Corona-Krisenbewältigung
Wie wir diese Krise überstehen
Auch wenn die Corona-Maßnahmen schrittweise gelockert werden, fühlt sich unser Alltag weiterhin nicht nach Alltag an. Die soziale Isolation ist dabei natürlich ein Problem. Bei vielen kommen aber noch ganz andere Dinge dazu: massive existenzielle Ängste, Angst vor Jobverlust und der Verlust an Ausbildungsperspektiven.
Im Gespräch mit dem SONNTAG zeigt Psychotherapeutin und Coach Brigitte Ettl Wege auf, wie wir mit derart belastenden Situationen umgehen können, wie wir unverschuldete Krisen bewältigen und wie wir versuchen können, etwas Gutes zu finden, das uns trotz allem bleibt.
Unser Leben verändert sich gerade. Der Alltag wird anders, fühlt sich anders an, ist von anderen Überlegungen geprägt. Und auch wieder nicht. Vieles, das uns wichtig ist, bleibt ja. Muss bleiben, weil es Teil unseres Lebens ist. Geplant hat das alles keiner von uns. Schon gar nicht in dieser Art und Weise. Wer kann, versucht das Beste daraus zu machen. Versucht das Gute zu sehen oder sagen wir einmal besser: die Hoffnung.
Keine Perspektive?
Viele von uns aber tun sich gerade derzeit damit besonders schwer: Der Friseur, der seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken musste und nicht weiß, wie es weiter geht. Die Betreiberin eines kleinen Bistros, die versucht, sich mit einem Lieferservice über Wasser zu halten. Der Maturant, der eigentlich in diesem Jahr auf nichts Anderes hingefiebert hat, als seinen Schulabschluss zu machen und im Herbst mit dem Studieren zu beginnen. Die Angestellte, die plötzlich arbeitslos ist. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
2020 ist – auch – das Jahr der massiven existenziellen Ängste, der Sorge um den Job und des Verlustes an Ausbildungsperspektiven. Und die Frage, die sich angesichts all dieser Probleme stellt, ist: Wie begegnet man diesen Veränderungen, die man selbst nicht herbeigeführt hat? Und die uns bei allem Optimismus und allem Willen zum positiven Denken geradezu überrollen?
„Wichtig ist es, in solchen belastenden Situationen, genau zu unterscheiden: Welche meiner Grundbedürfnisse sind gefährdet? Welche sind von der aktuellen Krise nicht betroffen?“, sagt dazu Psychotherapeutin und Coach Brigitte Ettl.
Manche Lebensbereiche bleiben ja tatsächlich auch von einer massiven Krise wie der jetzigen weitgehend unberührt: Dazu kann die körperliche Gesundheit zählen, aber auch die Interessen, die Familie und anderes. „Diese Ressourcen gilt es wahrzunehmen“, sagt Brigitte Ettl. Daraus könne man wieder Kraft schöpfen für die Bewältigung dieser Herausforderung, für den zuversichtlichen Blick nach vorne. „Denn auch wenn Sie Ihren Arbeitsplatz durch die Krise verloren haben, so haben Sie nach wie vor Ihre Fähigkeiten, Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen, auf die Sie zurückgreifen können. Und Sie haben Ihre Interessen, Ihre Familie und Ihre Freunde.“
Ein Gedanke ist derzeit ganz wichtig, so Brigitte Ettl: „Halten Sie sich immer wieder vor Augen, dass die Ursache der Krise im schicksalshaften Bereich liegt – das heißt Sie sind nicht dafür verantwortlich. Sie habe keinen Fehler gemacht, der Sie in diese Lage gebracht hat. Und Sie müssen sich daher auch nicht mit Schuldgefühlen quälen.“
Alle Bereiche des Lebens wahrnehmen
Aber wie wirken sich Ängste und Probleme wie diese eigentlich auf unsere Seele aus? Was machen Probleme wie diese mit uns als Individuen, aber auch mit uns als Gesellschaft? „Ängste verengen unseren Blick. Es fällt uns sehr schwer, noch andere, nährende Bereiche unseres Lebens wahrzunehmen“, sagt dazu Brigitte Ettl. Hinzu kommt: Ängste lösen auch körperliche Stress-Symptome aus. „Was das ist, unterscheidet sich natürlich von Mensch zu Mensch. Die einen bekommen Herzprobleme, andere Magenschmerzen, Migräne, Verspannungen.“ Bewusst machen müsse man sich deshalb auch immer wieder, auch auf der körperlichen Ebene für einen Ausgleich zu sorgen, also in Bewegung zu bleiben, um die körperlichen Symptome immer wieder zu lindern.
Bewusst machen müssen wir uns außerdem, dass gesellschaftlich Gefühle auch eine ansteckende Wirkung haben. „Wir erleben das in kleinen Gruppen, aber auch gesamtgesellschaftlich in den Medien“, sagt Brigitte Ettl. „Achten Sie deshalb darauf und entscheiden Sie ganz bewusst, welche Medien Sie konsumieren wollen – und vor allem wie viel davon.“ Natürlich sei es wichtig, über Fakten und „Spielregeln“ Bescheid zu wissen. „Aber es tut auch gut, sich immer wieder mit anderen Themen zu beschäftigen und sich bewusst zu machen: Ich bin viel mehr als meine Angst!“
Auch das geht vorbei
Das Positive – wenn man so will – an all diesen Ängsten ist ja, dass sie nicht krankhaft sind. Sie haben einen realen Hintergrund. Das gilt es zu würdigen und zu akzeptieren. „Gerade wenn Sie sich das vor Augen halten, hilft vielleicht auch der Blick in die Vergangenheit: Wie haben Sie frühere Krisen bewältigt? Was hat Ihnen damals geholfen? Und was können Sie heute trotzdem unternehmen, was Ihnen gut tut?“, so Brigitte Ettl: „Manchmal hilft es auch, sich die Sorgen von der Seele zu schreiben – das verhindert, dass Sie ,im Kreis denken‘.“ Das Aufschreiben habe dann auch noch einen anderen Vorteil: „Sie können das Geschriebene bewusst zur Seite legen und sich bemühen, sich mit anderen Themen und Aufgaben zu beschäftigen.“
Genauso gut kann es tun, mit Menschen darüber zu sprechen, die nicht im selben Boot sitzen: „Es gibt gerade jetzt verschiedene kostenlose Notrufnummern und Helplines, wo Therapeutinnen und Therapeuten, Beraterinnen und Berater für ausführliche Gespräche bereit stehen.“
Kinder im Blick behalten
Wichtig sei es derzeit auch, bei allen Überlegungen und allen Sorgen, die Kinder im Blick zu behalten. „Erklären Sie Ihren Kinder – natürlich in einer altersgemäßen Sprache – die Situation, in der Sie sich befinden. Kinder spüren ja die Sorgen der Eltern, wenn sie dann in dieser Situation immer nur hören, dass alles in Ordnung ist, zweifeln sie an ihrer eigenen Wahrnehmungsfähigkeit“, sagt Brigitte Ettl.
„Natürlich ist es dann aber auch wichtig, den Kindern Hoffnung zu vermitteln, dass Sie als Eltern alles unternehmen, um das Problem zu lösen, dass auch diese schwierige Situation vorbeigehen wird. Und ihnen aufzeigen, dass viele Lebensbereiche von dieser Krise nicht betroffen sind. Vor allem aber, dass all diese Probleme, Ängste und Sorgen gar nichts daran ändern, dass Sie als Eltern sie einfach sehr lieb haben.“
Nur wenn Eltern merken, dass Kinder über einen längeren Zeitraum – also einige Wochen, massive Schlafprobleme oder Albträume haben, möglicher Weise Bettnässen wieder ein Thema wird – oder Kinder sehr still, vielleicht auch aggressiv werden, dann kann es hilfreich sein, sich externe Hilfe durch spezialisierte Psychotherapeutinnen und -therapeuten zu suchen. „Hier haben Kinder dann die Möglichkeit, einem Menschen ihre Sorgen und Ängste zu schildern, der davon nicht betroffen ist.
Kinder wollen ihre Eltern nicht belasten, sind aber trotzdem oft überfordert. Im Rahmen einer Therapie bekommen sie einen zusätzlichen sicheren Ort mit viel Aufmerksamkeit, die sich auch auf Kinder sehr heilsam auswirkt.“
Hier wird Ihnen geholfen
PsychotherapeutInnen unterstützen
die Bevölkerung bei psychischen Belastungen während der Corona-Krise.
Die Psychotherapie Helpline
0720 12 00 12 bietet täglich von
8 bis 22 Uhr kostenfreie Hilfe.
Ein offenes Ohr finden Sie auch
bei der Telefonseelsorge unter der Nummer 142.
Außerdem – unter anderem - bei:
Helpline des Berufsverbandes Österr. PsychologInnen: 01 504 8000
PSD Sozialpsychiatrischer Notdienst:
01 313 30 (0-24h)
Kriseninterventionszentrum:
01 406 95 95
Nachbarschaftshilfe von
Team Österreich 0800 600 600 (Ö3)
Hilfe für Kinder:
Rat auf Draht unter 147
Autor:Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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