Private Krisenpflege des Vorarlberger Kinderdorfs unterstützt bei akuten Familienkrisen
Geborgtes Zuhause
Susanne, 45, ist seit zehn Jahren Krisenpflegemama. Nicht nur ihre Worte, ihre herzliche Ausstrahlung und Präsenz zeugen von der tiefen Erfüllung, die damit verbunden ist. Über 17 Kindern hat sie bereits ein Zuhause auf Zeit geschenkt. Hat ihnen all ihre Liebe und Aufmerksamkeit gewidmet und sie nach ein paar Wochen oder Monaten wieder weiterziehen lassen. Die Tatsache, dass wir weder den richtigen Namen noch den Wohnort unserer Interviewpartnerin nennen dürfen, führt uns vorweg mitten in den zentralen Auftrag des Krisenpflegedienstes: dem Kind ein Höchstmaß an Schutz und Sicherheit zu geben. Dabei gilt es vor allem auch die Privatsphäre zu wahren.
Susanne, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter eine von neun Familien ist, die in Vorarlberg private Krisenpflege anbieten, wurde durch einen Zeitungsartikel auf diesen Dienst aufmerksam: „Das hat mich damals so berührt. Es gibt einfach Kinder, die niemanden haben bzw. jemanden brauchen, der für sie da ist. So jemand für sie zu sein, das ist bis heute meine Motivation.“ Eines ihrer vielen Krisenpflegekinder lebt inzwischen seit fünf Jahren als Langzeit-Pflegekind in der Familie. Alle anderen musste sie wieder loslassen. Darauf sind die Familien von Anfang an eingestellt. Sie wissen, der Tag des Abschieds kommt. Leicht fällt es Susanne dennoch nie: „Es tut einfach weh. Dieser Abschied an der Tür, das ist nicht schön, da fließen die Tränen bei uns allen.“
Zeitpuffer zur Lösungsfindung
Nicht immer seien es dramatische Notsituationen, die eine Krisenpflegefamilie auf den Plan rufen, erzählt uns Claudia Hinteregger-Thoma, die den Fachbereich Krisenpflege beim Vorarlberger Kinderdorf leitet: „Es gibt beispielsweise auch Frauen, die jemanden nur für zehn Tage brauchen, weil sie ihr zweites Kind zur Welt bringen. Sie haben einfach niemanden sonst.“ Tiefer gingen da schon die akuten Fälle, wenn Eltern psychisch oder körperlich nicht mehr in der Lage sind, ihre Kinder gut zu versorgen oder wenn diese häuslicher Gewalt und seelischen Qualen ausgesetzt sind. „Das Konzept der Krisenpflege ermöglicht es uns, schnell zu reagieren, sodass die Kinder an einem geschützten, ruhigen Ort wieder Vertrauen fassen können und ins Gleichgewicht finden“, so die Fachbereichsleiterin. Mit dem Krisenpflegedienst, der auf rund drei Monate ausgelegt ist, gewinne man einen Zeitpuffer, um die richtige Lösung für das jeweilige Kind zu finden. Oberstes Ziel sei stets die Rückführung des Kindes in die Herkunftsfamilie. Wenn dies aber nicht möglich ist, wird ein langfristiger Pflegeplatz gesucht. Hinteregger-Thoma auf die Frage, wer das letzte Wort hat: „Wir sind berichtspflichtig oder werden bei Gutachten miteinbezogen. Die Entscheidung trifft aber schlussendlich das Gericht.“ Über 250 Kinder und Jugendliche leben derzeit in 190 Pflegefamilien in Vorarlberg.
Wertvolle Vorarbeit
Susanne schätzt es sehr, wenn sie über die Krisenpflegezeit hinaus erfährt, wie sich die Dinge entwickeln: „Wenn man hört, es geht den Kindern gut, dann hilft das. Einmal hat mir eine Pflegemama gesagt, wie wertvoll unsere Vorarbeit in der Krisenpflege ist, gerade damit das Kind wieder Wurzeln schlagen kann. Das hat mich sehr gefreut.“
Und die leiblichen Eltern? Diese kämen unterschiedlich gut mit den getroffenen Entscheidungen zurecht, meint Claudia Hinteregger-Thoma. Natürlich sei die Kränkung oft groß. „Allein die Tatsache, dass ein Kind aus der Familie genommen wird, suggeriert ja, dass es ihm dort, wo es hinkommt, besser geht.“ Von den Krisenpflegeeltern würde deshalb erwartet, dass sie professionell reagieren, selbst wenn sich die leiblichen Eltern negativ äußern. Die erste Begegnung sei immer ein schwieriger Moment für alle. „Diese Treffen finden bei uns im Vorarlberger Kinderdorf statt und es gilt den leiblichen Eltern bewusst zu machen, dass wir das Beste fürs Kind wollen. Das gelingt nur, wenn wir auch ihnen mit Respekt und Wertschätzung begegnen.“ Sie konkretisiert an einem Beispiel: „Da war diese spürbar gereizte Mama während des ersten Treffens mit der Krisenpflegemutter. Die Anspannung im Raum war zum Greifen. Als jedoch die Krisenpflegemama auf sie zukam und sie um Rat in Bezug auf das Essverhalten des Kindes fragte, brach das Eis. Als Mutter wurde ihr zugestanden, etwas besser zu wissen.“ Den schwersten Rucksack haben allerdings die Kinder zu tragen. Und manchmal kann dieser Rucksack auch zu einer Zerreißprobe am Krisenpflegeplatz werden, wenn das Verhalten schwer zu integrieren ist. Das musste auch Susanne bereits einmal so erfahren: „Aber wir haben das gemeinsam durchgestanden zum Wohl des Kindes. Wir haben es als Lernaufgabe für uns betrachtet.“
Abenteuer Krisenpflege
„Wenn ich gerade in Pause bin, sprich, kein Kind in unserer Familie ist, und ich sehe den Anruf von Claudia am Telefon, dann freue ich mich einfach. Für mich ist es jedes Mal der Beginn eines neuen Abenteuers: Erst weißt du nichts. Nicht, welches Alter, welche Geschichte, welche Hintergründe das Kind mitbringt. Mich interessieren diese Lebensgeschichten“, so Susanne. Natürlich würde der Dienst als Krisenpflegemama auch bedeuten, sich „extrem zurücknehmen zu müssen“. Sie führt aus: „Urlaube gebe ich im Voraus bekannt, aber alles andere ist erstmal auf Stopp gestellt, sobald der Anruf kommt. Also im Grunde von einem Tag auf den anderen. Die Freundinnen wissen schon, dass es immer mal wieder Zeiten gibt, in denen ich bei jedem Treffen oder auf jedem Fest ein Baby dabeihabe.“ So wie Susanne diesen Dienst an der Gesellschaft aus einer Berufung heraus macht, erkennt Claudia Hinteregger-Thoma bei anderen Krisenpflegeeltern ähnliche Motive: „Es sind Menschen mit einem ausgeprägten sozialen Engagement, die vielfach sagen, ‚mein Leben ist in guten Bahnen verlaufen, ich möchte zum Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens einen Beitrag leisten.‘ Manche sehen es auch als eine Gelegenheit ihren eigenen Kindern ganz praxisnah Werte zu vermitteln, ihnen zu zeigen, dass es mehr als diese eine Lebenswelt gibt.“
Angemessene Entschädigung
Und wie ist es um die Bezahlung dieser wichtigen Fürsorgearbeit bestellt? Positiv formuliert: Zumindest kann einem niemand vorwerfen, „es nur fürs Geld zu tun“. Hinteregger-Thoma: „Krisenpflegeeltern werden angemessen entschädigt, die zusätzliche Familienbeihilfe wertet das Ganze auf, aber du kannst dir mit diesem Dienst keine finanzielle Basis schaffen.“
Sowohl Mütter als auch Väter können diese Verantwortung übernehmen, gleichgeschlechtliche Paare ebenso wie Alleinerziehende. „Aktuell haben wir einen Krisenpflege-Papa mit an Bord“, freut sich Claudia Hinteregger-Thoma. Wichtig ist ihr zu betonen, dass alle Krisenpflegeeltern während des gesamten Prozesses von den Fachkräften des Vorarlberger Kinderdorfs professionell begleitet werden.
Auch Susanne ist derzeit im Krisenpflege-Einsatz und weiß, dass sie in Bälde schon wieder ein Lebewohl aussprechen muss: „Früher dachte ich mir, ich mache vielleicht etwas falsch, weil ich mir so schwer mit dem Abschiednehmen tue. Inzwischen sage ich mir, ich bin einfach so und sehe es auch als Stärke, dass ich die Traurigkeit zulassen kann. Sie zeigt sich ja gerade, weil wir eine starke Bindung und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut haben.“
Private Krisenpflege
Ausgebildete Krisenpflegefamilien des Vorarlberger Kinderdorfs geben Kindern (0-5 Jahre) nach krisenhaften Erlebnissen ein Zuhause auf Zeit. Krisenpflegeplätze sind anonym. Die leiblichen Eltern lernen die Krisenpflegefamilie bei der Aufnahme oder den Besuchskontakten kennen. Oberstes Ziel ist die Rückführung des Kindes in seine Herkunftsfamilie. Ist dies nicht möglich, findet das Kind einen Platz bei einer Langzeit-Pflegefamilie oder im Kinderdorf Kronhalde. Kontakt: Claudia Hinteregger-Thoma T 05574 4992-40, E krisenpflege@voki.at. Weitere Infos finden Sie unter: www.vorarlberger-kinderdorf.at
Autor:KirchenBlatt Redaktion aus Vorarlberg | KirchenBlatt |
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