Wahre Freunde sind ...
Jeder von uns hat maximal drei
Einem Freund kann man sein Herz ausschütten, er packt an, wenn Hilfe nötig ist. Er weist auf blinde Flecken im eigenen Leben hin und bleibt da, auch wenn man schuldig geworden ist. Ein echter Freund ist ein Schatz, der gehütet werden will.
Ein Gericht in den USA hat 2018 entschieden, was wir alle längst wissen: Freunde im sozialen Netzwerk Facebook sind nicht zwangsläufig echte Freunde. Im Verfahren ging es um die Frage, ob eine Richterin befangen sei, weil sie mit dem gegnerischen Anwalt auf Facebook befreundet ist. Ist sie nicht, urteilte der Oberste Gerichtshof in Florida. Denn: Der Freundschaftsbegriff im sozialen Netzwerk decke sich nicht mit dem in der realen Welt.
Freund ist eben nicht gleich Freund. Nein, mit einem schnellen Klick auf die Freundschaftsanfrage im sozialen Netzwerk lassen sich keine Freundschaften knüpfen. Echte Freunde gibt es nicht wie Sand am Meer. Maximal eine Handvoll im Laufe eines Lebens. Ein echter Freund, eine echte Freundin ist wertvoll. Oder, wie es im Buch Jesus Sirach im Alten Testament heißt: „Ein treuer Freund ist wie ein festes Zelt; wer einen solchen findet, hat einen Schatz gefunden.“ Ein Schatz will gehütet, eine Freundschaft will gepflegt sein.
Miteinander genießen, beten und manchmal auch leiden
Gertrude Stagl, Familienberaterin und seit Kurzem als Pastoralassistentin in Pension, weiß, dass Freundschaften der Pflege bedürfen. Sie investiert viel Zeit in die Beziehungen, die ihr wichtig sind: „Einmal in der Woche gehe ich mit meinen Freundinnen Mittagessen. Wir treffen uns regelmäßig zum Frühstück und verbringen immer wieder zusammen ein Wellnesswochenende. Solche Genusszeiten sind uns wichtig.“
Miteinander genießen, aber auch anpacken und einander unterstützen – das zeichne eine Freundschaft aus, sagt Gertrude. „Freundschaft bedeutet für mich, füreinander da zu sein, völlig absichtslos. Sich gegenseitig zu helfen, wenn es nötig ist.“ Bei diversen Umzügen und Berufswechsel hat die Sechzigjährige bei ihren Freunden stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Fragen und Hände, die anpacken, gefunden. „Meine Freunde haben mir zugehört und mit mir in der neuen Wohnung den Boden abgeschliffen und das Bad eingebaut. Das war total toll.“
Freude und Arbeit teilen, und – in schweren Zeiten – auch Leid und Schmerz. Gemeinsam das aushalten, was das Leben zumutet. Eine schwere Krankheit zum Beispiel. Eine der besten Freundinnen von Gertrude erkrankte an Krebs. „Wir haben uns alle sehr gewünscht, dass sie lebt, haben viel gebetet. Miteinander und für sie.“ Als sich abzeichnete, dass die Freundin die Krebserkrankung nicht überleben würde, blieben Gertrude und andere enge Freunde an ihrer Seite. „Wir haben uns abgewechselt, sodass jeden Tag jemand anderer bei ihr war, haben ihr viel erzählt, damit sie auch an unserem Leben teilhaben kann und waren einfach da. Bis zum letzten Tag.“
Freundschaft ist mehr als das Teilen von Hobbys.
„Freundschaft“, sagt Kurt Appel, Professor für Theologische Grundlagenforschung an der Universität Wien, „hat damit zu tun, bereit zu sein, füreinander einzustehen. So dass man – im Fall des Falles – zugunsten des Freundes auf etwas Essentielles verzichtet.“
Anders ausgedrückt: So sehr Freundschaft das Leben bereichert, kann sie auch etwas kosten. Das veranschaulicht zum Beispiel die biblische Geschichte der Moabiterin Rut, die ihre eigene Heimat verlässt, um mit ihrer Schwiegermutter in deren Heimat Israel zu gehen. Obwohl ihre Schwiegermutter sie drängt, ihr Glück woanders zu suchen, will Rut nicht von ihrer Seite weichen. „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich“, sagt Rut, fest entschlossen ihre Schwiegermutter – und Freundin - nicht im Stich zu lassen.
Kurt Appel plädiert dafür, den Begriff der Freundschaft nicht inflationär zu verwenden. „Es kann viele Menschen geben, mit denen mich Sympathie verbindet, viele Formen von Gemeinschaft.“ Freundschaft sei allerdings mehr als Sympathie, auch mehr als das Teilen bestimmter Interessen, Weltanschauungen oder Hobbys. Sie könne auch nicht unter dem Aspekt der Nützlichkeit beschrieben werden. „Wirkliche Freundschaft beginnt dort, wo das Konzept von Nützlichkeit nicht das entscheidende ist. Freund bleibt jemand auch dann, wenn er für mich zu nichts mehr nutze ist.“
Freundschaft muss Wahrheit aushalten
Für Appel ist Freundschaft im Christentum etwas ganz Zentrales. Jesus selbst ist es, der von seinen Jüngern als Freunde spricht (Joh 15,15). „Das Entscheidende im Christentum ist, dass die zentrale Stellung der familiären Bande durch Freundschaft ersetzt wird.“ Das habe immer schon eine revolutionäre Kraft in sich getragen. „Das Revolutionäre daran ist, dass im Christentum jede Person, unabhängig von sozialer, geschlechtlicher oder ethnischer Zugehörigkeit zum Freund erwählt werden kann. Das bedeutet eine unglaublich große Offenheit.“
Was Freundschaft darüber hinaus auszeichne: „Ein Freund ist bereit, die Last von Schuld zu teilen.“ Er geht nicht weg, wenn der andere einen Fehler gemacht hat und schuldig geworden ist. „ Das meint nicht Komplizenschaft im Bösen, sondern das heißt, dass ich den anderen auch in der Sackgasse begleite. Und mich sogar selber moralisch kompromittiere, wenn es die Liebe erfordert.“
Mit anderen Worten: Wenn der andere schuldig geworden ist, kündigt man ihm die Freundschaft nicht auf. Die Meinung sagen dürfe und solle man trotzdem. „Freundschaft muss die Wahrheit aushalten. Ich kann meinem Freund auch sagen: ‚Du bist jetzt ein richtiges Arschloch.‘ Es wird im Christentum ja immer betont, dass wir einander ermahnen sollen.“
Auch mal Unangenehmes ansprechen, den anderen auf seine blinden Flecken hinweisen: Das müsse in einer Freundschaft Platz haben, findet auch Gertrude Stagl. Sie erinnert sich: „Ich bin sehr gerne in Gesellschaft. Einmal hat mich aber eine Freundin gefragt, ob es sein kann, dass ich nicht auch eine große Einsamkeit in mir habe.“ Gertrude war überrascht, dachte nach und hat gemerkt, dass ihre Freundin recht hat. Bei aller Geselligkeit fällt es ihr schwer, das Alleinsein auszuhalten.
„Das ist einer der großen Schätze einer Freundschaft: Dass der andere von außen oft besser sieht, was Sache ist.“
Autor:Sandra Lobnig aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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