Seit 70 Jahren erklingt die neue Pummerin
Die stärkste Stimme Österreichs

Dompfarrer Toni Faber mit der heute viertgrößten frei schwingenden Glocke Europas. | Foto: Lisa-Maria Trauer
8Bilder
  • Dompfarrer Toni Faber mit der heute viertgrößten frei schwingenden Glocke Europas.
  • Foto: Lisa-Maria Trauer
  • hochgeladen von Der SONNTAG Redaktion

Am 26. April 1952 ist die neugegossene Pummerin in Wien angekommen. Die Worte von Dompfarrer Dorr zu ihrer Weihe wurden dabei zum Sinnbild für den Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg: „Friede sei ihr erst Geläut!“ Die größte Glocke und stärkste Stimme des Landes ist bis heute Symbol österreichischer Identität.

Auf einem von zwei Zugmaschinen gezogenen Spezial- tieflader trat die Glocke nach dem 2. Guss von Linz aus ihre Reise nach Wien an.

Auf der Linzer Promenade wird Ende April 1952 die im nahen St. Florian gegossene neue Pummerin verabschiedet und beginnt festlich geschmückt auf einem Tieflader ihren Triumphzug nach Wien. Tausende Menschen säumen unterwegs den Zug. Bei der Überquerung der Alliiertengrenze salutieren auch die sowjetischen Besatzungssoldaten und lassen die künftige „Stimme Österreichs“ ohne die üblichen Formalitäten passieren. Zehntausende Wienerinnen und Wiener nehmen die neue Pummerin am Nachmittag des 26. April auf dem Stephansplatz in Empfang.

Die Historikerin Annemarie Fenzl erinnert sich bis heute an diesen historischen Tag, den sie mit ihrer Mutter auf der äußeren Mariahilfer Straße miterlebt hat: „Es war ein Riesenlärm. Die Pummerin kam vom Westen über den Riederberg und Schönbrunn nach Wien herein und fuhr an uns vorbei. Sie stand auf dem Tieflader, hat schön geglänzt mit einem Blumenkranz rundherum. Und die Leute haben Blumen auf sie geworfen.“
Das Gespräch mit Dr. Annemarie Fenzl finden Sie auch auf dem Youtube-Kanal der Erzdiözese Wien:



Ein Sinnbild für den Neubeginn

Erstmals seit den Jahren des Anschlusses an Hitlerdeutschland und der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wird so etwas wie eine neue österreichische Identität spürbar. Die Glocke wird zum Sinnbild von Neubeginn, Wiederaufbau und vor allem Frieden.

Weil der Nordturm nach dem Dombrand 1945 noch nicht wieder fertig aufgebaut war, musste die Pummerin mehr als fünf Jahre lang im Hof der Dombauhütte auf einem Gerüst ausharren.

Wegen der statischen Probleme, die die alte Glocke verursacht hatte, und einer weiteren Schwächung des Südturms durch die Brandhitze von 1945 – vor allem im Bereich der Glockenstube – wurde als Platz der neuen Pummerin der niedrigere und breitere Nordturm bestimmt. Da jener nach dem Brand des Stephansdoms Schaden genommen hatte und zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder aufgebaut war, wurde sie in einen provisorischen Glockenstuhl aus mit Stahlträgern verstärkten Holzgerüst gehängt, der sich im Hof der Dombauhütte Aufstellung befand. Am 27. April wurde sie beim Festgottesdienst zur Eröffnung des wiederhergestellten Chores zum ersten Mal geläutet.



„Friede sei ihr erst Geläut!“
Da die neue Pummerin zu groß war, musste sie vor dem Riesentor geweiht werden. Im Bild der damalige Domvikar und spätere Dompfarrer Karl Hugel, der für die liturgische Waschung der Glocke auf den Tieflader kletterte.

So formuliert auch Dompfarrer Karl Raphael Dorr unmittelbar vor dem ersten Einsatz der neuen Glocke, die zuvor von Kardinal Theodor Innitzer im Rahmen der feierlichen Wiedereröffnung des Stephansdomes am 27. April geweiht worden war. Zeitgleich mit der Pummerin läuten zum Zeichen der Verbundenheit mit Österreich auch die Glocken der Petersbasilika in Rom.

Seit 1952 läutet die Pummerin vom ORF übertragen zu Silvester das neue Jahr ein. (Bei der Premiere vor dem Stephansdom brach beim zehnten Schlag allerdings der von der alten Glocke übernommene Klöppel. Die VÖEST spendete daraufhin einen neuen, der erst 2011 erneut getauscht wurde.) Ansonsten erklingt sie zu den kirchlichen Hochfesten, aber auch zu historischen Anlässen, etwa zur Wahl oder zum Tod eines Papstes. So erklang sie etwa bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955, anlässlich der Ermordung John F. Kennedys 1963 oder zuletzt anlässlich eines Friedensgebetes für die Ukraine. Das „Herz des Stephansdomes“ hat seit 1953 ein elektrisches Geläut - nach Umbau des Adlerturms wurde sie erst am 5. Oktober 1957 auf diesen gehoben und am 13. Oktober 1957 dort erstmals geläutet. - Zwei Tage davor wurde die Glocke in den Dom gebracht, wobei man beim Riesentor – wie auch bei der ersten Glocke – einen Teil der Seitensteine entfernen musste.
Mit ihren 21.383 Kilogramm und einer Höhe von 314 Zentimetern ist sie die größte Glocke Österreichs.
 

Einzug des neuen Festgeläutes des Stephansdomes - die größte der Glocken, die Pummerin, musste allerdings vor dem Riesentor warten.


Seit 2011 mit neuem Klöppel

Nach einer elektromechanischen Steuerung bekam die Pummerin im Jahr 2003 ein elektronisches Läutwerk, das mit den beiden Antriebsmotoren ein gleichmäßigeres Einschwingen der Glocke erlaubt und damit Glocke wie Glockengestühl weniger belastet. Es dauert genau 22 Sekunden, bis der erste Glockenschlag ertönt. 2010 wurde das Europäische Kompetenzzentrum für Glocken ProBell an der Hochschule Kempten beauftragt, einen neuen Klöppel für die Pummerin zu konstruieren, da ein hohes Risiko für Ermüdungsrisse an der Glocke bestand. Ursache dafür war insbesondere der mit 886 Kilogramm sehr schwere Klöppel mit ungünstigen dynamischen Eigenschaften. Der neue Klöppel, der seit 9. März 2011 die Pummerin erklingen lässt, ist mit 613 Kilogramm etwa 30 % leichter als sein Vorgänger und läutet die Glocke deutlich schonender, ohne dabei die klangliche Anregung der Glocke zu vernachlässigen.



Die Mutter lebt in der Tochter weiter

Aus dem geborgenen Material der alten Pummerin, Teilen zweier ebenfalls abgestürzter Glocken aus dem Stephansdom und etwas Material aus den Beständen der Glockengießerei wurde im Jahre 1951 als Geschenk des Bundeslands Oberösterreich durch die Oberöster­reichische Glocken- und Metallgießerei in Sankt Florian eine neue gegossen. Die nötige Infrastruktur in der Gießerei (Gießgrube, Ofen) musste wegen der Dimensionen (314 cm Durchmesser, 294 cm Höhe) eigens errichtet werden. 1949 begann man mit dem Aufbau der Form.



Erst der zweite Guss gelang

Der erste Guss vor einem Publikum von etwa 600 Leuten am 26. Oktober 1950 misslang: Zehn Minuten nach dem Anstich gab ein Stützbalken der Verdämmung nach, die auf 1.300 °C erhitzte Glockenspeise floss aus und setzte die Zuschauertribüne in Brand. Das Feuer konnte aber in kurzer Zeit gelöscht werden. - Bis heute wird vermutet, dass der damalige oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleißner (ÖVP) sich für einen Guss noch im Herbst 1950 eingesetzt hatte, da er sich davon größere Chancen bei der bevorstehenden Bundespräsidentenwahl im Mai 1951 erhofft hatte, bei der er allerdings in der Stichwahl gegen Theodor Körner (SPÖ) unterlag.

Die reich geschmückte Pummerin bei der Ankunft in Wien.

Der zweite Guss wurde am 5. September 1951 von 10:21 Uhr bis 10:31 Uhr fertiggestellt, am 26. September war die vom Mantel befreite Glocke fertig und am 3. Dezember wurde die fertige Glocke abgenommen. Der oberösterreichische Bildhauer Franz Forster fertigte ihre Reliefs an. Sie zeigen Motive der alten Glocke: die Belagerung Wiens, den Brand des Stephansdoms 1945 und die Muttergottes.

Mit ihren insgesamt über 21 Tonnen ist sie nach der neuen 25 Tonnen schweren 2016 von der Glockengießerei Grassmayr für die rumänische Kathedrale in Bukarest gegossenen Glocke - siehe das Video vom Guss auf 3Sat - die heute die größte frei schwingende Glocke der Welt ist, der Petersglocke im Kölner Dom (24 t) und Maria Dolens im italienischen Rovereto (23 t), die viertgrößte Glocke West- und Mitteleuropas und die sechstgrößte frei schwingende Glocke der Welt.



1711: Die Geburt einer Glocke

Im Dezember 1710 erhielt der Stückgießer Johann Achamer von Kaiser Joseph I., der wenige Monate danach im April starb, den Auftrag, aus Beutekanonen der Zweiten Türkenbelagerung Wiens im Jahre 1683 eine Glocke zu gießen.

Die "Josefinische Glocke"

Der Guss des reich verzierten Klangkörpers erfolgte am 21. Juli 1711 in der Wendelstadt, heute der 7. Bezirk, und hatte ein Rohgewicht von knapp 17 Tonnen. Ihr Klang war etwa einen Halbton tiefer als jener der heutigen Pummerin. Bis ins 19. Jahrhundert hieß sie offiziell nach dem Stifter Josephinische Glocke, wurde aber bald von der Bevölkerung lautmalerisch wegen ihres tiefen Tones „Pummerin“ genannt.

Da die Glocke so groß war, dass sie nur durch ein einziges der Stadttore, jenes beim Roten Turm in der Gegend des heutigen Morzinplatzes passte, musste am Weg zum Dom ein Umweg über das Glacis rund um die halbe Stadt gemacht werden. Nach Pölzung und Abstützung der unterirdischen Gewölbe unter den Straßenzügen begann am 29. Oktober 1711 der Transport auf einem speziellen Wagen, der von 200 kräftigen Wienern gleichmäßig gezogen wurde und rund eine Woche dauerte. - Vom Plan, zum Transport Pferde zu verwenden, kam man ab, da man befürchtete, sie könnten den Wagen zu ruckartig bewegen und die Glocke gefährden. Am 6. November war man schließlich von der Donau­seite her beim Dom angekommen.

Am 15. Dezember des gleichen Jahres nahm Bischof Franz Ferdinand Freiherr von Rummel die Glockenweihe vor. Beim Versuch, sie in das Kirchenschiff zu ziehen, stieß man erneut auf Schwierigkeiten: Da der Wagen etwas breiter als die 3,2 Meter der Glocke war, die Breite des Domportals aber nur 2,4 m beträgt, mussten sowohl die Türpfosten als auch die innersten Gewände­säulen im unteren Bereich entfernt werden - was heute noch deutlich zu sehen ist. Ebenso wurde ein Teil aus dem Tympanon über dem Portal ausgeschnitten und wieder ersetzt werden, dessen Unterkante heute 4,4 m über dem Boden liegt. Vereinfacht könnte man deshalb sagen, die „gotische“ Christusfigur hat heute „barocke“ Füße.

Schließlich gelang es doch, die insgesamt mehr als 22 Tonnen schwere Glocke auf den Südturm aufzuziehen, wo sie fortan auf zwei Eichenbalken ruhte. Als Karl VI. nach seiner Kaiserkrönung am 26. Jänner 1712 feierlich in Wien einzog, erklang die Pummerin zum allerersten Mal, wobei aus statischen Gründen lediglich der 813 kg schwere Klöppel bewegt wurde. Trotzdem traten nach und nach Risse im Turm auf, weshalb sie nur selten zu hören war. Die „alte“ Pummerin sollte 233 Jahre lang, bis zum Dombrand am 12. April 1945, treu ergeben ihren Dienst versehen.
Autor:

Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ