Änderung beim Strafgesetzbuch-Paragraf 78
"Sterbehilfe-Urteil ist ein Kulturbruch"
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Lackner, reagiert mit Bestürzung auf das jüngste Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Für unsere Kirche gilt weiterhin: „Der Mensch soll an der Hand eines anderen, aber nicht durch die Hand eines anderen sterben.“
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat die Regelung gekippt, wonach Beihilfe zum Suizid strafbar ist. Der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, argumentierten die Verfassungsrichter bei der mündlichen Urteilsverkündung am Freitag, 11. Dezember.
Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar.
Die neue Regelung ist mit 1. Jänner 2022 wirksam. Bis dahin wird dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern.
Speziell die Strafgesetzbuch-Paragrafen 77 (Tötung auf Verlangen) und 78 (Mitwirkung am Selbstmord) des StGB wurden verhandelt. Die erste Bestimmung – „Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen“ – wurde von den Höchstrichtern bestätigt.
Die zweite – „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen“ – wurde differenziert behandelt. Der erste Straftatbestand (Verleitung zum Suizid) bleibt aufrecht, der zweite (Hilfeleistung) wurde jedoch aufgehoben.
Dem VfGH zufolge ist es gleich anzusehen, ob ein Patient im Rahmen einer medizinischen Behandlung oder einer Patientenverfügung lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizidwilliger mit Hilfe eines Dritten sein Leben beenden will. In jedem der beiden Fälle sei vielmehr entscheidend, dass die jeweilige Entscheidung durch freie Selbstbestimmung getroffen worden sei.
Solidarität gefährdet
Mit Bestürzung hat der Salzburger Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender derBischofskonferenz das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs bezüglich des Verbots der Beihilfe zur Selbsttötung aufgenommen. Der Verfassungsgerichtshof habe eine Letztzuständigkeit mit Höchstverantwortung. Das würden die Bischöfe grundsätzlich respektieren. Eine derartige Entscheidung könne die Kirche aber nicht mitvollziehen. „Diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bedeutet einen Kulturbruch. Die selbstverständliche Solidarität mit Hilfesuchenden in unserer Gesellschaft wird durch dieses Urteil grundlegend verändert“.
Konsens velorengegangen
Jeder Mensch in Österreich konnte, so Lackner, bislang davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird – bis zu seinem natürlichen Tod. „Diesem Konsens hat das Höchstgericht mit seiner Entscheidung eine wesentliche Grundlage entzogen. Es verlangt nunmehr von der Rechtsordnung, Situationen zu nennen, in denen nicht nur akzeptiert werden soll, wenn sich jemand das Leben nimmt, sondern in denen er noch dazu dabei unterstützt werden soll. Dies hat gravierende Folgen für das gesellschaftliche Selbstverständnis und Zusammenleben.“
Aus unserem christlichen Verständnis sind der Anfang und das natürliche Ende des Lebens einzigartige Momente und heilig. „Je mehr der Mensch sich anmaßt, diese beiden Momente allein unter seine Machbarkeit zu stellen, desto mehr wird das Dazwischen, die Lebenssubstanz, an der wir alle partizipieren, geschwächt und ausgehöhlt“, so Erzbischof Franz Lackner.
Ausbau der Palliativ- und Hospizarbeit
Die Kirche in Österreich wird sich nun sowohl in derPalliativ- und Hospizarbeit, aber auch in der Suizidprävention und Begleitung der Menschen in Lebenskrisen noch mehr engagieren. Und sie wird sich dafür einsetzen, dass in Österreich niemand – weder Betroffener, noch Angehöriger, weder Dienstleister, noch Einrichtung – direkt oder indirekt gedrängt wird, Suizidbeihilfe anzubieten bzw. in Anspruch zu nehmen.
Die österreichischen Bischöfe appellieren an den Gesetzgeber, „jede rechtliche Möglichkeit auszuschöpfen, um den bisherigen österreichischen Konsens möglichst beizubehalten. Jeder Mensch (in Österreich) soll wissen, dass sein Leben für uns wertvoll ist.“
„Damit Töten nicht zur Routine wird“
Kardinal Christoph Schönborn warnt davor, dass der Druck auf alte und kranke Menschen stärker werden wird, „sich durch einen Suizid selber aus dem Weg zu räumen“. Schönborn erhofft sich vom Parlament, dass es „mit Weisheit nach guten Lösungen sucht“ und Hospiz- und Palliativeinrichtungen ausgebaut werden, „dass das Töten nicht zur Routine wird“.
Schönborn nennt ein Beispiel: „Wenn jemand von der Brücke springen will, wird man versuchen, ihn davon abzuhalten. Soll es jetzt erlaubt sein, ihm den letzten Schubs zu geben? Und dass alle das gut finden?“ Selbstmord sei eine tiefe Wunde für Familie und Freunde, auch im Alter.
Menschliche Anwort: Nähe, Schmerzlinderung, Zuwendung
Freilich: Es gebe „unerträgliche Situationen, wo Schwerkranke sich den Tod wünschen“, räumt Schönborn ein. Nachsatz: „Ich habe solche Kranke erlebt.“ Doch die „wirklich menschliche Antwort“ darauf sei „Nähe, Schmerzlinderung, Zuwendung“. Bisher habe zwischen den Parlamentsparteien der Konsens bestanden, dass Sterbebegleitung, Palliativmedizin und Hospize „der gute Weg“ seien, so der Kardinal: „Österreich war hier Vorbild. Die schreckliche Erinnerung an die Masseneuthanasie von ‚lebensunwerten Leben‘ in der Nazi- Zeit hat immer als Warnung gegolten.“
Der unbedingte Vorrang des Lebens bis zu seinem natürlichen Tod sei bisher österreichischer Konsens gewesen und unser Kardinal verweist in diesem Zusammenhang auf die Worte Kardinal Franz Königs: „Menschen sollen an der Hand eines anderen sterben und nicht durch die Hand eines anderen.“
Schutz des Menschen in Corona-Zeiten
„Bisher konnte man sich darauf verlassen, in Österreich nicht legaler Weise direkt getötet zu werden“, findet die Juristin und Bioethikexpertin Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF). „Nun haben wir den Freibrief serviert bekommen, uns gegenseitig dabei zu unterstützen, uns umzubringen. Was für eine verkehrte Welt“, so Stephanie Merckens, die auch der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt angehört.
Österreich habe gerade in den letzten Monaten gezeigt, was Solidarität sein kann. Corona fordere von uns, sich in unserer vermeintlichen Freiheit zu beschränken, um Menschen zu schützen, die von unserem Verhalten abhängig sind. Genau dasselbe sei Sinn und Zweck des Suizidhilfeverbots gewesen.
Merckens: „Es ist nicht gut, jemandem zu helfen, sich umzubringen. Das ist ganz etwas anderes, als jemanden während seines Sterbeprozesses beizustehen.“ Es sei traurig, dass der VfGH diesen Unterschied nicht erkannt habe. „Wir können nur hoffen, dass der Gesetzgeber alle Möglichkeiten ausschöpft, die das Urteil offen lässt, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die Suizide vermeiden. Jeder von uns ist gefordert, dazu beizutragen, dass sich niemand das Leben nehmen will.“
Ältere und Kranke unter Druck
Mit der Beihilfe-Freigabe geschehe ein gefährlicher „Dammbruch“, sagt die Geschäftsführerin des kirchlichen Bioethikinstituts IMABE, Susanne Kummer. Sie führt Beispiele anderer Länder, „in denen der Staat die Hand zum Suizid reicht“, vor Augen: In der Schweiz etwa gebe es einen besorgniserregenden Anstieg von Selbsttötungen, während in Belgien und den Niederlanden Ärzte zugegeben hätten, ihre Patienten auch ohne deren Wunsch getötet zu haben.
Man könne den Ruf nach Legalisierung von aktiver Sterbehilfe auch nicht losgelöst vom Trend zur Überalterung der Gesellschaft und von der Kostenspirale im Gesundheitswesen betrachten, gab die Expertin zu bedenken. In Kanada würden Ökonomen bereits die Einsparungen dank „Sterbehilfe“ berechnen, und in den Niederlanden wird derzeit in einer Gesetzesvorlage eine Art „Letzter-Wille-Pille“ für gesunde, aber lebenssatte Senioren ab 75 Jahren diskutiert.
Autor:Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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