Generalsekretär Stefan Wallner
Wie sieht das Comeback Österreichs aus?
Sie wurden am 1. März Generalsekretär im Sozial- und Gesundheitsministerium. Wenige Tage später brach die Corona-Krise in Österreich aus. Wie geht es einem dabei?
Wallner: Es ist natürlich eine große Herausforderung. Wir befinden uns ja nicht nur in Österreich, sondern weltweit in einer Situation, die wir uns vor wenigen Wochen noch gar nicht vorstellen konnten. Angesichts dessen bin ich überzeugt, dass die Arbeit, die wir hier im Gesundheitsministerium und in der gesamten Bundesregierung machen, wichtig ist und ich bin froh, einen Beitrag leisten zu können.
Was sind Ihre konkreten Aufgaben?
Wallner: Derzeit liegt der Fokus auch als Generalsekretär natürlich auf dem Krisenmanagement. Es gibt einen Krisenstab im Gesundheitsministerium, in dem Mitarbeiter aus allen Fachbereichen zusammengezogen sind. Mein inhaltlicher Schwerpunkt liegt aktuell im Bereich Pflege und Betreuung sowie
beim Thema der sozialen Folgen. Dazu gibt es jeweils eigene Einsatzgruppen bei uns.
Hätten Sie sich erwartet, dass das Herunterfahren eines ganzen Landes so gut funktioniert?
Wallner: Es ist für mich wirklich beeindruckend, was wir alle gemeinsam in Österreich in den vergangenen Wochen geschafft haben. Es war eine gemeinsame Anstrengung und Einschränkung für jeden und jede von uns. Wir alle mussten auf zentrale Dinge in unserem Leben verzichten – und das war oft schmerzhaft. Aber wir wissen, warum wir es tun: um uns selbst und andere zu schützen. Andererseits haben wir alle gelernt, was unser konkreter Beitrag ist, um gemeinsam diese Krise zu bewältigen. Das sind einfache Dinge wie Abstand halten, Hände waschen, Mund-Nasen-Schutz verwenden. Das mussten wir gemeinsam lernen. Am Anfang war das sehr ungewohnt. Wir wissen aber auch, dass die Anstrengung noch nicht zu Ende ist. Sie wird uns sicher die nächsten Monate begleiten. Es braucht noch viel respektvollen Umgang miteinander
und Schutzmaßnahmen, gerade für die Risikogruppen.
Wie schwierig ist die Prioritätensetzung?
Wallner: Unser Versuch war immer, faktenbasiert zu entscheiden und lösungsorientiert umzusetzen. Ziel war es, dies gemeinsam zu machen und auf alle Gruppen zu schauen. Gerade in einer Krise besteht die Gefahr von Spaltungen in einer Gesellschaft. Da kann schnell mal auf bestimmte Gruppen vergessen werden. Am Beginn der Krise hat Minister Anschober gemeint, wir seien das Ministerium für Zusammenhalt. Dieses Bild finde ich sehr wichtig, denn der Zusammenhalt ist gerade in einer Krisensituation entscheidend.
Wie sollen die sozialen Auswirkungen – ob Arbeitslosigkeit, Verarmung, Fragen der Pflege – in Angriff genommen werden?
Wallner: Ich meine, wir müssen beides gleich stark im Blick haben. Zunächst dürfen wir nicht vergessen, dass es immer noch um den Schutz vor der Ausbreitung des Virus geht. Aber unser Gesundheitssystem hat sich als sehr leistungsfähig erwiesen. Große Sorgen macht mir aktuell schon das Thema Einsamkeit und die persönliche Unsicherheit vieler Menschen, was die berufliche Zukunft angeht. Da ist es wichtig, dass die Bundesregierung entschlossene Maßnahmen setzt und Perspektiven gibt – wie es ja in diesen Tagen geschehen ist.
Wie kann es jetzt weitergehen?
Wallner: Ganz wesentlich ist für uns weiter die Frage, wie wir die verletzlichen Gruppen in der Gesellschaft schützen. Das sind vor allem die älteren Menschen, gerade in den Pflegeheimen, dann alle anderen Risikogruppen und natürlich auch die sozial Schwächeren in unserer Gesellschaft. Viele müssen durch diese Krise teils massive Einkommensverluste hinnehmen. Das Ziel ist es, einerseits diese Härtefälle schnell finanziell abzufedern. Andererseits gehen wir in den nächsten Monaten daran, gemeinsam aus dieser Krise herauszukommen. Das wird eine schwierige Aufgabe für alle. Diese Krise hat so große Auswirkungen in vielen Bereichen, dass sie uns die nächsten Jahre beschäftigen wird. Es geht also um die Frage: Wie schaut das Comeback von Österreich aus?
Was können wir aus dieser Krise lernen?
Wallner: Wir lernen auf jeden Fall, dass der soziale Zusammenhalt und das gemeinsame Lösen von Krisen enorm wichtig sind. Ich bin froh, dass das in Österreich bisher sehr gut gelungen ist. Es hat sich zum Beispiel auch gezeigt, wie wichtig das Zusammenspiel von Bund und Ländern ist. Auch da haben wir Beispiele aus anderen Ländern, wo das nicht so gut geklappt hat. Wir haben aber auch gesehen, dass unser Gesundheitssystem sehr belastbar und gut ausgebaut ist. Da ist Unglaubliches geleistet worden. Sowohl von jenen, die unmittelbar in den Gesundheitsberufen arbeiten als auch in der Organisation. Eine positive Erfahrung ist auch die Corona-Hotline 1450. Damit wurde verhindert, dass Menschen mit Symptomen in die Arztpraxis oder in die Ambulanz kommen und weitere Menschen infizieren. In Österreich ist es gelungen, den Großteil der Erkrankungen zu Hause zu behandeln. Wir haben aber auch gesehen, wie wichtig viele Bereiche für unser tägliches Leben sind, die viele von uns vielleicht sonst nicht so beachten: der Lebensmittelhandel, die Energieversorgung, die Pflege und viele mehr. Ich glaube, der tiefe Res-pekt und die Dankbarkeit für diese Arbeit werden uns nach der Krise bleiben. Ich glaube, viele Menschen haben in den letzten Wochen ein neues Verständnis entwickelt, was wirklich wichtig ist im Leben und in der Gesellschaft.
Wie sieht die Planung für die nächsten Wochen oder Monate aus? Kann man da schon konkrete Schritte vorhersagen? Viele haben ja Angst vor einer zweiten Welle der Erkrankung ...
Wallner: Wir haben es mit einer Situation zu tun, in der man vieles nicht langfristig planen kann. Dieses Virus ist so, wie noch keines war. Daher müssen wir bereit sein, täglich zu lernen. Wir müssen genau schauen, welche Maßnahmen die Lage erleichtern bzw. erschweren.
Das wird uns die nächsten Monate begleiten. Das führt natürlich dazu, dass man auch in der Ungewissheit Entscheidungen treffen muss. Wir nehmen auch Kritik sehr ernst. Das ist die Linie unseres Gesundheitsministers. Er hört genau auf die Experten. Es geht ja darum, aus deren Empfehlungen dann eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Leider gibt es in dieser Krise kein Patentrezept. Das ist in dieser unberechenbaren Situation sicher nicht einfach.
Sie haben ein breites Spektrum an Erfahrungen: Generalsekretär der Caritas, Bundesgeschäftsführer bei den Grünen und zuletzt in der Privatwirtschaft. Welche dieser Erfahrungen hilft Ihnen jetzt am meisten?
Wallner: Die Erfahrung im Krisenmanagement habe ich in der Caritas
gelernt. Ich habe dort in einer Reihe von großen Katastrophenhilfsaktionen erlebt – etwa die Hochwasserkatastrophe 2002, dann große Auslandshilfe-Aktionen oder „Nachbar
in Not“ – und viel Erfahrung sammeln können. Die Arbeit in der Caritas war prägend für mein Leben.
Autor:Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag |
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