Fastenhirtenbrief von Kardinal Innitzer 1946
„Ihr müsst alle Laienapostel werden"
Am 24. März 1946 war im Kirchenblatt der erste Fastenhirtenbrief nach dem 2. Weltkrieg abgedruckt. Darin grüßte Theodor Kardinal INNITZER in Wehmut alle, die ihre Lieben, ihre Habe, ihre Wohnung verloren haben oder in banger Sorge sind um die, die noch nicht vom Kriegsschauplatz heimgekehrt sind. Das Jahr 1946 soll im Zeichen des Wiederaufbaues stehen. ... „Ihr müsst alle Laienapostel werden und in jeder Pfarre muss ein Pfarrheim entstehen“, fordert Kardinal INNITZER. Außerdem unterstrich er die Bedeutung der Katholischen Aktion, den Wert der Ehe und die Verantwortung von Vater und Mutter.
Anbei der Fastenhirtenbrief im Wortlaut:
Fastenhirtenbrief 1946
THEODOR,
der heiligen römischen Kirche Kardinalpriester zum heiligen Chrysogonus,
von Gottes und des Apostolischen Stuhles Gnaden Erzbischof von Wien
und Apostolischer Administrator des Burgenlandes,
erbietet allen Gläubigen Gruß und Segen im Herrn.
Geliebte Diözesanen!
Zum ersten Mal darf Euer Bischof wieder am Beginn der hl. Fastenzeit ein freies Hirtenwort an Euch richten. Die Schrecken des Jahres 1945 sind vorüber. So grüße ich Euch denn mit dem heiligen bischöflichen Gruß: Der Friede sei mit Euch! Ich grüße Euch alle, die Ihr noch bewahrt geblieben seid von dem Unheil der Bomben und dem Hagel der feindlichen Geschosse, und rufe Euch die Worte des Propheten Jeremias zu: „Barmherzigkeit Gottes, dass wir nicht zugrunde gegangen sind!“ (Klagel.3,22) Ich grüße in Wehmut alle, die ihre Lieben, ihre Habe, ihre Wohnung verloren haben oder in banger Sorge sind um die, die noch nicht vom Kriegsschauplatz wieder heimgekehrt sind. Ich grüße in inniger Teilnahme alle, die in diesen Jahren der Unterjochung und bis in die jüngste Zeit so viel persönliches Leid aller Art oder so bittere Not erdulden mussten und noch erdulden müssen.
Ich grüße mit Dank gegen Gott alle Heimkehrer, die nun ihren Lieben glücklich wiedergegeben sind, und hoffe, dass auch alle anderen, die noch als Gefangene in der Fremde zurückgehalten sind, recht bald in die geliebte Heimat zurückkehren dürfen! Aller aber, die der Allmächtige zur Heimkehr in die ewige Heimat abberufen hat, wollen wir stets in unseren Gebeten eingedenk sein.
Das Jahr 1946 soll im Zeichen des W i e d e r a u f b a u e s stehen. Die schrecklichen Schäden, die uns dieser unselige zweite Weltkrieg gebracht hat, müssen nach Möglichkeit beseitigt und ausgebessert werden. Aber der Nazismus hat unserem Volk auch schwere geistige, seelische, moralische Verwüstungen zugefügt, besonders im Glaubensleben, im Bereich der Ehe, der Familie und der Erziehung der Jugend. Auch hier müssen wir den Schutt wegräumen und neu aufbauen. Das ist nicht nur die dringende Aufgabe der Seelsorge, sondern auch der K a t h o l i s c h e n A k t i o n. Über diese möchte ich zunächst einiges sagen.
Was ist die Katholische Aktion?
Sie ist nach Pius XI. die Teilnahme der L a i e n am hierarchischen Apostolat der Kirche oder nach Pius XII. (Rundschreiben "Summi Pontificatus" vom 20. Oktober 1939) "eine einsatzbereite Front katholischer Männer und Frauen, Jungmänner und Jungfrauen, die dem Ruf des obersten Hirten folgend, in Unterordnung unter die Bischöfe, diesem Apostolat die ganze Glut ihres Herzens widmet und sich abmüht, den Massenabfall von Christus in eine Massenheimkehr zu Christus zu wandeln". Sie ist also die Mitarbeit der Laien mit dem Priester „in allen Klassen, Berufsschichten und Gruppen“, um den katholischen Geist in allen Menschen lebendig zu machen. In unserer Heimat hatten wir die Katholische Aktion schon einige Jahre ausgebaut, und sie arbeitete bereits mit gutem Erfolg, als im Jahre 1938 der Einbruch des Nazismus auch dieses schöne Werk zerschlug. Nun haben wir es wieder auferweckt und wollen es zeitgerecht formen.
Ich richte an Euch, meine lieben Katholiken in Stadt und Land, die herzliche Bitte: Schließt Euch der Katholischen Aktion fest und treu an und in ihr zusammen! Die P f a r r e muss die Grundlage für sie bilden, für Ihren Aufbau, und zwar in den Naturständen: Männer, Frauen, männliche und weibliche Jugend. Aus den Vertretern der Naturstände schafft dann der Pfarrer den P f a r r b e i r a t, der ihm in allen Fragen der Tätigkeit der Katholischen Aktion zur Seite steht. Ihr müsst alle Laienapostel werden! Und in jeder Pfarre muss ein P f a r r h e i m erstehen. Aber der geistige Mittelpunkt der Katholischen Aktion muss der Opferaltar sein!
Besondere Bedeutung der Familie
Bei der Förderung dieses heute so wichtigen Laienapostolates kommt der Familie eine besondere Bedeutung zu. „Der Geist der Familie“, sagt unser Hl. Vater, ,,ist für den Geist des jungen Geschlechtes entscheidend. Wo die Kirchen geschlossen werden, wo von den Wänden der Schulen das Kreuz entfernt wird, bleibt die Familie der providentielle Zufluchtsort christlicher Glaubensgesinnung."
Liebe Katholiken! Lasst mich heute ein ernstes Wort über Ehe und Familie zu Euch sprechen. Das Menschengeschlecht erneuert sich immer wieder aus dem Schoß der Familie. Gott hat die Ehe und Familie in erster Linie für die Weckung und Entfaltung neuen Menschenlebens bestimmt. Darum ist dieser der Ehe von Gott gegebene Zweck heilig und wir sollen an dieses Geheimnis des Lebens und der Lebensspendung nur mit Ehrfurcht denken.
Gott, das wesenhafte Leben, fruchtbar in der Zeugung des Sohnes durch den Vater und im Ausgang des Heiligen Geistes vom Vater und Sohn, Gott die unerschöpfliche Quelle allen Lebens, wollte auch im Menschengeschlecht eine Quelle steten geschöpflichen Lebens erschließen. Er wollte, sagt der hl. Augustinus, Söhne haben, die ihm ähnlich wären. Diese Ähnlichkeit bezieht sich auf die unsterbliche, mit Verstand und freiem Willen ausgestattete Seele, weit mehr aber noch auf die durch die heiligmachende Gnade bewirkte übernatürliche Ähnlichkeit des Menschen mit Gott als sein Kind. Aber diese Gottähnlichkeit sollte auch in der Weitergabe des natürlichen und übernatürlichen Lebens bestehen. Jede neue Menschenseele, die aus Gottes Schöpferhand hervorging, sollte auch die Gotteskindschaft erhalten. Die Verwirklichung dieses Planes knüpfte Gott an die freie Entscheidung des Menschen. Er unterwarf das erste Menschenpaar einer Prüfung des Gehorsams. Es bestand die Prüfung nicht.
Aber Gottes Barmherzigkeit erfand einen Wiederherstellungsplan. Des Vaters ewiger Sohn wurde als Gottmensch durch eine menschliche sündenlose Mutter ein Kind der sündigen Menschheitsfamilie. Er stellte durch seinen Tod die zerstörte Ordnung wieder her und verwirklichte so den Plan einer Gottesfamilie auf Erden. Die von ihm gegründete Kirche kann im Sakrament der Taufe Gotteskinder erzeugen, das Sakrament der Ehe soll die Erzeuger des irdischen, die Priesterweihe die Erzeuger des göttlichen Lebens bereitstellen.
Ehe und Familie als eine Einrichtung Gottes
So sieht der Glaube Ehe und Familie als eine Einrichtung Gottes. Gott ist es, der den Leib des Menschen gebildet hat; der Mensch soll ihn verstehen, heilig halten und nützen nach dem Sinn und Willen Gottes. Der Leib und alle seine Glieder sind Gottes Werk und Gottes Gabe und haben nichts Unsittliches an sich. Erst der Missbrauch dessen, was Gott Gutes gegeben hat, führt zur Unsittlichkeit, nicht die Gottesgabe selbst. Aber es ist auch sehr zu beachten, dass die Erbsünde in uns den bösen Trieb hinterlassen hat, vor dem wir auf der Hut sein müssen. Denken wir an das Dichterwort: Wohltätig ist des Feuers Macht, wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht.
Wie zum Priestertum, gehört auch zum Eintritt in die Familie ein Ruf von Gott. Daher müssen die jungen Menschen, die als Gehilfen Gottes in die Werkstatt des Lebens eintreten wollen, mit sich und vor Gott überlegen, ob sie dazu berufen sind. Der Eheberuf setzt natürliche und sittliche, leibliche und seelische Tauglichkeit voraus und erfordert die rechte Absicht: Die Familie verlangt von allen Beteiligten stets ganze Hingabe und ganze Arbeit, sie fordert wirkliche Liebe und Opfer. Bursche und Mädel sollen sich, wenn die Liebe an sie herantritt, nicht nur einmal die ernste Mahnung vor Augen halten: Lerne warten um reif zu sein! Lerne dich beherrschen, um frei zu sein! Lerne sammeln, um reich zu sein!
Die Bedeutung von Vater und Mutter
Werkführer in der Werkstatt des Lebens ist der Vater. Jede Vaterschaft kommt von Gott. Gott der Herr stellt den Mann in die Werkstatt des Lebens und gibt ihm dort die Aufgabe, im Kreis einer Familie neues Leben zu wecken, zu behüten, zu bilden und zu entfalten. Kolping sagt trefflich; „Der Mann ist es, der der Familie das Dasein gibt gleichsam der irdische Quell des Lebens und deshalb der Liebe. Darum ist der Vater im tiefsten Sinn des Wortes recht eigentlich Stellvertreter Gottes im Kreise der Seinen.“ Aber diese Auszeichnung ist auch mit einer großen Verantwortung verbunden: mit dem Leben gibt der Vater auch Erbanlagen guter oder schlimmer Art weiter und kann für ungezählte Generationen Ursache von Glück oder Unheil sein. Dem Vater ziemt echte, in Gott verankerte, starke und opferfreudige Vaterliebe, männliche Festigkeit und ausdauernde Schaffensfreudigkeit. Er ist der Priester in der Familie.
Die Mutter ist die Meisterin in der Werkstatt des Lebens. Darin ist sie die Lebensträgerin. An dem Schöpfungswunder in der Ehe haben Vater und Mutter gleichen Anteil beide geben dem Kind ihre Erbanlagen mit ins Leben. An jeder Menschwerdung ist Gott selbst unmittelbar durch die Erschaffung der Menschenseele beteiligt. So ist jedes Menschenkindlein ein Geschenk und Pfand dar Liebe Gottes und die Mutterliebe ist deren Abglanz und Ausstrahlung. Wie schwer versündigt sich aber die Mutter, wenn durch ihre Schuld das ungeborene Kindlein das Leben verliert und, weil nicht getauft, nicht zur Anschauung Gottes gelangt! - Wie erhaben ist der Beruf der Mutter, wie ehrwürdig und rührend in Ihrem Charakter der Liebe der Opferwilligkeit und des liebenden Sorgens und Leidens! Seine Vollendung erreicht er in der Kirche und in der jungfräulichen Mutter unter dem Kreuze. Aber welche Verantwortung ist auch mit der Mutterschaft verbunden! Wie sorgfältig sollen sich beide junge Menschen auf diese Aufgaben vorbereiten! Wie notwendig sind für sie die Gnaden des Ehesakramentes, das sie sich gegenseitig spenden! Die Ehe ist ein Bund fürs Leben und darum nach dem ausdrücklichen Willen des Herrn unauflöslich.
Von der Unauflösölichkeit der Ehe
Die Ereignisse der letzten Jahre haben auch in so vielen Ehen und Familien schwere Verwüstungen angerichtet. Die lange Trennung der Ehegatten voneinander hat oft die Liebe und Treue erkalten lassen, Leichtsinn und Genusssucht haben der Unmoral Tür und Tor geöffnet. Bei vielen Eheleuten fehlt es an Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein, sie scheuen die Opfer und gefährden dadurch den Bestand der Ehe. Wir müssen immer wieder auf den großen Leichtsinn hinweisen, der diese beklagenswerten unzähligen Ehescheidungen verursacht, zu dem unheilvollen Ehewirrwarr unserer Tage und zur Wiederverheiratung Geschiedener führt. Alle diese werden sachfällig vor dem Wort des Heilandes (Mt. 19, 11): "Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, bricht die Ehe, und wer eine vom Mann Geschiedene heiratet, bricht die Ehe.“ - Wer gegen die Gesetze der Kirche eine neue Ehe eingeht, den muss die Kirche als Wortbrüchigen betrachten, dem sie die Sakramente und das kirchliche Begräbnis zu verweigern hat, wenn er sich nicht vor dem Tode mit der Kirche wieder aussöhnt.
Denn sie kann das Grundgesetz der Unauflöslichkeit der Ehe niemals preisgeben: "Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen" (Mt.19, 6). Jede geschiedene Ehe ist ein Unglück für die Kinder, ein Fluch für die Geschiedenen und eine Gefahr für deren Seelenheil. Es gibt nur ein Heilmittel dagegen: Zurück zur Religion, zu Gott, zu ernster christlicher Lebensauffassung! Die Familie muss wieder eine Stätte lebendigen Glaubens werden. Wenn die Eheleute lebendige Katholiken sind und ihren Glauben nach den Lehren der Kirche einrichten, werden sie auch ihre am Traualtar beschworenen Pflichten treu erfüllen können.
Unser christlicher Glaube muss sich in der Familie im Gebet und in der Erfüllung der religiösen Pflichten äußern. Ich richte neuerdings an alle Eltern die ernste Mahnung: Kehrt zur alten guten Sitte zurück, zum gemeinsamen Familiengebet am Morgen und Abend oder wenigstens zum gemeinsamen Tischgebet! Und haltet den Sonntag heilig in der Familie durch die Feier der hl. Messe und durch Feiertagsruhe! Empfangt oft die hl. Sakramente!
Meine lieben Diözesanen! Von der Gesundung des Ehelebens, von der Erneuerung der Familie im Geiste Christi hängt der Bestand der Gesellschaft und das Wohl des Vaterlandes ab. Wir wollen und müssen das Haus unserer Heimat wieder aufbauen. Darum bitte ich Euch: Lasst in Euren Familien wieder mehr den Geist lebendigen Glaubens und christlicher Sitte, des Gebetes und Opfers erstehen und dient einander in der Liebe Christi! Helft auch kräftig den armen Bewohnern der Notstandsgebiete im Geiste der christliehen Karitas! Werdet ihnen gegenüber im Gutestun nicht müde! Gott wird es Euch reichlich vergelten!
Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Hl. Geist. Amen.
Gegeben zu Wien am Sonntag Septuagesima 1946
+ Theodor Kardinal Innitzer,
Erzbischof von Wien
und
Apostolischer Administrator
des Burgenlandes
Autor:Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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