Die Sonntagsspaziergänge
Spazieren macht glücklich
Das Spazierengehen hat in den vergangenen Monaten eine regelrechte Renaissance erlebt. In Zeiten von Lockdowns und Abstand halten war kaum etwas so gut geeignet, uns zu bewegen und uns mit Abstand im Freien zu treffen.
Spazieren zu gehen hat uns in mehrfacher Hinsicht gutgetan. Warum also nicht diese neue Gewohnheit beibehalten? Mit diesem Gedanken im Kopf starte ich heute in die diesjährige Freizeit-Sommerserie „Sonntagsspaziergänge“.
Zu Beginn treffe ich den Landschaftsplaner und Spazier-wissenschaftler Bertram Weishaar und spreche mit ihm darüber, dass Spazierengehen mehr ist, als sich zu bewegen. Mit Physiotherapeut Simon Kanzian kläre ich die Frage, warum Bewegung für uns Menschen gar so wichtig ist; und mit Virologin Monika Redlberger-Fritz warum wir – trotz aller Fortschritte im Kampf gegen die Pandemie – auch im Sommer noch vorsichtig(er) sein sollten.
Für Bertram Weishaar ist das Spazierengehen schon lange mehr als „nur“ eine nette Art seine Freizeit zu verbringen. Ich erreiche ihn telefonisch in seinem Atelier Latent in Leipzig und will mit ihm das Thema Spazierengehen von einer wissenschaftlichen Seite beleuchten, denn Bertram Weishaar ist Spaziergangsforscher und das Gehen Teil seines Arbeitsalltags. „Ich habe in Kassel Landschaftsplanung studiert“, erzählt er mir: „und bin dabei mit der Promenadologie, der Spaziergangswissenschaft des Schweizer Soziologen Lucius Burckhardt in Kontakt gekommen und bei dem Thema irgendwie hängen geblieben. Wahrscheinlich auch weil meine Erfahrung war: Gehen macht glücklich – und das in vielerlei Hinsicht.“
Seit den 1990er Jahren macht er geführte Spaziergänge in vielen Gegenden Deutschlands. Geführte Spaziergänge, die mehr sind als das reine Vorwärtskommen. Etwa 60.000 Menschen hat Bertram Weishaar im Laufe der Jahre zum Beispiel in die Gebiete des Braunkohletageabbaus im Osten von Deutschland geführt. „Dort spazieren zu gehen ist eine einzigartige Erfahrung“, sagt er: „Man ist gleichzeitig total fasziniert von dem, was man da sieht und erschrocken über das hohe Maß an Umweltverschmutzung.“ Gerade bei solchen Spaziergängen bewege man sich nicht nur vorwärts. „Wenn man geht, setzt man sich mit dem, was man sieht auseinander. Und man tut das in einer anderen Art und Weise, als wenn man etwa mit dem Auto durch die Landschaft braust“, ist Bertram Weishaar überzeugt: „Bleiben wir mal beim Beispiel dieser Braunkohleabbaugebiete: Wir wissen alle sehr viel über Umweltschutz und wie wir uns richtig verhalten sollten, um nachhaltiger zu leben. Und trotzdem tun es so wenige. Meine Erkenntnis ist, dass es einen Auslöser braucht, um aktiv zu werden. Und dieses durch die Landschaft spazieren und mit eigenen Augen sehen und Eindrücke sammeln, kann so ein Auslöser sein. Durch das Gehen bekommt man ein anderes Gefühl für die Dinge.“
Gehen und denken
Irgendwann ist aus den Erfahrungen dieser Spaziergänge etwas ganz Eigenes geworden: der Denkweg. „Im Grunde verläuft der auf keiner bestimmten Route, sondern ist ein Querschnittsweg durch ein Land, in meinem Fall von Aachen nach Zittau,“, sagt Bertram Weishaar: „Ich bin dabei aber eben nicht nur durch die Landschaft gegangen, sondern auch durch die Themen, die dieses Land bestimmen und bewegen. An einem Atommeiler vorbei, oder einen riesigen Acker entlang oder ein ganz kleines Feld – und ich nehme wahr, dass das alles dasselbe Land ist, dieselbe Ökonomie. Und ich nehme wahr, wie dieses Land Strom erzeugt, wie es Landwirtschaft betreibt. Und dann beginn ich mir Gedanken darüber zu machen, was das alles für die Menschen bedeutet und wie in die Natur eingegriffen wird. Wahrscheinlich komme ich sogar zu dem Punkt, dass ich nicht mit allem einverstanden bin, was ich sehe und es regt sich der Wunsch, dem einen oder anderen Prozess als Individuum aktiv entgegenzusteuern, umweltbewusster zu leben, ressourcenschonender.“
Seinen Denkweg hat Bertram Weishaar deshalb auch „(um)weltlichen Pilgerweg“ genannt. Das sei natürlich kein Pilgerweg im eigentlich christlichen Sinne, aber er habe mit einem solchen schon etwas gemeinsam. „Nämlich das Anliegen Ehrfurcht vor der Schöpfung zu zeigen und darauf zu achten, dass nicht zu viel verloren geht. Im Grunde geht es darum was wir in dieser Welt hinterlassen? Was wir hinterlassen wollen? Und was nicht?“
Bewegung tut gut
Spazierengehen, das ist mir spätestens nach dem Gespräch mit Bertram Weishaar klar, kann also viel mehr sein als das bloße Gehen, das bloße „Meter machen“. Und doch ist gerade das Gehen, das Sich-Bewegen so wichtig für uns Menschen, oder nicht?
Um diese Frage zu klären, treffe ich Simon Kanzian, den stellvertretenden Leiter der Physiotherapie im Orthopädischen Spital in Speising. „Bewegung hat auf unseren Körper in physiologischer und in psychologischer Hinsicht einen Einfluss“, sagt er: „Bei längeren Spaziergängen werden die Muskeln und das Gewebe verstärkt durchblutet und die Lunge besser belüftet. Das bedeutet, dass regelmäßige Spaziergänge auf Dauer zu einer Steigerung der Kraftausdauer der Beinmuskulatur und des Atemzugvolumens führen können“, so Simon Kanzian: „Vor allem der positive Effekt auf das Herz-Kreislauf-System ist nicht zu unterschätzen. So kann es zum Beispiel bei Personen mit erhöhtem Blutdruck helfen, den Blutdruck dauerhaft zu senken.“ Nicht zuletzt rege die Veränderung des Stoffwechsels durch die Bewegung auch die Produktion körpereigener Hormone und Botenstoffe an. „Es kommt zu einer vermehrten Ausschüttung von Serotonin und Dopamin, was das allgemeine Wohlbefinden positiv beeinflusst. Längere Spaziergänge können damit auch ein gutes Mittel zum Stressabbau sein, da es zu einer Reduktion des Stresshormons Cortisol beitragen kann.“
Nicht zu wenig, nicht zu viel
150 bis 300 Minuten moderate körperlich Betätigung pro Woche rät die Weltgesundheitsorganisation für Erwachsene. „Dazu gehört eben das Spazierengehen, Nordic Walken, gemütlich Radfahren oder Schwimmen. Oder 75 bis 150 Minuten intensive körperliche Betätigung wie Wandern, Tennis oder Fußball spielen oder Mountainbiken. Zusätzlich werden wöchentliche Kräftigungsübungen der großen Muskelgruppen, sowie Gleichgewichtsübungen empfohlen.“ Nebenbei bemerkt: Mehr als 80% der Weltbevölkerung kommt laut WHO nicht auf diesen Bewegungsumfang pro Woche.
Und gibt es etwas auf das wir beim Spazierengehen achten sollten? „In jedem Fall sollte man auf festes und bequemes Schuhwerk achten. „Ein High-Tech Schuh muss es aber nicht gleich sein“, sagt Simon Kanzian: „Steigern Sie die Gehstrecke über die Zeit und starten Sie nicht gleich von 0 auf 100. Der Körper muss sich jeder ungewohnten Belastung langsam anpassen. Ist die Distanz am Anfang zu lang gewählt, kann es schon einmal zu kleinen Überlastungen der Gelenke kommen. Und: Suchen Sie sich eine schöne Spazierstrecke heraus – besonders der Faktor Natur ist nämlich nicht zu unterschätzen“, rät Simon Kanzian: „Uns in der Natur an der frischen Luft aufzuhalten regt unseren Geist an und kann dadurch positive kognitive Effekte auf unser Gehirn haben.“
Die Vorsicht begleitet uns weiterhin
Nun gut. Draußen zu sein. An der frischen Luft. Das fällt ja bei dem schönen Wetter nicht schwer. Aber wie viel Vorsicht sollten wir im Hinblick auf die Pandemie jetzt eigentlich noch walten lassen?
Um diese Frage zu klären, spreche ich noch mit der Virologin Monika Redlberger-Fritz. „Uns draußen aufzuhalten, an Plätzen wo man Abstand halten kann, nicht Schulter an Schulter steht, wird uns auch diesen Sommer noch begleiten“, sagt sie: „Im Grunde sind es drei Dinge, auf die wir weiterhin achten sollten: Die Inzidenz, von der wir hoffen, dass sie niedrig bleibt. Darüber hinaus müssen wir beobachten, wie sich die Mutationen entwickeln und wie der Impffortschritt ist.“ In einer Gruppe, in der alle bereits den vollen Impfschutz haben, könne man sich „normaler“ verhalten als in einer Gruppe, in der es noch Ungeimpfte gibt. „Aus ärztlicher Sicht, ist die Impfung der einzige nachhaltige Gegenspieler der Pandemie“, sagt Monika Redlberger- Fritz: „Je mehr Menschen vollständig geimpft sind, desto einfacher wird der Alltag für uns alle. Wenn wir viele Ungeimpfte in einer Gruppe haben, wird es weiterhin gut sein, drinnen eine Maske zu tragen und Abstand zu halten und wenn man draußen unterwegs ist, auch auf den Abstand zu achten.“ Und im Freien zu sein sei in jedem Fall besser als drinnen.
Und was meint die Expertin zum Thema Testen? „Je öfter, desto besser, denn desto mehr Infektionen werden erkannt. Und darum geht es ja – Infizierte heraus zu finden.“
Ein Sommer voller Spaziergänge
Mit all diesen Gedanken im Kopf starte ich jetzt also in meine diesjährige Sommerserie – die „Sonntagsspaziergänge“. Ich habe mir verschiedenste Routen und Wege zu den verschiedensten Themen auf dem Gebiet der Erzdiözese Wien zusammengesucht und werde sie für Sie entdecken. Den Anfang macht in der nächsten Woche das Thema: Spazieren im Park.
Autor:Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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