1971 in der Wiener Kirchenzeitung
10 Jahre „Funkstreife Gottes“
Heute ist der blaue Aufkleber mit der Aufschrift: "SOS - in Todesgefahr bitte einen Priester rufen" kaum mehr im Straßenverkehr zu sehen. Vor 50 Jahren war das noch ganz anders, wie eine Kirchenzeitungs-Reportage aus dem Jahr 1971 beweist!
Vor rund zehn Jahren, am 15. Februar 1961, begann Kaplan Todt seine Tätigkeit als Unfallseelsorger. In der heutigen Zeit, in der das Unfallrisiko auf allen Straßen unseres Landes durch die ständig steigende Motorisierung immer größer zu werden beginnt, gewinnt dieser Zweig der Seelsorge, der den Opfern oft den letzten Trost der Kirche zu bringen vermag, ebenfalls immer mehr an Bedeutung. Die Telefonnummern des Priesternotrufes (einst eine eigene Telefonnummer – heute werden die Anrufer unter 142 von der Telefonseelsorge weitergeleitet) garantieren dafür, dass ein Priester so schnell wie möglich die Unfallstelle erreicht.
Grauhaarig, mit Kurzhaarschnitt, etwas schläfrig aussehend und ein menschlicher Teil seines mit technischen Geräten angefüllten Arbeitszimmers: Das ist der erste Eindruck, den wir beim Besuch des Unfallseelsorgers in seinem Arbeitsraum erhielten. Hinter Joannes Todt ein Regal mit vielen Büchern, darunter Herolds Bundestelefon – und –adressbuch und als wichtigstes, ein roter Ordner mit den Verzeichnissen aller Pfarren aus den Diözesen Wien, St. Pölten und Eisenstadt, der kirchlichen Behörden, beratenden Stellen und aller Spitäler aus Wien und Niederösterreich. Ein Gewirr von technischen Geraten, Schaltern, Kontrolllampen, zwei Telefonapparate und dazwischen ein Durchschreibebuch, in dem, mit fortIaufenden Nummern versehen, die verschiedenen seelsorglichen Hilfeleistungen aufscheinen. Bei unserem Besuch am 2. Februar sind für das Jahr 1971 schon 105 „Fälle“ eingetragen.
Für das Jahr 1970 weist Kaplan Todts Durchschreibebuch 1228 Einsätze aus. Das sind freilich nicht bloß Unfälle. Da die „Rettung“ zunehmend auch klinisch Tote „mitnimmt“, wird es seltener möglich, den Verstorbenen auf der Straße priesterlichen Beistand zu leisten. Kaplan Todt verständigt in diesem Fall den Seelsorger des Krankenhauses, wohin der Patient gebracht wird. Dafür muss er dann gelegentlich den Spitalsseelsorger vertreten. In der Nacht zum 2. Februar rief ihn ein Krankenhaus, weil der zuständige Seelsorger nicht erreichbar war: ein Verkehrs- und ein Arbeitsunfall, beide mit tödlichem Ausgang.
Was machen Sie so im Laufe eines Tages?" fragt unser Berichterstatter. Mit mildem Lächeln wurde ihm geantwortet: „Sitzen und warten.“ Doch jeden Augenblick können Unfallmeldungen von Polizei oder Gendarmerie, von der Rettung, der Feuerwehr oder privaten Anrufern eintreffen. In diesem Augenblick muss Kaplan Todt blitzschnell entscheiden. Während des Tages verständigt er sofort einen Priester der Pfarre, die dem Unfallort am nächsten liegt, während der Nachtstunden zwischen 23 Uhr und 5 Uhr früh, macht er sich selbst auf den Weg, um dem Sterbenden die Sakramente zu bringen, denn, so erklärt der Unfallseelsorger, „meine Mitbrüder haben nach einem anstrengenden Tag in der Nacht auch das Recht auf möglichst ungestörte Ruhe“.
„Und was ist, wenn Sie unterwegs sind?" „In diesem Fall verweist ein Anrufbeantworter auf die Priestervermittlung in der Kanzlei des Orthopädischen Spitals, die durchgehend besetzt ist.
Es ist schwer, den Angehörigen den Tod eines Unfallopfers mitzuteilen
Eine aufreibende Tätigkeit für einen einzelnen Seelsorger du manchmal heißt es tagelang auf einen geregelten Schlaf zu verzichten. Der längste Einsatz dauerte einmal fünfmal 24 Stunden. „Doch das ist nicht des Schwerste“, erklärte der Kaplan. „Viel schwerer für mich ist es, den Angehörigen den Tod eines Unfallopfers mitteilen zu müssen. Das ist eines Aufgabe, die man mir stillschweigend überall dort überlässt, wo die Einsatzkommandos der Exekutive, der Feuerwehr und der Rettung vor der Majestät des Todes ihre Bemühungen einstellen müssen. Die Zusammenarbeit mit den Männern dieser Aufgabenbereiche ist übrigens hervorragend. Sie schätzen die Bemühungen der Kirche, und mit vielen von ihnen habe ich persönliche Freundschaften."
Aber nicht nur bei Verkehrs- und Arbeitsunfällen wird der Priesternotruf in Anspruch genommen. In erhöhtem Maße häufen sich auch die Fälle von Beratungen: „Was soll ich machen? Ein hochbetagter Verwandter von uns hat sich seit 30 Stunden eingesperrt und droht mit Selbstmord, falls wir die Tür aufbrechen", so fragte aufgeregt eine Stimme am Telefon. Während Kaplan Todt den Anrufer bittet, etwas zu warten, holt er am zweiten Telefonapparat von einem Fachmann Rat ein. „Für diese Beratungstätigkeit dürfte man nicht bloß Priester, sondern müsste mindestens auch Arzt und Jurist sein, müsste alle Enzykliken kennen, Verbindung zu den vielen Religionsgemeinschaften haben, die es gibt und auch solche kennen, die es noch nicht gibt. Viele Ratsuchende, vor allem jene, die in eine Pfarrkanzlei nicht leicht hineingingen, Rauschgiftsüchtige und so genanntes „menschliches Strandgut“ kommen oft persönlich zu mir, um sich Rat und Hilfe zu holen." Wir fragen: „Haben Sie nie Angst!“ „Nein, denn ich bin abgesichert. Wie, dürfen Sie nicht schreiben, denn der Wert eines Sicherungssystems liegt – wie es jüngst im Fernsehen hieß – ja darin, dass es nicht bekannt ist.
Die blaue SOS-Plakette zeigt, dass der Beistand eines Priesters gewünscht wird
Zurück zum Tod auf der Straße. „Wie weiß man, ob der Verletzte, der in den meisten Fällen nicht mehr sprechen kann, gläubig ist und den Beistand eines Priesters wünscht?" fragen wir. Darauf Kaplan Todt: „Immer mehr setzen sich die, von den kirchlichen Stellen Deutschlands ausgegangenen SOS-Plaketten durch, die auf blauem Grund ein weißes Kreuz zeigen und die Aufschrift: ,Bei Todesgefahr wünsche ich den Beistand eines katholischen Priesters‘ tragen. Nicht nur Autofahrer bringen sie - meist am Heckfenster ihres Wagens - an, sondern auch Fußgänger verwenden sie in steigendem Maße, um etwa in ihrer Brieftasche, in der sie ihre Personalpapiere tragen, mit dieser aufgeklebten Etikette auf ihre Bitte aufmerksam zu machen."
Noch immer aber haben viele Katholiken von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht. Vielleicht aus der Scheu heraus, sich mit diesem Zeichen an ihrem Wagen zu deklarieren. Aber schon morgen könnte es für sie zu spät sein. In den meisten Pfarrämtern, aber auch in den Dienststellen der Diözesen und im Zentrum des Apostolats, 1010 Wien Stephansplatz 6, sind diese Klebeplaketten zu haben.
„Sie sind doch auch unter der Bezeichnung ,Funkstreife Gottes‘ bekannt, Herr Kaplan? Wie ist es eigentlich dazu gekommen?“ „Dafür kann ich eigentlich gar nichts“, sagt Kaplan Todt. „Es war 1961, als bei einem Umfall ein Polizeibeamter den anwesenden Journalisten bei meinem Eintreffen erklärte: Da ist ja schon wieder unsere Funkstreife Gottes. Und da die Zeitungsleute bei ihren Meldungen für die Verbreitung dieses Ausspruches gesorgt haben, wurde ich sozusagen zum Funkstreifenbeamten unseres Herrn befördert“.
Mitten in unser Gespräch läutet das Telefon. „Schwerer Verkehrsunfall. Ecke X-Straße und Y-Straße mit einer Reihe von Schwerverletzten." Kaplan Todt packt seine Einsatztasche mit der Versehgarnitur, schaltet den automatischen Anrufbeantworter ein und ist schon unterwegs. Fast hätte er uns vergessen. Ein kurzer Händedruck und die „Funkstreife Gottes“ ist wieder unterwegs.
Die SOS-Action mit den blauen Aufklebern gibt es noch immer!
Anfang der 60er Jahre hatte der Jesuitenpater Johannes Leppich die Idee, die SOS-Aufkleber (weißes Kreuz auf hellblauem Grund) mit der Inschrift "SOS" in Umlauf zu bringen. Das Zeichen sollte signalisieren, dass derjenige, der es mit sich führt, darum bittet, dass in Todesgefahr ein katholischer Priester als Beistand gerufen wird. Mittels Erlass des BM für Inneres vom 22.04.1963 - wieder verlautbart Anfang 1992 – wurde die Polizei angewiesen, dieser Bitte entsprechend zu reagieren.
Im Laufe der Zeit gerieten die Aufkleber in Vergessenheit.
Aus diesem Grund gründeten am 31. Mai 1988 Katholiken der Pfarre Maria-Enzersdorf in Niederösterreich die SOS-Action International mit dem Ziel, die Idee des Priesternotrufs in Österreich, aber auch im benachbarten Ausland und weltweit wieder zu fördern. Bis September 2008 hat Pfarrer Heinrich Mansfeld die SOS-Action International geleitet. Nach seinem Tod 2008 wusste man aber nicht, wie es mit der SOS-Action weitergehen soll, da kaum jemand mit den Gegebenheiten vertraut war.
Pfarrer G.R. Bruno Layr hat dann den Vertrieb der SOS-Action bis Ende 2013 übernommen, um die SOS-Action weiterzuführen. Seit 1. Jänner 2014 hat Frau Brigitte Gith mit ihrer Firma in Brunn am Gebirge - im Einvernehmen mit Pfarrer Bruno Layr - die Leitung der SOS-Action übernommen.
Siehe auch den Bericht über diese Einrichtung aus dem Jahre 2015:
Notfallseelsorge: Da sein und zuhören
Notfallseelsorger Matthias Theil: Seelsorger sowie Psychologen tragen bei Einsätzen grüne T-Shirts. Grün steht für „Support“ (Unterstützung).
Autor:Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.