Friedensforschung
Kämpfen ohne Gewalt
Der gewaltfreie Widerstand in der Ukraine und in Russland sei in der täglichen Berichterstattung unterrepräsentiert, sagt Friedensforscher Werner Wintersteiner. Dieser dürfe aber in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden.
Gewaltfreier Widerstand sei rein militärisch betrachtet vielleicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Langfristig hätte dieser aber einen großen strategischen Wert, sagt Werner Wintersteiner. Er ist der Gründer und ehemalige Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedensbildung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und betont, niemandem vorschreiben zu wollen, wie er sich verteidigen soll: „Die ukrainische Gegenwehr gegen die russische Aggression ist berechtigt, die UN-Charta erlaubt ausdrücklich den bewaffneten Widerstand gegen einen Aggressor. Jedoch hat der militärische Kampf auch seine Schattenseiten.“
Das Militärische gehe stets von einer kurzfristigen Perspektive aus: mehr und effizientere Waffen, bis man dem Gegner gleichgestellt oder überlegen ist, um ihn zum Rückzug zu zwingen. Diese Strategie führe jedoch zu immer mehr Gewalt, enormen menschlichen Verlusten und der Zerstörung vieler Städte. „Die militärische Option verschwendet keinen Gedanken daran, wie ein nachfolgender Friedensschluss aussehen könnte“, sagt Wintersteiner.
Bei der strategischen Bedeutung von Gewaltfreiheit sei auch die Unterstützung durch internationale Expert/innen nicht zu unterschätzen, sagt Wintersteiner. Er verweist dabei etwa auf Maria Stephan und Erica Chenoweth, Autorinnen von „Why Civil Resistance works“ (Warum ziviler Widerstand funktioniert“).
In dieser Studie wird nachgewiesen, dass gewaltfreier Widerstand langfristig deutlich erfolgreicher als bewaffneter Widerstand ist, wenn es um die Überwindung diktatorischer Regimes geht. Wintersteiner begründet das mit der „immensen moralischen Bedeutung“ von Gewaltfreiheit: „Durch Gewaltfreiheit ist niemand in seinem Leben bedroht, deshalb schließen sich Menschen auch eher einer solchen Bewegung an. Denn in jedem Krieg kommt es entscheidend darauf an, dass die Kämpfer von der Legitimität ihrer Sache überzeugt sind.“
Mehr Aufmerksamkeit
Der Friedensforscher beklagt, dass in den Medien zu wenig über gewaltfreie Aktionen berichtet werde, abgesehen von aufsehenerregenden Aktionen wie jener der russischen Journalistin, die live im Fernsehen zum Widerstand aufrief. In der Ukraine selbst gebe es seit Jahren eine Tradition der gewaltfreien Konfliktlösung, ein Beispiel dafür ist die 2019 gegründete Ukrainische Pazifistische Bewegung: „Sie verhält sich keineswegs passiv, sondern stellt sich mit allen Kräften gegen die russische Invasion, aber verweist auch auf den größeren Kontext: die Ukraine als Schlachtfeld in der Konkurrenz zwischen den USA und Russland“, schreibt Wintersteiner in einem Dossier.
Darin nennt er auch noch zahlreiche weitere Beispiele: Tausende Menschen, die die Zufahrt der Panzer zur Kleinstadt Dniprorudne blockierten oder zum AKW Saporischschja; Ukrainer/innen, die Straßenschilder umstellten oder veränderten; Friedenskundgebungen und Demonstrationen; russische Deserteure, die mit Tee empfangen werden; Menschen, die nach einem Bombardement Straßen säubern. „Der gewaltfreie Widerstand in der Ukraine lebt, mindestens ebenso bedeutend ist dieser in Belarus und vor allem in Russland selbst“, sagt Wintersteiner.
Bessere Vernetzung
„Gewaltfreie Organisationen und Gruppen sollten sich stärker vernetzen, um wirkungsvoller zu sein“, sagt Wintersteiner. „Menschen aus der Ukraine, Belarus und Russland sollen miteinander reden und sich austauschen. Dieser Dialog scheint mir sinnvoller, als dass wir aus dem Westen den Leuten sagen, was sie tun sollen.“ Dennoch könne die westliche Zivilgesellschaft die Friedenskräfte in den genannten Ländern unterstützen, etwa durch humanitäre Hilfe, die Ent-Dämonisierung des Feindes oder die Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern aller Seiten.
Gewaltfeier Widerstand setze neben Unterstützung auch auf Verhandlungen anstatt auf Fortsetzung des Krieges. Sind die Fronten auch noch so verhärtet, so sollte man trotzdem „nicht nur darüber reden, welche und wie viele Waffen wir liefern, sondern auch alle diplomatischen Kanäle nutzen.“ Die Ukraine und Russland, aber ebenso die europäische Politik, sollen auf einen Waffenstillstand hinarbeiten, bevor beide Länder noch mehr ausbluten, sagt Wintersteiner.«
Werner Wintersteiner ist Gründer und ehemaliger Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedensbildung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.
Autor:KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung |
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