Vor 25 Jahre war in der Wiener KirchenZeitung zu lesen:
Kardinal König: Ich werde jenen 11. Oktober 1962 nie vergessen

Foto: Archiv Wiener Kirchenzeitung/KNA
7Bilder

Im Advent 1995, also vor genau 25 Jahren, startete die Wiener KirchenZeitung eine Serie mit Erinnerungen an den Abschluss des 2. Vatikanischen Konzils vor damals 30 Jahren. In der ersten Folge erinnerte sich Kardinal Franz König an die Anfänge dieser bedeutenden Kirchenversammlung:



Serie zu "30 Jahre II. Vaticanum"

Mit dieser Ausgabe der Wiener „Kirchenzeitung" beginnt die neue Serie über das Zweite Vatikanische Konzil. Für den ersten Beitrag konnten wir den früheren Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König, als Autor gewinnen, der selbst einer der Konzilsväter war. In der Folge schreiben Experten aus dem In- und Ausland über das II. Vaticanum.

In diesen Tagen - es war der 8. Dezember 1965, also vor genau dreißig Jahren - ging das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende. Es hatte drei Jahre hindurch in Rom getagt. Diese große Kirchenversammlung miterlebt zu haben, gehört zu den bleibenden Erinnerungen meines Lebens. Damit entspreche ich gerne der Einladung der Wiener Kirchenzeitung, aus diesem Anlass ein wenig über dieses letzte Konzil und seine Bedeutung für die Kirche auf ihrem Weg in das nächste Jahrtausend zu berichten. Für viele, vor allem in der jungen Generation, ist dies alles bereits Geschichte geworden. Das Interesse am Konzil hat in den darauffolgenden Jahrzehnten wohl nachgelassen. In diesen Tagen haben wir Anlass, es uns wieder neu bewusst zu machen.

Kardinal Franz König erinnert sich.

Aber auch im Rückblick auf das Konzil nach 30 Jahren wird man sagen müssen: Es wäre eine Illusion, sich davon einfach die Lösung aller Fragen und Schwierigkeiten zu erwarten, fertige Rezepte und Anweisungen zu erhoffen. Das Konzil konnte und wollte nur Weichen stellen für den Weg der Kirche, auch in das neue Millennium. Es war aber vor allem auch das Anliegen des Konzils, unsere Glaubensgemeinschaft zu erneuern im Geiste Christi, die Liebe zur Kirche und die Kenntnis ihres Wesens zu vertiefen. Das Konzil wollte besonders auch für unsere Zeit die Botschaft Christi den Menschen als eine frohe Botschaft bewusst machen.

Ein Schlüsselerlebnis war für mich der am 7. Dezember 1965 in St. Peter von Papst Paul VI. gehaltene feierliche Abschlussgottesdienst des Konzils. Dieses festliche und bewegende Ereignis ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben. Mir wurde damals ein wenig bewusst, welche Kraft von der Kirche und von einem Konzil ausgehen kann. In St. Peter befand sich damals auch ein Vertreter des ökumenischen Patriarchen Athenagoras von Konstantinopel in seiner prachtvollen orientalischen liturgischen Kleidung. Am Schluss des Gottesdienstes wurde er von Paul VI. gebeten, zum Papstaltar hinaufzusteigen. Ich selbst gehörte zu der kleinen Gruppe, die am Altar alles genau miterleben konnte, als der Papst nun der dichtgefüllten Kirche feierlich mitteilte: ,,Zu dieser Stunde verkündet der Patriarch von Konstantinopel und verkünde ich als Inhaber des Petrusamtes, dass jene Bulle, die das Schisma von 1054 ausgelöst hat, welche die Kirche in eine abendländische und eine morgenländische getrennt hatte, dass diese Bulle und ihr Inhalt ab heute für nichtig erklärt werden."

Ein Riss wurde geheilt Paul VI. und Patriarch Athenagoras hatten dies in aller Stille übereinstimmend vorbereitet. Mit diesem Augenblick war der seinerzeitige Riss, der die Christenheit zum ersten Mal trennte, wenigstens rechtlich geheilt. Damals ging ein Brausen des Beifalls durch die ganze Kirche. Ein Professor der Kirchengeschichte, den ich anschließend traf, sagte mir damals: ,,Wissen Sie, mir sind die Tränen in den Augen gestanden, weil mir bewusst wurde, welche Bedeutung eine solche Stunde für die Geschichte der Welt, als Zeichen für die Zukunft haben kann." Gewiss, damit konnte man die Geschichte selber - eine leidvolle Geschichte - nicht ändern, wohl aber konnte und wollte man zeigen, dass man aus der Geschichte lernen kann und lernen soll. Es ist daher, so glaube ich, nicht zu viel gesagt, wenn ich meine, dass alles, was mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Verbindung steht, mein Leben als Erzbischof entscheidend mitgeprägt hat. In der nachkonziliaren Zeit haben sich viele, vor allem auch innerhalb der Kirche, mit dem Konzil und seinen Auswirkungen beschäftigt, haben sich in der einen oder anderen Weise darauf berufen. Dazu muss aber gesagt werden:

Nicht alles, was geschah, war Frucht des Konzils

Nicht alles, was mit Berufung auf das Zweite Vatikanum geschah oder gesagt wurde, was im kirchlichen Bereich versucht wurde ist deswegen unbedingt Frucht des letzten Konzils. Ebenso wenig sind jene Diskussionen, jene sogenannten „Krisen" der nachkonziliaren Zeit, innerhalb der Kirche oder in Verbindung mit dem kirchlichen Zeitgeschehen als eine notwendige Folge des Konzils zu sehen. Bei jenen Diskussionen - vor allem im west- und mitteleuropäischen Raum - ging es zunächst nicht nur.um die Bewertung der verschiedensten Konzilsaussagen. Die damals in Erscheinung getretenen Fronten kreisten und kreisen vor allem um das richtige Verständnis der Kirche in der Welt von heute. Den Teilnehmern an solchen Diskussionen kommt aber heute kaum mehr zum Bewusstsein, wie sehr die Kirche in der Welt von heute gerade aus den Aufbrüchen und Erneuerungen des Konzils heraus lebt.

Ich möchte zunächst die Frage beantworten: Was versteht man unter einem ökumenischen Konzil? Zum Unterschied von nationalen - oder regionalen Konzilien in der Kirchengeschichte werden zu einem allgemeinen, ökumenischen Konzil - (,,ökumenisch" im Sinne des griechischen Wortes : ,,allgemein", ,,weltweit") – alle Bischöfe der ganzen Welt eingeladen, um unter dem Vorsitz des Bischofs von Rom, dem Papst, wichtige Fragen für die Gesamtkirche zu beraten und entsprechende Beschlüsse zu fassen. Ein ökumenisches Konzil besitzt daher, so wie der Papst, höchste Gewalt über die ganze Kirche. Ein ökumenisches Konzil steht also neben dem Papst, aber nicht über dem Papst. Gelegentlich gab es in der Kirche Bestrebungen ein Konzil über den Papst zu stellen. Eine solche Auffassung - Konziliarismus genannt - hat heute keine Bedeutung mehr. Das letzte Konzil (LG, nr. 22) bestimmte nochmals die Autorität und Aufgabe eines allgemeinen ökumenischen Konzils folgendermaßen: ,,Das Kollegium der Bischöfe, das jenem der Apostel im Lehr- und Hirtenamt nachfolgt, ja, in welchem die Körperschaft der Apostel immerfort weiterbesteht, ist gemeinsam mit ihrem Haupt, dem Bischof von Rom - und niemals ohne dieses Haupt -, gleichfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche." Bis jetzt gab es 21 ökumenische Konzilien in der Geschichte der Kirche. Das erste fand statt in Nicäa (325), also etwa 15 Jahre nach dem Ende der römischen Kirchenverfolgungen; es schuf Klarheit in der Auseinandersetzung mit Arius, wodurch damals die Einheit des Glaubens auf dem Spiel stand, das letzte, das 21. Konzil, tagte von 1962 bis 1965 in St. Peter in Rom.

Johannes Paul II: Ein Ereignis der Vorsehung

Damit liegt es nun nahe, zu fragen, welche Bedeutung der Heilige Vater, Papst Johannes Paul II. selber, diesem letzten Konzil aus der Distanz von dreißig Jahren für die Zukunft der Kirche bemisst. In einem seiner letzten Apostolischen Schreiben „Tertio millenio adveniente" (November 1994) stellte er fest: Das Zweite Vatikanische Konzil war „ein Ereignis der Vorsehung, durch das die Kirche die unmittelbare Vorbereitung auf das Jubiläum des Jahres 2000 in Gang gesetzt hat" - denn „es handelt sich um ein Konzil, das zwar den früheren Konzilien ähnlich und doch sehr andersartig ist; ein Konzil, das sich auf das Geheimnis Christi und seiner Kirche konzentriert und zugleich offen ist für diese Welt". So der Heilige Vater wörtlich. Und er fügt dann (nr. 19) noch hinzu: ,,Bei keinem anderen Konzil hat man mit einer derartigen Klarheit von der Einheit der Christen, vom Dialog mit den nichtchristlichen Religionen, sowie von der besonderen Bedeutung des Alten Bundes und Israels" gesprochen. Ein solcher Hinweis auf diese Aussagen des Papstes ist wichtig, weil bei manchen Zeitgenossen heute die Meinung besteht, der Papst selber oder der Vatikan betrachte das letzte Konzil nur mit großer Reserve. Alle Konzilien haben auf ihre Weise Kirchengeschichte gemacht, es sind von ihnen Impulse ausgegangen, die weit in die Zukunft reichen; sie haben Prozesse eingeleitet, die lange nachgewirkt haben. Auf den Konzilien begegnen sich auf diese Weise, aufgrund des gemeinsamen christlichen Erbes und Auftrages, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kirche Jesu Christi.

Aber damit zurück zum zweiten Vatikanum selbst. Die richtungweisenden Dokumente dieser Kirchenversammlung, - es waren insgesamt sechzehn, wurden - zum Teil nach langen und schwierigen Diskussionen - jeweils in einzelnen Teilen und dann am Schluss gemeinsam abgestimmt; und dies geschah so, dass jeder einzelne Teilnehmer sein Placet (ich stimme zu), sein Non placet (ich stimme nicht zu) oder sein Placet iuxta modum (ich stimme zu, aber mit Änderungsvorschlägen) persönlich abzugeben hatte. Die meisten Texte wurden nach mühsamen Diskussionen in der Regel schließlich mit überwältigender Stimmenmehrheit angenommen. Es war vor allem das Bestreben Pauls VI., durch die ausführlichen Diskussionen die vorgelegten Texte so weit zu klären, dass zwischen den verschiedenen Richtungen weitgehende Übereinstimmung erreicht werden konnte. Die so am Schluss entstandenen Texte fanden großes Interesse, vor allem auch in der öffentlichen Meinung.

Von den getrennten, nichtkatholischen Kirchen war eine größere Anzahl als Beobachter zum Konzil geladen. Sie saßen ganz vorne in der Peterskirche, den Kardinälen gegenüber; sie konnten an den Abstimmungen nicht teilnehmen, aber in den vorbereitenden Kommissionen, sowie in vielen privaten Gesprächen ihre Meinung einbringen. So hat zum Beispiel Prof. Oscar Cullmann, damals Professor der protestantischen Bibelwissenschaft in Basel, am Schluss des Konzils in einem Vortrag erklärt: ,,Zum Abschluss, auf das Konzil zurückschauend, kann ich sagen, dass, aufs Ganze gesehen, die Erwartungen - soweit es nicht Illusionen waren - erfüllt und in vielem sogar übertroffen wurden."

Die Hauptversammlungen des Konzils fanden jeweils im Herbst, September bis Dezember, statt. Die schwierigen Arbeiten der Vorbereitung der Texte und Einarbeitung der Verbesserungsvorschläge geschahen im Frühjahr. Ungefähr zweieinhalbtausend Konzilsväter waren zum Konzil geladen, die, soweit wie möglich, aus allen Teilen der Welt kamen, um an den Herbstsitzungen - insgesamt vier - teilzunehmen.

Eine kritische Phase ergab sich durch den Tod Papst Johannes XXIII. Anfang Juni 1963. Wenn während eines Konzils ein Papst stirbt, so wird dieses automatisch unterbrochen. Ob es fortgesetzt wird, hängt ausschließlich vom neugewählten Nachfolger ab. Aus diesem Grunde erwartete man damals mit großem Interesse, auch in der Öffentlichkeit, wer als Nachfolger Johannes XXIII. aus dem Konklave hervorgehen würde. Es war dies dann der Erzbischof von Mailand, G. B. Montini, der sich den Namen Paul VI. wählte. Nach kurzer Zeit erklärte der neue Papst, er wolle das unterbrochene Konzil wieder einberufen und - er wolle dies im Sinne Johannes XXIII. tun. Ich möchte an dieser Stelle betonen: Der Glanz und der Ruhm des Konzils ist mit dem Namen Johannes XXIII. für immer verbunden; die Last und die Mühen aber hatte der neue, demütige, überaus kluge und erfahrene Papst Paul VI. zu tragen. Er hat das große Verdienst, das Konzil auch über schwierige Phasen hinweg geleitet zu haben.

Dialog mit der Welt

Mit dieser Kirchenversammlung trat, so hieß es bald, ein ganz neuer Konzilstypus in Erscheinung. Einerseits schuf die Technik neue Möglichkeiten der Kommunikation in der großen Aula von St. Peter; andererseits trat wie nie zuvor die Internationalität, das heißt, die Vielfalt von Rassen, Sprachen und Kulturen aus der ganzen Welt in Erscheinung. Auf mich machte dies einen besonderen Eindruck, ich erlebte meine Kirche zum ersten Mal tatsächlich als Weltkirche. Man kann sagen: Auf diesem Konzil legte die Kirche ihr bisheriges europäisches Kleid ab und öffnete sich der Inkulturation in anderen Kontinenten.

Eine Besonderheit dieses Konzils war auch die Anwesenheit einer Reihe von Bischöfen aus den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang, die damit zum Teil zum ersten Mal diese Schranke überschreiten konnten. Ein weiteres Merkmal dieses Konzils war seine pastorale Ausrichtung und - daraus folgend - die Eröffnung eines Dialoges, nicht nur mit den getrennten Christen und den großen nichtchristlichen Religionen, sondern, und vor allem mit der Welt von heute. Für diese Aufgabe wurde in der Folge em eigenes Sekretariat, heute Päpstlicher Rat, für Nichtglaubende und ihre Kulturen eingerichtet.

Bedeutsame Impulse

Das Konzil hat bedeutsame Impulse gesetzt. Aus meiner Sicht zähle ich zu den großen zukunftsweisenden Themen des Konzils:

Erstens: Das erlebte Bewusstsein, Weltkirche zu sein. Die menschliche Vielfalt auf dem Konzil wurde durch die Einheit des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, durch die gemeinsame Heilige Schrift und Tradition und durch das sichtbare Petrusamt zu einer friedlichen, wenn auch manchmal spannungsgeladenen Einheit verbunden. In der Liturgie kam es zur Einführung der jeweiligen Muttersprache neben dem Latein als westliche Universalsprache. Dies entsprach der Vielfalt der unierten östlichen Riten. In der äußeren Vielfalt aber bleibt die Einheit der Kirche bestehen.

Zweitens: Zu diesem Bild der Kirche gehört die lebendige Kraft des Ökumenismus. Das Konzil selber stellt dazu fest: ,,Die Einheit aller Christen wiederherstellen zu helfen, ist eine der Hauptaufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils. Denn Christus, der Herr, hat eine einige und einzige Kirche begründet" (Ökum., nr. 1). Die damit bezeichnete ökumenische Bewegung ist ein langwieriger Prozess. Entscheidend ist es, das gemeinsame Erbe der Vergangenheit höher zu schätzen als das Trennende. Wie lange dieser geschichtliche Prozess, bis hin zur Erlangung der vollen Einheit, dauern wird, wissen wir nicht; wir hoffen aber, dass dieser Weg der Ökumene uns einmal wieder an einem gemeinsamen Ziel zusammenführen wird.

Drittens: Ein anderes großes Thema, das auf dem Konzil behandelt wurde und das, so meine ich, für die Zukunft der katholischen Christenheit immer wichtiger wird, ist die Auseinandersetzung des Konzils mit dem „Stand jener Christgläubigen, die man Laien nennt" - wie es das Konzil formulierte. Es hat dieser Frage ein eigenes ,,Dekret über das Laienapostolat" gewidmet. Und in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche heißt es: Dieses Thema sei „wichtig geworden wegen der besonderen Verhältnisse unserer Zeit", und weil die Bischöfe sehr wohl wissen, „wieviel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche beitragen" (LG, nr. 30). Und weiter heißt es dann: ,,Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie Salz der Erde werden kann" (LG, nr. 33). Mit anderen Worten: Nicht nur Bischöfe und Priester tragen Verantwortung für die Kirche, vielmehr müssen sich alle zusammen heute dieser Verantwortung bewusst sein. Damit soll aber auch deutlich gemacht werden, wie eine gute Zusammenarbeit von Priestern und Laien, verbunden mit dem gelebten Zeugnis des täglichen christlichen Lebens, für die Zukunft der Kirche immer wichtiger werden wird.

Eine der Auswirkungen: Das Ereignis von Assisi

Viertens: Ein weiterer zukunftsweisender Impuls des Konzils, der in der Zukunft Kirche und Welt besonders bewegen wird, ist das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Zum ersten Mal wurde von einem Konzil der katholischen Christenheit ein deutlicher Hinweis auf Geschichte und Bewertung der anderen Religionen gemacht. Aus dieser weiten Sicht werden im kürzesten Konzilsdokument, ,,Nostra aetate", im Kapitel 3 der Islam und im Kapitel 4 das Judentum behandelt. Im Hinblick auf die Feindschaft vergangener Jahrhunderte kommt es hier erstmals zu einer Verständigung und Neuorientierung des Verhältnisses der katholischen Kirche zum Volke Israel. Die Zeit der Vorbereitung dieses Textes gehörte zu den aufregendsten des Konzils weil verschiedenste Stimmen und Einflüsse von außen die Behandlung dieser Frage verhindern wollten. Als Beispiel der knappen, aber wichtigen Aussagen sei nur ein Satz aus dem Konzilstext angeführt, wo es heißt: „Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen hatten, kann man jedoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied, noch den heutigen Juden zur Last legen" (Nostra aetate, nr. 4).

Eine aufsehenerregende Auswirkung des Konzils war später, 1986, das „Ereignis von Assisi". Papst Johannes Paul II. hatte damals ganz persönlich die Vertreter der großen Weltreligionen nach Assisi eingeladen, um dort - jeder für sich, aber an einem Ort vereint - für den Frieden in der Welt zu beten und so die Verantwortung der Religionen für den Frieden zu betonen und die Kraft des Religiösen den Menschen von heute neu ins Bewußtsein zu rufen. -

Fünftens: Und schließlich behandelte das Konzil sehr ausführlich das Verhältnis der Kirche zur Welt von heute und versuchte, einen Dialog mit ihr, so wie sie ist, zu beginnen. Gleichsam als Auftakt des Gespräches stellte das Konzil damals im Vorwort seiner großen Pastoralkonstitution fest, dass „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute" auch „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi" sind. (Kirche und Welt, nr. 1): Damit wandern meine Gedanken nochmals zurück an den Beginn, zu jenem 11. Oktober 1962, als das Konzil, inmitten von Besorgnissen und Zuversicht, seinen Anfang nahm. Die Spannung, die Hoffnung und Skepsis zugleich, mit der die öffentliche Meinung der Eröffnung des II. Vatikanums entgegenblickte, löste sich allmählich auf in eine große, freudige Überraschung.

Ich werde jenen 11. Oktober 1962 nie vergessen!

Als damals relativ junger Erzbischof von Wien stieg ich inmitten von rund zweieinhalbtausend Konzilsvätern über die Scala Regia hinunter zum Eingang der Peterskirche. Papst Johannes XXIII., der das Konzil einige Jahre zuvor angekündigt und einberufen hatte, wurde in die Peterskirche hineingetragen und stieg dann von seinem Tragsessel herunter, um in der Kirche zu Fuß, zwischen den links und rechts aufgebauten langen Sitzreihen der Bischöfe hindurch, bis zum Petrusgrab zu gehen. Dabei trug er nicht die päpstliche Tiara, sondern eine bischöfliche Mitra, wie alle anderen Konzilsteilnehmer auch. Das Hauptschiff der großen Peterskirche war mit den zu beiden Seiten aufgebauten Sitzreihen für die Bischöfe für die nächsten Jahre zur Konzilsaula umgebaut worden. Unvergesslich bleibt mir das mir hier zum ersten Mal deutlich gewordene Bild einer weltumspannenden Kirche. In den Sitzungen selbst und vor allem in den Gesprächen in den Pausen konnten man Bischöfe verschiedener Hautfarbe, Rasse und Sprache miteinander in lebhaftem Gespräche sehen. Das ist, so schien mir, eine vitale und lebendige Kirche!

Freudig und furchtlos

In der Mitte der Peterskirche, das heißt, der Konzilsaula, befand sich auf einem eigens dafür vorbereiteten Tisch eine kostbare Ausgabe der Heiligen Schrift, aus den ersten christlichen Jahrhunderten, aus der Vatikanischen Bibliothek. Dieses Buch und die Messfeier am Beginn einer jeden Hauptsitzung in verschiedenen Riten waren die deutlichen Hinweise auf das Fundament auch dieses Konzils, auf Christus und seine Botschaft an alle Völker!

In seiner Eröffnungsansprache meinte Papst Johannes XXIII., angesichts der großen Zahl der in St. Peter versammelten Bischöfe aus der ganzen Welt, mit innerer Gelassenheit, man dürfe sich nicht nur für das interessieren, was alt und vergangen ist, sondern - ich zitiere wörtlich - die Bischöfe sollten ,,freudig und furchtlos das verwirklichen, was die Gegenwart erfordert". Man dürfe sich nicht so verhalten, als ob sich in der Welt alles immer nur zum Schlechteren wende; er wies darauf hin, dass man nicht immer nur auf jene „Unglückspropheten" hören solle, die - ich zitiere wörtlich - ,,in den modernen Zeiten nichts zu sehen vermögen, als Unrecht und Untergang, als ob zur Zeit der früheren Konzilien alles in vollem Triumph der christlichen Lehre und der rechten Freiheit des Glaubens vor sich gegangen wäre". Es sei daher „wahrhaft nötig", sagte der Papst, ,,dass die gesamte christliche Lehre vor allem durch ein neues Bemühen angenommen wird; dabei muss die Substanz der alten, im Glauben enthaltenen Lehre von der Formulierung ihrer sprachlichen Einkleidung wohl unterschieden werden". In diesem Bemühen müsse vor allem der pastorale Gesichtspunkt im Vordergrund stehen.
Die von überall, aus der ganzen Welt in Rom zusammengeströmten neugierigen Journalisten haben die Zuversicht und den Mut aus diesen Worten herausgehört und darüber einer interessierten Welt auch so berichtet. Damit dieses Konzil in der Kirche unserer Zeit aber auch wirklich Frucht bringen kann, dazu braucht es, abseits von allen Diskussionen, eine solide Kenntnis seiner Texte und Aussagen. Aus diesem Grund lade ich alle ein, besonders die Pfarrgemeinden, die Beschäftigung mit den Konzilstexten als eine wichtige Aufgabe ihres christlichen Lebens anzusehen. Ich freue mich, dass die Wiener Kirchenzeitung die Absicht hat, in der nächsten Zeit auf die einzelnen Konzilstexte jeweils näher einzugehen.

Kardinal Franz König

Autor:

Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ