Interview 2016 mit dem ältesten Schriftleiter der Wiener Kirchenzeitung
Alles nur ein Zufall?

Dr. Martin Riedlinger war ab 1949 Redakteur der Wiener Kirchenzeitung und von 1962 bis 1965 auch ihr Schriftleiter.  | Foto: Wolfgang Linhart
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  • Dr. Martin Riedlinger war ab 1949 Redakteur der Wiener Kirchenzeitung und von 1962 bis 1965 auch ihr Schriftleiter.
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Wir haben Dr. Martin Riedlinger, den ältesten noch lebenden Schriftleiter der Wiener Kirchenzeitung, der dieser Tage seinen 100. Geburtstag feiern darf, vor ein paar Jahren besucht. Damals war er mit seinen knapp 96 Jahren immer noch sehr aktiv. Am Computer schrieb er fallweise noch kurze Beiträge, beantwortet E-Mails oder betreute den „Hilfsfond der Neuen Bildpost“, den er seit 1972 verwaltet. - Anlass war damals der Amtsantritts des jüngsten SONNTAG-Chefredakteurs Michael Ausserer 2016.

Der Besuch bei Dr. Riedlinger, von 1962 bis 1965 Schriftleiter der Wiener KirchenZeitung (so nannte man damals den Chefredakteur) ist sowohl eine zeitliche wie örtliche Reise in die Vergangenheit. Nach vielen Jahren in Deutschland wohnt er mit seiner Frau Rosemarie wieder in der ehemaligen Wiener Wohnung im Schuberthaus auf der Seilerstätte, in dem die Päpstlichen Missionswerke ihre Büros haben. Schräg gegenüber und später im selben Haus war einst die Redaktion der Kirchenzeitung, bevor sie zur Druckerei Herold in die Strozzigasse in Wien 8 übersiedelte. „Heute kann ich auf ein sehr wechselvolles Leben zurückblicken und sagen, ich habe oft Glück gehabt“, meint Riedlinger lächelnd. „Aber vielleicht hat der liebe Gott auch etwas Bestimmtes mit mir vorgehabt“.

Ein Ungar bei den Redemptoristen

Riedlinger ist Donauschwabe – die Vorfahren kommen väterlicherseits aus Niedereschach im Schwarzwald und mütterlicherseits aus der Fuldauer Gegend. In Nagyvejke in Ungarn geboren absolvierte er dort die Volksschule und besuchte ab 1934 in Österreich das Gymnasium der Redemptoristen in Katzelsdorf bei Wiener Neustadt. „Doch nach der Unterstufe kam der Führer, alle kirchlichen Institutionen und Schulen wurden geschlossen. Meine Situation war schwierig, denn meine Eltern konnten mir einen weiteren Schulbesuch in Ungarn nicht bezahlen“, erzählt Riedlinger. Statt nach Ungarn fuhr er nach Wien, wurde von den Redemptoristen in der Marienpfarre Hernals „versteckt“ und besuchte zuerst das Gymnasium in der Maroltingergasse. Ich habe mich dort recht wohl gefühlt – aber dann kam der 8. Oktober 1938 …

Am nächsten Tag stand an der Tafel: Wir wollen unseren Bischof sehen – in Dachau! „Ich bin rausgegangen und habe das weggelöscht – aber mir war klar, hier kann ich nicht bleiben“. So wechselte er ins G1, das damals in der Schellinggasse untergebracht war und maturierte dort 1942. Zur Wehrmacht wurde er danach nicht eingezogen, weil er als ungarischer Staatsbürger in Österreich nirgendwo aufschien. So begann er an der Universität Wien das Lehramtsstudium in Geschichte, Geografie und Deutsch. Nach drei Semester verweigerte man dem Ungarn allerdings das weitere Studium – außer, er hätte sich freiwillig zur SS gemeldet. „Ein Bruder ist ein Jahr zuvor in Ungarn gestorben, mein zweiter Bruder war gerade mit der ungarischen Armee in der Ukraine – da kann ich mich doch nicht zur SS melden, was hätte ich meinen Eltern sagen sollen“, erzählt er nachdenklich. Stattdessen arbeitete er einige Monate in der Eterna-Schuhfabrik – ein Job, den er bekam, weil er dem Sohn des Generaldirektors Nachhilfe gegeben hatte. Doch er wollte weiter studieren. Ein ungarischstämmiger Kommilitone, den er bei der Studentenverbindung Silesia kennengelernt hatte, vermittelte ihm ein Stipendium für weitere drei Semester an der Universität in Berlin.

Zu Fuß von Berlin nach Wien

Sonderausgabe des Wiener Kirchenblattes 1962 zur Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils

Nach Kriegsende kehrte er großteils zu Fuß und auf abenteuerliche Weise nach Wien zurück, wo er erneut Aufnahme bei den Redemtoristen fand und sein Studium 1948 abschloss. „Damals hatte ich über den Orden bereits Prälat Fried, den damaligen Chef der KirchenZeitung, kennengelernt und für ihn auch schon den einen oder anderen Beitrag geschrieben. Mit dessen Hilfe erhielt er eine Anstellung im Handelsministerium. „Aber als ich den Bürobetrieb dort erlebt habe, war ich enttäuscht. Ich habe immer gern geschrieben und so blieb ich der KirchenZeitung weiter treu“. Gern erinnert er sich etwa eine große Reportage über die Kaisergruft bei den Kapuzinern, die damals auf großes Interesse stieß. Die Arbeit im Ministerium machte ihm aber keine Freude. „Ich war Journalist, ich wollte berichten und nicht nur im Büro sitzen“, erzählt Riedlinger. Als er das einmal Prälat Fried erzählte, meinte der: So komm halt zur Kirchenzeitung. „Am 14. Februar 1949 habe ich im Ministerium aufgehört und am nächsten Tag in der Redaktion angefangen“, erzählt er stolz.

Arbeit gab es ja genug

1964 erschien die Kirchenzeitung bereits im Großformat

„Am Anfang war ich für Reportagen, aber eigentlich für alles und jedes zuständig. Einen Sommer lang habe ich sogar Kathpress-Meldungen geschrieben. Zusammen mit Jaro Kaspar haben wir 20 Seiten im Kleinformat gestaltete. Die ersten zehn Jahre noch unter der Leitung von Prälat Jakob Fried, der 1959 in den Ruhestand geschickt wurde“. Ihm folgte der Geistliche Assistent der Katholischen Aktion und der Männerbewegung, Dr. Franz Gstaltmeyr. Als dieser jedoch 1961 von Kardinal König zum Pfarrer von Rudolfsheim ernannt wurde, war die Zeit reif für den ersten „weltlichen“ Schriftleiter der Kirchen-zeitung, „weil sonst war ja niemand da“, ergänzt Riedlinger. In dieser Zeit wurde aus dem „Kirchenblatt“ im Kleinformat eine großformatige Zeitung. „Damit soll die Kirchenzeitung das Gespräch mit der Welt in moderner Form eröffnen – angepasst an die Erneuerungsbestrebungen in der Kirche“, schrieb Kardinal König dazu 1964 in der ersten großformatigen Ausgabe. Auf die Frage, wie er als junger Redakteur die Kirchenführung erlebt hat, meint Riedlinger lächelnd: „Damals haben sich die Kardinäle, sowohl Innitzer wie später König, kaum für die Zeitung interessiert“.

Von Wien zur Neuen Bildpost

Doch Riedlinger schaute sich bereits nach „Alternativen“ um. „Ich war ohne mein Zutun bei einigen Amtsträgern in Ungnade gefallen, was die Arbeit erschwert hat. Als Journalist hat man ja Gelegenheit, mitunter auch hinter die Kulissen blicken zu können, was dem Gegenüber oft gar nicht recht ist. Man interviewt Persönlichkeiten, von denen man zuerst bestimmte Vorstellungen hat und ist dann enttäuscht, wenn man doch nur auf einen Menschen gestoßen ist“, sagt Riedlinger rückblickend. Eine Persönlichkeit, die den gebürtigen Ungar aber sehr beeindruckt hat, war Kardinal Jozsef Mindszenty, mit dem er 1956 in Budapest persönlich sprechen konnte.

Zwischen dem ältesten Schriftleiter der Kirchen- zeitung, Martin Riedlinger, und dem jüngsten Chef- redakteur des SONNTAG Michael Ausserer liegen genau 60 Jahre

„Beinahe wäre ich 1965 bei der amtlichen Wiener Zeitung gelandet“, erzählt er. „Da kam überraschend das Angebot, die mit 370.000 Exemplaren auflagenstärkste kirchliche Zeitung in Deutschland zu leiten. Im Vergleich dazu wurden von der Wiener Kirchenzeitung jede Woche nur etwas über 100.000 Stück gedruckt. So übersiedelte er nach Lippstadt und holte zwei Jahre später, nachdem sein Sohn in Wien die Volksschule abgeschlossen hatte, seine Familie nach. Mein Sohn ist heute Arzt in der Rudolfsstiftung in Wien und auch seine Tochter arbeitete im medizinischen Bereich.Bei der „Neuen Bildpost“ in Lippstadt in Ostwestfahlen ist er bis zu seiner Pension 1995 geblieben – und er arbeitet heute noch dafür. 17 Mal war er bereits in Rom, wie einige Fotos in seinem Arbeitszimmer beweisen. „Immer im Rahmen von Leserreisen – erstmals 1962, um direkt von der Eröffnung des Konzils zu berichten, später dann mit der Bildpost“, meint er schmunzelnd. Weitere Berichte vom Konzil hätten sie von den Kollegen aus Rom und der kathpress übernommen“.

Was über all die Jahre geblieben ist, ist seine Arbeit für das ,Hilfswerk der Neuen Bildpost‘. „Das haben wir 1972 aus steuerlichen Gründen eingerichtet, weil die Leser immer wieder für soziale Projekte Geld geschickt haben. Bis heute bin ich mit meinen 95 Jahren der Kassier des Hilfsfonds und seit 1972 sind so 70 – 80 Mio. Mark (heute wären das ca. 42 Mio. Euro) mit meiner Unterschrift verteilt worden“, erzählt er.
Warum er nach seiner Zeit bei der Bildpost wieder nach Wien zurückgekehrt ist? „Wien hat für mich immer eine spezielle Rolle gebildet – denn Wien hat mir die Welt eröffnet“, meint Riedlinger lächelnd.

Zeitungsgeschichte zum Nachlesen
Autor:

Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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