Tage der Utopie: Lasse Rheingans zeigt, wie ein 5-Stunden-Tag funktionieren kann
Nur ein „blöder Idealist“?
„Wollt ihr weniger arbeiten und genauso viel verdienen?“ Diese Frage stellte der deutsche Unternehmer Lasse Rheingans 2017 seinen Mitarbeiter/innen. Was als Experiment begann, ist heute Realität - und Thema der Tage der Utopie.
Simone Rinner
Viel Arbeit, viel Stress und kaum Zeit für die Familie. Mit einem „so will ich nicht mehr leben“ beginnt 2017 die neue Unternehmenspolitik des damals 36-jährigen Lasse Rheingans. Er verkauft seine riesige Agentur, kauft dafür eine kleinere IT-Agentur und stellt keine zwei Monate später als erster Unternehmer in Deutschland auf die 25-Stunden Woche um. Bei vollem Gehalt.
Wie produktiv bist du?
Bei den Tagen der Utopie erzählt er von den letzten vier Jahren - von Höhen und Tiefen, in denen er sich selbst fragen musste, ob er nur ein „blöder Idealist“ ist, der „die ganze Kohle auf den Kopf haut“. Und warum der Fünf-Stunden-Tag viele Vorteile hat. „Wir müssen Arbeit neu denken. Alle Branchen sind von Wandel und Digitalisierung betroffen. Dennoch halten so viele Unternehmen an alten Modellen fest. Das macht keinen Sinn“, ist sich Rheingans sicher. Statt Arbeit flexibel zu gestalten, gebe es eine „Präsenzkultur“, kritisiert er und zitiert eine Studie, wonach man nur 2,53 von acht Stunden produktiv sei.
Radikal. Lasse Rheingans wagt 2017 mit seinen 15 Mitarbeiter/innen den Sprung ins kalte Wasser und stellt um: 25 statt 40 Stundenwochen, E-Mails werden nur noch zwei Mal täglich gecheckt und intern gar nicht mehr versendet, Meetings finden so gut wie keine mehr statt - und wenn, dauern sie maximal 15 Minuten. Kurz: Alles was stört und die Arbeit unterbricht, wird abgeschafft. „Wenn wir im ‚Flow‘ sind und vom Handy oder Kollegen gestört werden, brauchen wir 15 Minuten, um wieder auf den Level zu kommen, wo wir aufgehört haben“, erklärt er. „Und deshalb sind wir jetzt extrem organisiert“, lacht Rheingans.
Wie geht es dir?
Innovation könne man nur erreichen, wenn es den Menschen gut geht, betont er. Denn Studien würden zeigen: Wer im Kampf- oder Fluchtmodus ist, leistet 40% weniger als in einer sicheren Umgebung mit zufriedenem Gefühl. Rheingans entwickelt mit seinen Mitarbeitenden einen Glücksindex, mit dem sie reflektieren können, wie sie sich fühlen, wie das Projekt oder die Teamarbeit läuft. „Ein gutes Frühwarnsystem“, grinst er. Als klar wurde, dass bei aller Effizienz die Teamkultur leidet, führte der Unternehmer „Teamevents“ wie den Kochklub am Freitag ein, bei dem man sich über Themen austauschen kann, die nicht arbeitsrelevant sind. Wichtig dabei: Dabeisein ist ein Kann, kein Muss. Flexibilität wird in Rheingans Unternehmen generell großgeschrieben, schließlich geht es ihm um Selbstentwicklung und eine gute Kultur des Miteinanders. „Nicht die Kunden kommen zuerst, sondern die Mitarbeiter, denn wenn‘s denen gut geht, wird der Job auch gut gemacht“, betont er.
Fragerunde
Tosender Applaus und zahlreiche Fragen - live vor Ort und übers Internet - sind die Antwort auf Rheingans Vortrag. „Gibt es Nachahmer-Unternehmen“, „wie hoch ist die Frauenquote in Ihrem Unternehmen“ und „warum kündigen Mitarbeiter/innen bei Ihnen“ zum Beispiel. Für ihn Anlass, um auf das wichtige Thema Teilzeitarbeit hinzuweisen, von dem meist Frauen betroffen sind und dem mit einem Fünf-Stunden-Tag begegnet werden könnte. „Es kündigen mehr als ich erwartet hätte“, steht Rheingans auch bei unangenehmeren Themen Rede und Antwort. Die meisten hätten einfach Lust, etwas anderes zu tun, erinnert er sich an einen Entwickler, der jetzt Priester ist. „Gut“, meint er, denn die Alternative wäre ja, dass er sein Potential nicht entfaltet und frustriert im Unternehmen bleibt. Die Arbeitswelt werde sich fundamental ändern, ist sich der Unternehmer sicher. Da heißt es wohl dranbleiben.
Tage der Utopie (noch bis 1. Mai), Vorträge, Dialoge und Neue Musik als Live-Stream und vor Ort in der Kulturbühne AMBACH und Arbogast.Anmeldung und Infos: www.tagederutopie.org
(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 17 vom 29. April 2021)
Autor:KirchenBlatt Redaktion aus Vorarlberg | KirchenBlatt |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.