt zu sagen: Diskutieren wir über die Möglichkeit des Diakonats für die Frauen. Oder wenn die Amazonas-Synode entscheidet, dass es vielleicht auch verheiratete Priester geben könnte. Da gibt es eine starke Minderheit innerhalb der Kirche, die gegen jede Änderung ist. Aber es gibt auch einen Widerstand, der von außen kommt. Das sind Interessensgruppen, denen es nicht gefällt, wenn der Papst zu sehr von sozialer Gleichheit spricht oder wenn er von Umweltschäden spricht, die dann auch soziale Schäden mit sich bringen. Dann sagen diese Gruppen, sie arbeiten meist hinter den Kulissen: Ach, das ist ein Kommunist, das ist ein kommunistischer Papst. Und diese Gruppen finanzieren auch die sogenannte theologische Opposition in ihrer medialen Verbreitung.
Nutzt Papst Franziskus die Möglichkeiten und den Handlungsspielraum, den er als Papst hat?
Man stellt sich den Papst immer als einen allmächtigen Herrscher vor. Das war so das Bild, das Image des Papsttums. Aber eigentlich sind nur konservative Päpste allmächtig. Wenn die Päpste anfangen Reformen zu machen, das haben wir mit Paul VI. gesehen, dann ist es nicht mehr so einfach. Dann können sie nicht einfach so entscheiden. Der Papst hat bestimmt persönlich entschieden, dass man doch die Möglichkeit haben soll, den wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion zu geben. Mit dem Diakonat der Frauen ist es aber zum Stillstand gekommen. Warum? Der Papst hat eine Kommission eingesetzt. Diese Kommission hat sich gespalten, genauso wie sich die Weltkirche spaltet. Und in der Weltkirche gibt es heute in den Bischofskonferenzen eine große Passivität. Die geben nur Lippenbekenntnisse ab: Wir sind mit dem Papst, aber dann sind sie weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Und wenn die Diskussion fehlt, dann geht auch der Reformprozess nicht voran.
Autor:Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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