Jänner 1996: Interview mit Erzbischof Schönborn für Radio Vatikan
"Ich will die katholische Mitte stärken"

P. Christoph Schönborn OP, im Bild am 10. Jänner 1971 bei seiner Primiz in Schruns in Vorarlberg | Foto: Foto Wolf
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  • P. Christoph Schönborn OP, im Bild am 10. Jänner 1971 bei seiner Primiz in Schruns in Vorarlberg
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Radio Vatikan hat am 2. Jänner 1996 mit dem Wiener Erzbischof Dr. Christoph Schönborn ein Interview gesendet, in dem er über seine Berufung zum Priester und Dominikaner, über seine wissenschaftliche Tätigkeit, über seine Beziehung zur heiligen Theresia von Lisieux, seine Arbeit am Katechismus und sein Amt als Erzbischof von Wien spricht.

Herr Erzbischof, Sie kommen aus einer altösterreichischen Adelsfamilie, die in ihren Reihen einige Bischöfe hatte. War Ihnen die Berufung zum Priestertum sozusagen in die Wiege gelegt?
     Schönborn: Ich stamme aus einer alten Adelsfamilie, das stimmt, aber die Familie war vor allem in Deutschland beheimatet, sie stammt ursprünglich aus der Gegend um Limburg und aus dem Fränkischen, und ein Teil der Familie ist im letzten Jahrhundert nach Böhmen ausgewandert. Aus diesem Teil der Familie stamme ich. Und es stimmt auch, dass es in der Geschichte der Familie bereits einige Bischöfe gegeben hat, ich bin, wenn ich richtig gezählt habe, der achte.
      Aber mein eigener Weg zum Priestertum ist eigentlich gar nicht über diese Familientradition gegangen. Ich habe von zu Hause in diese Richtung keine bewusste Vorprägung bekommen, sondern es war eine sehr persönliche Entdeckung, vor allem durch einen guten Religionslehrer, dass das der Weg ist, zu dem ich berufen bin. Und diese persönliche Berufung hat sich durch die Jugend hin durchgehalten, sicher mit manchen Krisen. Aber es ist dann tatsächlich mein Weg geworden.

Was hat Sie ganz besonders geprägt. Waren das eher Personen? Oder können sie auch Bücher nennen, die sie besonders beeindruckten?
     Es waren vor allem Personen - in Gestalt meines Religionslehrers -, dann war es auch sehr bald die Kirche selbst, das Kirchengebäude, das Ministrieren, die Liturgie. Lektüren sind dann erst später dazu gekommen, als ich schon in der Adoleszenz war. Das waren Bücher von Chesterton, katholische Romane von Franzosen, von Mauriac, Bruce Murshall - was in den fünfziger Jahren an katholischer Literatur verfügbar war. Sehr stark prägend war auch die französische spirituelle Literatur, die damals auf Deutsch übersetzt wurde, und in der ich eine lebendige Geistigkeit entdeckt habe, die uns vielleicht nicht so präsent war.

Sie sprachen soeben von Frankreich, da komme ich gleich auf Theresia von Lisieux, die Sie, wie Sie selber sagen, sehr beeinflusst hat. Ihr Bild hängt seit einigen Wochen auch im Stephansdom. Was bedeutet diese Spiritualität für Sie persönlich, wie können Sie diese auch weitergeben?
     Ich muss sagen, dass ich die kleine heilige Theresia erst recht spät entdeckt habe. Erst als Professor in der Schweiz habe ich durch Lektüren und dann vor allem durch Begegnungen mit Menschen immer wieder etwas von ihrer Spiritualität kennengelernt. Und dann Lisieux selber - die Begegnung mit dem Weihbischof von Lisieux, mit dem ich seit Jahren befreundet bin, Bischof Guy Gaucher. Er ist Kenner der kleinen heiligen Theresia. So sind allmählich die Verehrung und die Faszination gewachsen.
     Und was mich nach wie vor am meisten an ihr fasziniert, ist ihre Universalität, dass man sie wirklich überall in der Welt findet. Sie spricht offensichtlich Menschen aller Kulturen an, auch außerhalb der Grenzen des Christentums. Es gibt in Kairo eine Kirche, in der Theresia verehrt wird, zu der sehr viele Moslems beten kommen. Das ist ein Phänomen, das man wohl nur aus der offensichtlich sehr starken Wirksamkeit vom Himmel her erklären kann. Theresia hat ja gesagt: „Ich werde meinen Himmel damit verbringen, auf Erden Gutes zu tun."

Herr Erzbischof, noch einmal zurück zu Ihrer Entscheidung. Sie haben sich entschlossen, Dominikaner zu werden. Warum haben Sie gerade diesen Predigerorden ausgesucht?
     Den Dominikanern bin ich in meiner Gymnasialzeit begegnet. Unser Gymnasium in Bludenz war in einem Dominikanerinnenkloster untergebracht, in einem Flügel des sehr alten Klosters St. Peter, und ich habe dort die Schwestern gesehen, wenn sie in der Landwirtschaft gearbeitet haben. Ich wusste gar nichts Näheres über den heiligen Dominikus. Aber eines Tages bin ich dort einem Dominikanerpater begegnet, der mich unter den vielen hunderten Schülern, die auf dem Schulhof waren, angesprochen hat. Und es ist dann eine Freundschaft aus dieser Begegnung geworden. Er hat mir natürlich vom Dominikanerorden erzählt, vor allem vom hl. Thomas v. Aquin. Aber was er nicht wissen konnte ist, dass ich selber die Liebe zum Orden entdeckt habe. Er war dann, als ich ihm nach der Matura gesagt habe, ich trete jetzt bei den Dominikanern ein, ganz überrascht.
      Was ich durch ihn gelernt habe, was ich durch ihn entdeckt habe, war eine ganz besondere Verbindung, die mir bis heute sehr wichtig ist: die von Wissenschaft und Frömmigkeit. Von einer ganz, ich möchte fast sagen, kindlichen Frömmigkeit, die sich besonders in der Marienverehrung ausdrückt. lm Dominikanerorden wird Maria sehr verehrt - und auf der anderen Seite gibt es die hohe Wissenschaftlichkeit, die durch den hl. Thomas v. Aquin dargestellt wird. Dann ist immer deutlicher die Entscheidung in mir gereift, dass das der Weg ist, den ich gehen möchte. So bin ich nach der Matura bei den Dominikanern eingetreten.

Sie haben jetzt gerade die Wissenschaft erwähnt. Sie haben vorhin kurz einfließen lassen, dass Sie Professor in der Schweiz waren. Waren Sie mit Leidenschaft wissenschaftlich tätig? Geht Ihnen das ab?
      Ich hatte nie daran gedacht, in die Lehre und in die Forschung zu gehen. Ich habe wohl am Ende meines Studiums auch promoviert, ich habe mich auch habilitiert, wollte dann ab er in die Seelsorge und war sehr gerne in diesen ersten Priesterjahren Studentenseelsorger in Graz. Und dann hieß es ein es Tages, eine Professur in Fribourg, in der Schweiz ist frei. Man hat mich gefragt, ob ich bereit wäre. Da ich beide Sprachen konnte, Deutsch und Französisch, war das eine gute Basis, und so habe ich zugesagt.
      Ich wurde dann auch von der Fakultät berufen. Ich war überrascht. Dass man an eine wissenschaftliche Laufbahn für mich denkt, ob wohl es mich durchaus interessiert hat - ich habe sehr gerne dissertiert, habe über die Kirchenväter gearbeitet. Aber ich habe mich selber eher in Richtung Seelsorge gesehen und nicht in Richtung Wissenschaft.
      Dann war ich fünfzehn Jahre lang Professor für Dogmatik in Fribourg, und ich muss sagen, ich bin es je länger, je mehr mit Leidenschaft gewesen, obwohl ich mich persönlich nicht als einen großen Intellektuellen betrachte. Ich habe wohl die wissenschaftliche Arbeit gerne getan, auch einiges geschrieben. Vor allem aber habe ich die Lehre, den Unterricht, das Arbeiten mit Studenten gerne gehabt und auch einen recht großen Studentenkreis von Doktoranden und Diplomanden. Das war ein Aspekt meiner Tätigkeit, der mir wirklich sehr viel Freude gemacht hat, und das geht mir auch heute etwas ab. Aber ich bin eben nach diesen fünfzehn Jahren der akademischen Tätigkeit in die Seelsorge zurückgekehrt.

Sie waren auch ganz wesentlich am Entstehen des Weltkatechismus beteiligt, und Sie waren in Rom tätig als Sekretär der Katechismus-Kommission. Dieser Kontakt mit dem Zentrum, mit Bischöfen, mit Leuten aus der ganzen Welt: Was hat das für Sie gebracht?

      Es war schon meine Ausbildung in Frankreich eine Öffnung über die eigenen Grenzen hinaus, das Studium in Deutschland vor und nach der Zeit in Frankreich, das Leben in der Schweiz. All das hat sicher eine gewisse Internationalisierung mit sich gebracht. Aber sicher war die Aufgabe, Sekretär der Katechismus- Kommission zu sein, etwas ganz Neues, eine neue Dimension. Denn da ging es Ja darum, den katholischen Glauben in sein er Ganzheit, in seiner umfassenden Vollständigkeit, in einem gemeinsamen, für die ganze Kirche verbindlichen Glaubensbuch darzustellen. Durch diese Arbeit habe ich auch tatsächlich sehr viele Bischöfe kennengelernt – entweder durch die schriftlichen Stellungnahmen oder durch persönliche Begegnungen. Ich konnte auch in verschiedenen Bischofskonferenzen den Katechismus vorstellen, bzw. seine Entwicklung besprechen. So kam ich nach Amerika, nach Indien, zu verschiedenen europäischen Bischofskonferenzen. Das war und ist sicher eine ganz wichtige Erfahrung der Weltkirche.

Sie wurden dann - ich glaube, man kann das wirklich so sagen - sehr jung Weihbischof, später Koadjutor mit Nachfolgerecht, Erzbischof. Beobachter meinen mitunter, das sei vorbereitet gewesen. Kam das für Sie im Endeffekt überraschend, oder war das etwas, das sich abzeichnete?

     Die Medien haben immer wieder meinen Namen genannt im Zusammenhang mit Bischofsernennungen. Ich war eigentlich fast sicher, dass ich davon verschont bleibe. Als ich dann wirklich von Heiligen Vater zum Weihbischof von Wien ernannt wurde, kam es sehr überraschend. Und dann kam die Ernennung zum Koadjutor in diesem Jahr wieder überraschend, hier auch in einer eher schwierigen und schmerzlichen Situation. Es war sicher nicht auszuschließen, dass ein Weihbischof auch Erzbischof von Wien wird, gerechnet habe ich nicht damit. Ich hätte mir sehr gut andere vorstellen können und bin auch sicher, dass es sehr gute andere Kandidaten gäbe.

Nun stehen Sie an der Spitze einer Erzdiözese, die eine der größten Diözesen im deutschsprachigen Raum ist. Damit kommen Sie logischerweise mit Problemen wie Verwaltung und mit Politik in Berührung. Wie leben Sie das?

      Einfach, wie ich im Alltag oft sage, eines nach dem anderen. Es ist ein Dienst, der sicher viele neue Aspekte für mich beinhaltet: die starke Dimension der Öffentlichkeit, dann der administrative Teil, wobei ich sagen muss, dass ich hier sehr gut entlastet bin – wir haben wirklich fähige Kräfte, die die wichtigsten Abteilungen leiten, und gute Mitarbeiter. Und es bleibt doch – sicher nicht genügend – Zeit, Kontakt zu halten mit den Priestern und mit Menschen, die den Kontakt mit dem Bischof suchen. Ich glaube, dieser persönliche Aspekt im Bischofsamt ist ganz, ganz wichtig.

Sie haben die Erzdiözese Wien, aber vielleicht auch die Kirche in Österreich insgesamt in einer nicht einfachen Situation vorgefunden. Haben Sie persönliche Ziele, Vorstellungen, was Sie verändern möchten?

      Das mit dem Verändern ist so eine Sache. Ich glaube, sich selber zu verändern ist schon schwer genug, und man sollte nicht von vornherein in eine Situation gehen mit dem Wunsch, alles zu verändern. Das Wichtigste wird einem geschenkt. Und was ich als großes Geschenk empfinde, ist die Erfahrung der inneren Einheit trotz alles Schwierigkeiten, die es gibt und gegeben hat und wahrscheinlich auch geben wird.
      Ich freue mich darüber, das, es in der Kirche sehr viel mehr Gemeinsames gibt, als in der Öffentlichkeit erscheint. Man hat den Eindruck durch die Medienechos, dass in der Kirche vor allem der Konflikt vorherrscht, und dass es vor allem bei den Streitereien um Strukturfragen geht. Ich stelle im täglichen Leben der Diözese fest, dass es unglaublich vil gutes gläubiges Leben gibt. Und dazu zu ermutigen, dafür dankbar zu sein, darin sehe ich meine erste Aufgabe. Das dankbare Wahrnehmen und Annehmen von dem, was an Gutem ist, ist bereits eine Orientierung.
      Ich glaube, dass es im Moment nicht darum geht, das Trennende zu betonen, das es sicher auch gibt, oder sagen wir, das „Konfliktuelle“, sondern das zu stärken, was uns gemeinsam ist: den katholischen Boden, die katholische Mitte.

Das Gespräch führte Mathilde Schwabeneder

Autor:

Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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