Debatte um Jugendbuchpreis
Keine Ohren für den Klang des Papierklaviers
Verliert die Kirchenleitung die Lebensrealität von Jugendlichen zunehmend aus den Augen? Die Verweigerung des deutschen Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises an das Buch „Papierklavier“ der österreichischen Autorin Elisabeth Steinkellner bleibt unverständlich.
Wir stellen das Buch vor und erklären die Hintergründe der Debatte.
Der Roman „Papierklavier“ der niederösterreichischen Autorin Elisabeth Steinkellner schildert in Tagebuchform die Alltagswelt der 16-jährigen Maia. In raschem Erzähltempo wird die keineswegs einfache Lebensrealität des Teenagers vorgestellt: Maia ist die älteste von drei Halbschwestern einer alleinerziehenden Mutter, die von den drei Kindsvätern verlassen wurde.
Die Mädchen teilen sich ein neun Quadratmeter großes Kinderzimmer und haben ein Dreierstockbett, das einer der Väter einst als „Übergangslösung“ gezimmert hatte bis eine größere Wohnung gefunden werde. Zu dieser kam es allerdings nie. Das Geld ist stets knapp und der Kühlschrank meist leer, die Mutter nach ihrer Arbeit zu erschöpft, um Aufmerksamkeit und Zeit für ihre Kinder aufzubringen.
Text und Bild genial verbunden
Maia hat großes zeichnerisches Talent: Ihre Tagebuchaufzeichnungen gehen fließend in berührend schöne Illustrationen über, die von Freundschaft, Liebe und dem jugendlichen Alltag erzählen. Die Zeichnugen im Buch stammen von der Berliner Künstlerin Anna Gusella. Text und Bild gehen in „Papierklavier“ ein geniales Zusammenspiel ein.
Der Titel des Buches spielt auf die aufgezeichneten Klaviertasten an, auf denen Maias kleine Schwester Heidi jetzt Klavier übt. Ersatzoma und Nachbarin Sieglinde, auf deren Klavier die begabte Heidi bisher spielen durfte, ist soeben verstorben. Eine große Stütze der Familie wird damit jetzt vor allem von den Kindern schmerzlich vermisst. „Papierklavier“ greift Themen wie Transsexualität und das Leben in einem weiblichen Körper auf. Maia kämpft mit Übergewicht und daraus erwachsenden Problemen des Andersseins. Bei einer Freundin ist es nicht klar, ob sie Mann oder Frau ist.
Nicht alles im Buch aber ist schwer und problembehaftet. Poetisch, humorvoll und erfrischend werden familiärer Zusammenhalt, lebendige Freundschaften und eine positive Grundeinstellung zum Leben geschildert.
Maia ist eine beeindruckende Jugendliche, die neben der Schule in einem Saftladen – im wahrsten Sinne des Wortes – jobbt, um Geld für Klavierstunden für ihre kleine Schwester zu verdienen. Was sich Maia am meisten wünscht – schon als Kind und jetzt immer noch – ist, dass Mama weniger arbeitet und mehr zu Hause ist.
Bischöfe verweigern Auszeichnung
„Papierklavier“ wäre in diesem Jahr der Favorit für den Deutschen Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis gewesen. Die zehnköpfige Jury unter Vorsitz des Trierer Weihbischofs Robert Brahm hatte den Roman nominiert.
Doch der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz verweigerte die Vergabe des Preises an „Papierklavier“. Einige Bischöfe, die am Ende ihrer turnusmäßigen Sitzung im so genannten Ständigen Rat über die Prämierung befinden, hätten sich der Jury nicht angeschlossen, wie Medien berichteten. Die Deutsche Bischofskonferenz selbst gab als Begründung an, dass „das vorgeschlagene Preisbuch nicht den Kriterien der Statuten des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises entspricht“, so Sprecher Matthias Kopp.
Begründung bleibt unklar
Heidi Lexe, Jurymitglied und Leiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur der Erzdiözese Wien („STUBE“), ortet in diesem Schritt ein fehlendes Vertrauen in die Expertise der Jury.
Der Buchpreis versuche mit seinen Nominierungen und Empfehlungen eine Brücke zwischen der Welt der Literatur und der Kirche zu schlagen, erläutert Lexe im Kathpress-Interview. Die aktuelle Jury habe dazu beigetragen, dass sich der Katholische Kinder- und Jugendbuchpreis zu einer „imageträchtigen Auszeichnung“ entwickelt habe. Es sei daher verwunderlich, dass die Deutsche Bischofskonferenz der Jury nicht vertraue, zumal es ja auch einen geistlichen Vorsitzenden gebe.
Sie nannte es bedauerlich, dass der Preis 2021 ausgesetzt wird. Was genau in diesem Gremium am nominierten „Papierklavier“ ein derartiges Missfallen erregt habe, sei bis heute unbekannt, betonte Lexe. In der Deutschlandfunk-Sendung „Büchermarkt“ (10. Mai) munkelte man über Missfallen eines Bischofs „aus der konservativen Ecke“.
Offener Brief
222 Kinder- und Jugendbuchautoren kritisierten in einem Offenen Brief die Entscheidung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz, in diesem Jahr keinen Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis zu verleihen.
Zugleich fordern sie die Bischöfe auf, ihre Entscheidung „noch einmal zu überdenken und der Empfehlung der Jury zu folgen“. Zu den Unterzeichnern des Briefs gehören bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Kirsten Boie, Paul Maar und Nora Gomringer, außerdem frühere Preisträgerinnen wie Jutta Bauer (2002) und Tamara Bach (2013).
Die nominierte Autorin Elisabeth Steinkellner bezeichnet Heide Lexe als eine der renommiertesten Jugend- und Kinderbuchautorinnen Österreichs. Die 1981 geborene Soziologin habe „eine besondere Art, mit Hybrid-Formen zu arbeiten“, also einer Kombination aus Text und Bild.
In „Papierklavier“ erreiche Steinkellner eine „ungeschönte Zugangsweise zur Jugendwelt“, in der es nicht darum gehe, „eine schöne Welt vorzugaukeln“. Bereits im Februar hat „Papierklavier“ den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2021 erhalten. Das Buch ist in diesem Jahr auch für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Steinkellners neuester Jugendroman ist bei Tyrolia erschienen und heißt „Esther und Salomon“. Er ist aktuell als „Jugendbuch des Monats Juni“ der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur vorgeschlagen.
SONNTAGs-Fazit: Die Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz bleibt unverständlich. Zwar wird christliche Religiosität im Buch nicht explizit angesprochen, doch christliche Werte werden durch die Ich-Erzählerin vorbildhaft umgesetzt: Liebe, Freundschaft, das Einstehen für Schwächere und Andersartige, der Einsatz für Geschwister, die Versöhnung nach Konflikten, das Aushalten einer schmerzlichen Lebensrealität.
Eine vertane Chance der Kirche, an die Lebenswirklichkeiten junger Menschen anzudocken.
Autor:Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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